3. Juni 2007
Wer ist wie Gott?
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
Vor einiger Zeit machte sich eine kleine Reisegesellschaft auf in die Hohe Tatra. Dieses Gebirge ist wild zerklüftet mit Felswänden und abschüssigen Hängen. Bedrohlich standen rechts und links des schmalen Pfades die Felswände, aber auf einmal öffnete sich der Weg, und es kam eine Lichtung und ein Tal. Und auf dieser Lichtung stand ein Kreuz, ein Kreuz, schlicht aus Metall ohne jeden Corpus, aber mit einer Inschrift, und diese Inschrift lautete zu deutsch: „Wer ist wie Gott?“ Wer ist wie Gott? Da war es, als ob auf einmal in dieser wildzerklüfteten Landschaft die Ruhe der Ewigkeit sich ausbreitete und ein Hauch des Friedens, des Friedens Gottes über die kleine Reisegesellschaft kam. Wer ist wie Gott?
Gott ist groß über alle Dinge. Die Kirchenväter nennen ihn den Namenlosen, denn alle Namen, die man ihm gibt, befriedigen nicht, reichen nicht aus, erschöpfen ihn nicht. Die Heiligen nennen ihn den Unfassbaren, den Unbegreiflichen, und sie sehen es als eine Gnade an, dass man einmal erfährt, dass Gott nicht zu begreifen ist. Der Wesensunterschied zwischen Gott und Mensch, zwischen Gott und der Schöpfung, ist so groß, dass kein Wort ihn darzustellen, kein Gedanke ihn zu fassen vermag. Schöpfer und Geschöpf sind eine ganze Unendlichkeit voneinander geschieden.
„Gott ist unaussprechlich“, so sagen die Kirchenväter, „ineffabilis“. Das heißt, wir können leichter sagen, was er nicht ist, als was er ist. Gott ist unaussprechlich. Das heißt, auch das würdigste Wort, das wir über ihn aussagen, ist nicht voll zutreffend, sondern eigentlich nur ein Ausdruck für den Wunsch, dass wir nicht schweigen müssen, dass wir das Bedürfnis haben, wenigstens etwas Würdiges über ihn auszusagen. Wir sprechen nicht von Gott so, wie wir es müssten, denn das weiß Gott allein, sondern wir sprechen so von Gott, wie das Menschenherz es erfaßt und wie die Menschensprache es zulässt.
Es ist ein Segen, meine lieben Freunde, wenn wir einmal in einer stillen Stunde begreifen, wie groß Gott ist, groß über alles Erkennen, groß über alles Begreifen. Das sagt uns die Lehre der Kirche, das sagt uns die Heilige Schrift, das sagt uns die Sprache unseres Herzens. Soeben haben wir in der Epistel dieser heiligen Messe die Aussage des heiligen Paulus gehört, was er von Gott sagt: „O Tiefe des Reichtums, der Weisheit und der Erkenntnis Gottes!“ Und das 4. Laterankonzil fasst es in theologische Begriffe, wenn es erklärt: „Deus est incomprehensibilis“ – Gott ist unbegreiflich, schlechthin unbegreiflich. Kein Wesen kann ihn fassen, kein menschlicher Begriff reicht an ihn heran. Wir sagen „Gott“, aber wir begreifen nicht den Reichtum seines Wesens. Wir sprechen von ihm, und doch bleibt er der Unbegreifliche. „O Gott“, sagt einmal der heilige Augustinus, „wie geheimnisvoll bist du, der du schweigend in der Höhe thronst!“ O Gott, wie geheimnisvoll bist du, der du schweigend in der Höhe thronst! So muss es sein, denn, das sagt uns die Philosophie: Gott ist transzendent, d.h. er übersteigt alle geschöpfliche Wirklichkeit. Er ist jenseitig, er ist der souveräne Herr, der absolute Urgrund alles Seins. Der Abstand Gottes vom Menschen ist unendlich, und er muss es sein, denn nur durch die Unendlichkeit kann die ungeheure Kluft zwischen Schöpfer und Geschöpf überbrückt werden.
Von dem unvergesslichen Münchener Kardinal Faulhaber stammt das schöne Wort: „Ich würde eher an einer Glaubenslehre irre werden, in der alles klar wie Wasser und durchsichtig wäre bis auf den Grund. Denn damit wäre bewiesen, dass ein solcher Glaube Menschengedanken enthielte, keine Gottesgedanken.“ Ich würde eher an einer Glaubenslehre irre werden, in der alles klar wie Wasser und durchsichtig wäre bis auf den Grund.
Im 13. Jahrhundert brachten einmal Eltern ihr Söhnlein, ein kleines, ernstes Kind, zu den Benediktinern auf dem Berge Monte Cassino zur Erziehung. Dieses Kind von 5 Jahren kam zu einem Benediktinerpater, der schweigend durch die Halle schritt, und fragte ihn: „Sag mir: Wer ist Gott?“ Der Mönch wollte antworten, aber er fühlte seine Ohnmacht. Er schaute auf das Kind und antwortete: „Ich kann es nicht. Frag einen anderen!“ Da ging das Kind zu einem zweiten Mönch und fragte ihn: „Wer ist Gott?“ Der schaute das Kind hilflos an und sagte: „Kind, ich weiß es nicht. Frag einen anderen!“ Und so wanderte dieses Kind von einem zum anderen, und keiner hatte eine Antwort auf die Frage: Wer ist Gott? Dieses Kind wuchs heran und wurde einer der größten Theologen der katholischen Kirche, Thomas von Aquin. Sein ganzes Leben hat er über die Frage nachgedacht: Wer ist Gott? und ist doch an kein Ende gekommen. Erst als sich seine Augen schlossen und er bei Gott zu leben anfing, war diese Frage gelöst. Jetzt weiß ich, wird er gesagt haben, wer Gott ist. Auch wir hoffen, dass wir einmal, wenn wir aus dieser dunklen Erdenzeit in das Licht Gottes treten, dass wir dann endlich wissen, was Gott ist. Aber begreifen, begreifen, also umgreifen und erfassen werden wir ihn nie. Das tun weder die Engel noch die Heiligen. Nicht einmal Maria, seine Mutter, kann begreifen, vollends begreifen, wer Gott ist.
Wie geheimnisvoll bist du, der du schweigend in der Höhe thronst! O Tiefe des Reichtums, der Weisheit und der Erkenntnis Gottes! Wir ahnen, wie den heiligen Paulus Schauer durchrieselt haben mögen, als er diese Worte diktierte. O Tiefe des Reichtums, der Weisheit und der Erkenntnis Gottes! Er tat seinen Mund auf, um zu reden, aber er konnte keine Worte finden, die geeignet waren, das auszusagen, was er hätte aussagen müssen. Und das ist im Alten Testament schon vorgegeben, dass Gott unbegreiflich ist. Im Weisheitsbuch heißt es einmal: „Nur zur Not erraten wir, was auf Erden ist, und nur mit Mühe verstehen wir, was auf der Hand liegt. Die himmlischen Dinge aber, wer kann sie ergründen?“ Sie sind unergründlich. Und im Buche Job, in dem vielleicht das Tiefste über Gott ausgesagt ist, was im ganzen Alten Testament steht, im Buche Job heißt es: „Gott ist zu erhaben für unsere Erkenntnis. Gott ist höher als der Himmel, tiefer als die Hölle, weiter als die Erde, breiter als das Meer.“ Das Meer, das für uns ja immer ein gewisses Sinnbild für die Unendlichkeit ist mit allen seinen Geheimnissen, das Meer, es reicht nicht heran an die Tiefe der Geheimnisse des Wesens Gottes. Der Ozean mit seinen vielen, unzähligen Rätseln ein Kinderspiel im Vergleich zum Leben Gottes. Und die Hölle mit ihrer Bosheit, Gottes Weisheit und Gottes Gerechtigkeit sind größer. Wie geheimnisvoll bist du, der du schweigend in der Höhe thronst!
Es ist, meine lieben Freunde, für einen der Gott liebt, schmerzlich, zu erleben, wie Menschen Gott verhöhnen, wie sie die Fäuste gegen ihn ballen, wie sie ihrem Schöpfer fluchen. Aber am allerschrecklichsten ist, wenn man für Gott nur noch Spott und ein kaltes Lachen übrig hat. Solche Menschen haben nicht nur kein Christentum, sie haben auch keine Menschlichkeit mehr in sich. Denn das ist das Schrecklichste, was es gibt, der Missbrauch des Heiligsten. Freilich müssen auch wir uns an die Brust klopfen und fragen: Haben wir vielleicht durch unser Leben und Reden, durch unser Tun und Unterlassen diesem Leichtsinn den Weg geebnet? Sind wir vielleicht auch mit schuld daran, dass es Menschen gibt, die Gott nicht finden, die Gott verachten, die Gottes spotten? Ist die Leichtfertigkeit, mit der wir mit dem Heiligsten umgehen, mit schuld daran, dass es solche Menschen gibt? Unsere Rücksichtslosigkeit gegen Gott, im Dienst bei der heiligen Messe, bei der heiligen Wandlung? Wie geheimnisvoll bist du, o Gott, der du schweigend in der Höhe thronst! Gott ist größer als alles menschliche Begreifen.
Menschen, die kühne Bergsteiger sind, haben gelegentlich erklärt, dass ein heiliger Schauer sie durchrieselt hat, wenn sie auf den Gipfeln der Berge standen, und dass es wie eine zwingende Gewalt über sie kam: Hier musst du anbeten in Ehrfurcht. Und wir selbst können dieses Erlebnis haben, wenn wir in einer stillen Nacht emporschauen zum Sternenhimmel und die zahllosen Sterne beobachten, die Millionen von Meilen voneinander entfernt sind und die Gott doch regiert. Ruhig und still sind sie in seiner Hand. Wie geheimnisvoll bist du, o Gott, der du schweigend in der Höhe thronst! Gott ist unbegreiflich.
So muss es sein. Gott ist ein Geheimnis, und er muss ein Geheimnis bleiben. Seine Undurchschaubarkeit ist gleichsam ein Attribut seines Wesens. Keine Wissenschaft kann mit ihren Mitteln Kräfte aufzeigen, die über ihren Bereich hinausfallen. Gott ist eine Kraft, die in keinen Erfahrungsbereich gehört. Er übersteigt jede geschaffene Wirklichkeit, er ist jenseits jedes geschöpflichen Seins. Menschlicher, natürlicher Fassungskraft ist das göttliche Wesen nicht zugänglich. Wäre es anders, dann wäre es nicht das göttliche Wesen. Was der Mensch fassen kann, ist seinesgleichen. Weil Gott anders ist als alles, was der Mensch ist, deswegen ist er unfaßlich.
Gott ist es, von dem wir sprechen. Was wundern wir uns, dass wir ihn nicht begreifen können. Würden wir ihn begreifen, so wäre er nicht Gott. Ein Gott, den der Mensch begreifen könnte, wäre ein Erzeugnis des Menschen. Der Mensch könnte ihn gewissermaßen in seine Gewalt bringen; er könnte ihn benutzen, er könnte ihn sich dienstbar machen, ja, er könnte ihn gewissermaßen nachbauen. Deswegen ist Gott notwendig unbegreiflich für jedes geschaffene Wesen. Daran ändert auch der Spott von Ungläubigen nichts, meine Freunde. Ein englischer Freidenker traf einmal einen Arbeiter, der zur Kirche ging. Er fragte ihn: „Ist dein Gott groß oder klein?“ Der Arbeiter antwortete: „Gott ist so groß, dass Ihr Kopf ihn nicht fassen kann, und er ist so klein, dass er in meinem Herzen wohnen kann.“ Nur denkende Menschen empfinden die Unbegreiflichkeit Gottes, so der große Physiker Ampère. Wir wissen ja heute noch, dass das eine Einheit der Stromstärke ist, Ampère. Ampère war ein gläubiger, ein tiefgläubiger Mann, und er unterhielt sich oft mit Ozanam, seinem Freunde von der Sorbonne, über Gott. Und dann barg er seinen großen Kopf in die Hände und sagte: „O, Gott ist groß, Gott ist groß, und all unser Wissen ist ein Nichts.“ Das ist tatsächlich das letzte Wort der menschlichen Weisheit. Gott ist groß, Gott ist groß, und all unser Wissen ist ein Nichts. Wir müssen die Hände falten und beten: „Du großer, unbegreiflicher Gott, lehre uns begreifen, dass wir dich nie begreifen, und gib uns heilige Ehrfurcht ins Herz, damit wir deinen Namen immer mit heiligem Schauer nennen.“
Amen.