22. Januar 2012
Der Alltag entscheidet
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
Weihnachten ist vorüber. Die Krippen werden allmählich abgebaut. Die Bäume sind schon längst hinausgeschafft. Der Alltag ist wieder eingezogen. Im Lektionar der Heiligen Messe vernehmen wir auch den Fortschritt, nämlich von der Kindheitsgeschichte Jesu zu dem Aufruf des Mannes Jesus, der herangewachsen ist und der seine Wunder wirkt, wie wir soeben im Evangelium gehört haben. Jetzt wirkt Er in der Öffentlichkeit, aber vorher war Er dreißig Jahre lang verborgen. Jesus war, als Er öffentlich zu reden anfing, etwa dreißig Jahre alt, meldet der Evangelist Lukas. Ja, was hat Er denn die dreißig Jahre gemacht, bevor Er öffentlich auftrat? Die Evangelisten wissen darüber nichts zu sagen außer: Er war seinen Eltern untertan, mehr nicht.
Wenn ich die Apokryphen, also die unechten Schriften heranziehe, dann sehe ich: Sie wissen noch mehr über das verborgene Leben Jesu, aber das ist nicht beglaubigt, das hat die Kirche nicht anerkannt, das hält sie nicht für echt. Die echten Evangelien wissen über die dreißig Jahre nichts nach außen Hervortretendes, nichts Außerordentliches, nichts Auffallendes, nichts Glänzendes zu berichten und deswegen schweigen sie. Sie schweigen über diese dreißig Jahre. Gerade diese Kargheit, diese Nüchternheit, ist ein Zeugnis für die Wahrhaftigkeit der Evangelisten. Sie erfinden nichts. Sie bedecken das verborgene Leben Jesu mit Schweigen.
Gott ist ein Mensch geworden. Das ist unser Glaube. Aber nicht oben, wo Glanz, Reichtum, Berühmtheit weilen, sondern unten, wo die Menschen in der Verborgenheit schaffen, darben und leiden. Wenn Sie die Monteure sehen, die ins Haus kommen im blauen Arbeitsanzug, so muss man sich Jesus und seinen Pflegevater vorstellen. Dreißig Jahre lang haben sie gearbeitet, mit ihren Händen gearbeitet. Die Heilige Schrift nennt Josef und seinen Pflegesohn Tekton. Das Wort Tekton, ein griechisches Wort, bedeutet soviel wie Zimmermann, Bauhandwerker. „Ist das nicht der Zimmermann?“, so heißt es im Markusevangelium. „Ist das nicht des Zimmermanns Sohn?“, im Matthäusevangelium.
Jesus, der Sohn Gottes, trat in die Welt nicht als Schriftgelehrter, nicht als Intellektueller, nicht als Rhetor, nicht als Jurist. Er war ein Handwerker. Ich glaube, dass uns damit eine Lehre erteilt wird, eine gewichtige Lehre, nämlich auf der Waage Gottes haben alle Berufe, alle ehrlichen Berufe, gleiches Gewicht. Alle sind notwendig, alle dienen dem Gemeinwohl, alle huldigen dem Vater im Himmel. Und so versteht man, dass der Apostel Paulus die Korinther mahnt, jeder solle in dem Berufe bleiben, in dem er steht. Leichtfertiger Berufswechsel und unbegründetes Aufgeben der Berufstätigkeit ist offenbar nicht im Sinne des Apostels Paulus. „Jeder bleibe in dem Berufe, zu dem er berufen ist“, schreibt er. Und an die Thessalonicher richtet er die Mahnung: „Setzt eure Ehre daran, ein ruhiges Leben zu führen, eure Obliegenheiten zu erfüllen und eurer Hände Arbeit zu leisten.“ Der auf Erden erschienene Logos war ein Handwerker.
Und doch blieb Er der wesensgleiche Sohn Gottes. Welche Hoheit, welche Erhabenheit, welche Weisheiten, welche Machtfülle. In Ihm wohnt die ganze Fülle der Gottheit. So rufen wir den Heiland an in der Herz-Jesu-Litanei: „In ihm wohnt die ganze Fülle der Gottheit.“ Und doch fragen wir: Er ist der Allmächtige, warum diese Schwäche? Er ist der Reiche, der unendlich Reiche, warum diese Armut? Er ist das Wort Gottes, warum dieses jahrzehntelange Schweigen? Das ist offenbar Absicht. Das hat einen Sinn. Das gehört zur erlöserischen Wirksamkeit Jesu. Warum wollte Er dreißig Jahre in Verborgenheit leben? Wollte Er den schaffenden und darbenden Massen aller Jahrhunderte einen Trost geben, indem Er den größten Teil seines Erdenlebens einfach wortlos in den Frondienst sich einreihte? Wir dürfen es glauben. Wollte Er dem unbändigen Drang der Menschen nach Ehre und Anerkennung entgegentreten, der sich ja gerade in unseren Zeiten so hemmungslos austobt? Gewiß lag auch das in seiner Absicht. Das gesamte Leben Jesu, meine lieben Freunde, besitzt erlöserische Kraft.
Nicht nur seine Predigten, nicht nur sein Heilen, nicht nur seine Siege über den Satan, auch nicht nur sein Leiden und Sterben, nein – das gesamte Leben, auch sein verborgenes Leben, besitzt erlöserische Kraft. Auch durch sein Wirken als Handwerker hat uns Jesus erlöst. Das verborgene Leben Jesu war ein Teil seiner erlöserischen Wirksamkeit. Ich meine, Er wollte uns damit eine Theologie des Alltags lehren. Eine Theologie des Alltags. Er wollte damit den Alltag heiligen. Er hat ihn geheiligt. 1. Durch seinen Gehorsam. Gehorsam bedeutet, sich einem Müssen in freier Tat unterwerfen. Diesen Gehorsam hat Jesus geleistet. Ohne Gehorsam geht es nicht, meine Freunde. In der Familie, an der Arbeitsstätte, im Gemeinwesen. Es muss ein Befehlen und ein Gehorchen geben. Und das ist eben nach meiner Überzeugung der große Zusammenbruch in unserer Kirche, dass das System von Befehl und Gehorsam nicht mehr funktioniert. Es fängt an bei den aufmüpfigen Bischöfen, setzt sich fort über die Priester und endet beim Volk. Einordnung und Unterordnung sind notwendig auf dieser Erde, und der Herr hat es uns vorgelebt. Er hat uns ein Beispiel des Gehorsams hinterlassen.
2. Er hat den Alltag geheiligt durch seine Arbeit. Arbeit ist Gottes Auftrag. Viele stellen sich den Anfang der Menschheit im Garten Eden, im Paradiese als ein Schlaraffenland vor, wo die gebratenen Tauben in den Mund fliegen. O nein, meine lieben Freunde. Wie heißt es in im ersten Buch der Heiligen Schrift? „Gott setzte den Menschen in den Garten Eden, damit er ihn bebaue und pflege.“ Er hat ihm also das Gebot der Arbeit schon am Anfang gegeben. So wollte und sollte auch der Gottessohn sich müde arbeiten und dadurch den Alltag heiligen. Aus seinem Beispiel können wir lernen, wie wir die Arbeit ansehen sollen. Arbeit ist ein Teil der Lebensaufgabe, die Gott uns stellt.
Meine lieben Freunde, ich habe es immer als ein Glück empfunden, arbeiten zu dürfen, das Tagewerk verrichten zu können. Die Arbeit ist eine göttliche Bestimmung, eine Bestimmung, die uns glücklich macht, glücklich machen soll. Denken wir an die Arbeitslosen, an die Behinderten, an die Bettlägerigen, sie möchten gern tätig sein und sie dürfen es nicht, sie können es nicht. Auf der Arbeit ruht ein Segen. Der Mensch, der arbeitet, ist niemals ganz unglücklich.
Die Weissagungen der Heiligen Schrift sind eindeutig. „Wir gebieten euch nachdrücklich in Jesus Christus“, schreibt der Apostel Paulus, „Ihr sollt in ruhiger Arbeit euer Brot verdienen. Setzt eure Ehre darein, ein ruhiges Leben zu führen, eure eigenen Angelegenheiten zu besorgen und mit euren Händen Arbeit zu tun.“ Und dann kommt das schlimme Wort: „Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen!“ Jawohl, das steht im 2. Thessalonicher Brief „Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen!“ Gemeint ist natürlich, wer nicht arbeiten will.
Die festlichen Stunden in unserem Leben sind selten. Die meisten Stunden, Tage, Wochen, Monate und Jahre sind Werktage. Und man sollte sich nicht der Täuschung hingeben, dass man immer auf besondere Gelegenheiten wartet, wo man sich dann bewähren möchte. Hier und jetzt, heute und da, da ist die Stätte unserer Bewährung. Diese gewöhnlichen Stunden, der graue Alltag, sie machen unser Leben aus. Wer seinen Alltag versäumt, versäumt das Leben. Das tägliche Aufstehen, Mühen und Werken, das tägliche Beten, Überwinden und Sich-Zusammennehmen, das ist es, was auf Gottes Waage wiegt. Und Gutes tun, den Menschen helfen, sie anhören – mit ihren Leiden mitleiden. Vom Kaiser Titus, einem Heiden, wird berichtet, dass er am Abend, wenn er einen Tag ohne Gutestun verbracht hatte, sagte: „diem perdidi, den Tag habe ich verloren!“ „diem perdidi, den Tag habe ich verloren!“
Nichts ist dem Menschen notwendiger als eine feste Lebensordnung. Ein bestimmter Plan, nach dem wir unser tägliches Leben einrichten. Alles muss seine rechte Stelle, seine rechte Zeit, seinen rechten Ort haben. Gebet und Gottesdienst, Arbeit und Erholung, Aufstehen und Schlafengehen. Wenn einem Menschen die äußere Ordnung fehlt, dann gewöhnlich auch die innere; ohne äußere Ordnung geht die innere Ordnung leicht verloren. Wenn alles vom Zufall, von der Stimmung, von der Laune, von äußeren Einflüssen abhängt, kommt ein geordnetes Tagewerk nicht zustande. Es ist die Erfüllung der täglichen Pflicht, meine lieben Freunde, worauf es in unserem Leben ankommt. Pflicht ist die verbindliche Aufgabe, gegenüber der wir verantwortlich sind. In der Familie, im Beruf, im Gemeinwesen, gegenüber Gott. Pflicht ist der Dienst vor Gott und gegenüber den Menschen.
Sie haben vielleicht gehört, dass in diesen Tagen der dreihundertste Geburtstag des Königs von Preußen, Friedrichs II., gefeiert wird; 1712 wurde er geboren. Er war kein idealer Herrscher. Aber in einem war er vorbildlich, in der Pflichterfüllung! Von ihm stammt das Wort, das er auch gelebt hat: „Ich bin der erste Diener meines Staates.“
Pflicht, das ist die Forderung des Tages, und sie gilt es zu erfüllen. „Das ist meine Pflicht“, das ist das erhabenste Wort des Gewissens. Nicht „das ist mein Interesse, das ist mein Spaß, sondern das ist meine Pflicht!“ „Mag eine Person Wunder wirken im Bereich der Religion, wenn sie ihre Pflichten im Alltag versäumt, ist sie schlechter als wenn sie ungläubig wäre“, sagt der heilige Franz von Sales. Und die kirchlichen Amtsträger nimmt der heilige Paulus her im 1. Brief an Timotheus: „Wenn einer seinem eigenen Haus nicht vorzustehen weiß, wie soll er für die Gemeinde Gottes sorgen können?“ Wer nicht zuerst gelernt hat, sein eigenes Leben in Ordnung zu halten, der kann anderen nicht vorstehen!
Die Pflicht wird groß und heilig, meine lieben Freunde, wenn sie eine liebe Pflicht ist, wenn sie also in Liebe erfüllt wird. Und das ist es, was wir vom Herrn lernen können. Er hat seine Pflichten, die Pflichten seines verborgenen Lebens und seines öffentlichen Lebens in Liebe zum Vater erfüllt. Von Gott her bemißt sich jede Größe. Und je mehr wir uns Gott weihen, umso erhabener wird unser Leben. In dem verborgenen Leben Jesu hat sich die Botschaft der Weihnacht erfüllt, nämlich es ward Gott die Ehre und es ward den Menschen der Frieden.
Der Handwerker Jesus lehrt uns, wie wir unser Tagewerk vollbringen müssen: in Ergebenheit gegenüber dem Willen Gottes und zum Nutzen unserer Mitmenschen. Dann sind wir die neuen Menschen, die das Evangelium zu sein uns befiehlt. Die Heiligkeit besteht nicht darin, dass man Großes unternimmt, sondern dass man das Gewöhnliche gut vollbringt.
Den ganzen Tag beten können wir nicht. Aber den ganzen Tag Gott aufopfern, das können wir. „Alles, was du tust, tue gut, und du hast Gott gelobt“, schreibt einmal der heilige Augustinus: „Alles, was du tust, tue gut, und du hast Gott gelobt.“
Ich kannte einen Klempnermeister, und manche von Ihnen kannten ihn auch, der mir einmal sagte: „Wir machen jede Arbeit so, als ob sie für uns selbst wäre!“ Was ist das ein Zeugnis, ein wunderbares Zeugnis für einen Handwerker. „Wir machen jede Arbeit so, als ob sie für uns selbst wäre!“
Die alltäglichen Forderungen sind es, an denen man reift. Das ist die große Aufgabe des Christentums: Mit dem Geist des Sonntags die Woche erfüllen. Was ihr auch tun mögt in Wort oder Werk, das tut im Namen des Herrn Jesus Christus und danket durch ihn dem Vater. Wenn wir Gott in unser Leben tragen, dann trägt uns unser Leben zu Gott! „Dadurch wird mein Vater verherrlicht, dass ihr viele Frucht bringt und so meine Jünger seid!“ So mahnt uns der Heiland im Johannesevangelium. Frucht bringen, das sollen wir, Frucht bringen! Nicht durch außergewöhnliche Dinge, die uns ja gewöhnlich nicht liegen, sondern durch das tägliche treue Erfüllen unserer Pflicht. „Wir suchen die Größe nicht in Worten, sondern im Leben“, schreibt einmal im dritten Jahrhundert ein Christ an den Kaiser: „Wir suchen die Größe nicht in Worten, sondern im Leben.“
Und der Apostel unserer Tage, Karl Sonnenschein, schreibt in seinen Notizen: „Des Katholiken charakteristisches Zeichen soll sein, dass er die Religion lebt, nicht dass er von ihr redet.“
Der Glaube ist gewiß die Grundlage des christlichen Lebens. Der Glaube macht uns zu Christen. Aber der Glaube muss in der Liebe wirksam sein, d. h. man darf nicht auf den Glauben allein bauen, denn das Endgericht ist eine Prüfung der Werke. Die Verworfenen werden nicht deswegen verurteilt, weil sie nicht geglaubt haben, sondern weil ihnen die Werke fehlten, die der Herr an ihnen zu sehen begehrte.
Jetzt, meine lieben Freunde, ist die Zeit der Arbeit, einst kommt die Zeit des Lohnes. Wer träge ist bei der Arbeit, ist unverschämt, wenn er Lohn erwartet. Wer spärlich sät, wird auch spärlich ernten.
Der ehemalige Handwerker Jesus von Nazareth, der Sohn Gottes, konnte am Ende seines Lebens sagen: „Es ist vollbracht!“ Werden wir das auch am Ausgang unseres Lebens sagen können? Das Werk, o Gott, das du mir aufgetragen hast, ist vollbracht. Die Pflichten, die du mir gegeben hast, habe ich erfüllt. Die Arbeit, die du mich gelehrt hast, habe ich verrichtet. Können wir am Ende unseres Lebens einmal sagen: „Es ist vollbracht?“
Wir können es, meine lieben Freunde, wenn wir beginnen, wenn wir jetzt beginnen, unser Tagewerk zu heiligen. Wenn wir unser ödes, manchmal undankbares, manchmal ermüdendes Tagewerk Gott aufopfern. Wenn wir den Alltag christlich leben, wenn wir nicht nur singen, sondern auch in unserem Leben verwirklichen:
„Alles meinem Gott zu Ehren,
in der Arbeit, in der Ruh'!
Gottes Lob und Ehr' zu mehren,
ich verlang' und alles tu'.
Meinem Gott allein will geben
Leib und Seel', mein ganzes Leben;
gib, o Jesu, Gnad' dazu,
gib, o Jesu, Gnad' dazu.
Amen.