18. Oktober 2009
Der Verlust von Ethik und Moral
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
Die goldenen Jahre sind vorüber. Das ist die allgemeine Meinung der Fachleute der Wirtschaft. Die goldenen Jahre sind vorüber, die Jahre, in denen das Wachstum der Wirtschaft nicht zu bremsen schien, die Jahre, in denen der Export dauernd anwuchs, die Jahre, in denen der Konsum sich steigerte. Die Menschen meinten, es müsse immer so weitergehen, es sei kein Ende dieser Glückssträhne abzusehen. Dann aber kam zuerst die Finanzkrise. Sie wuchs sich aus zur Wirtschaftskrise, und die Fachleute sagen uns: Das Schlimmste ist noch nicht überstanden. Das dicke Ende kommt noch, vor allem die Zunahme der Arbeitslosigkeit. Ein Unternehmer, ein führender Unternehmer hat dieser Tage erklärt: „Wir brauchen viele Jahre, um diesen Absturz wieder aufzuholen.“
In diese Zeit paßt, was der Apostel Paulus in der heutigen Epistel schreibt: „Nützet die Zeit, denn die Tage sind böse!“ Sind wir gerüstet für das, was möglicherweise morgen und übermorgen auf uns zukommt? Sind wir bereit, es ohne Murren, ohne Klagen, ohne Verzweiflung zu ertragen? Wir wollen den Teufel nicht an die Wand malen, aber es ist durchaus möglich, dass die Menschheitsgeißeln Pest, Hunger und Krieg wieder über uns kommen. Es sind Sturmzeichen am Horizont zu sehen, und wir dürfen sie nicht übersehen. Die Konsequenzen, die wir daraus ziehen, die wir daraus ziehen müssen, sind nicht, dass wir uns Vorräte anlegen, dass wir auf die Belebung der Wirtschaftskonjunktur hoffen. „Brüder, nützet die Zeit, die Tage sind böse!“ Nein, sondern dass wir uns auf die echten Werte besinnen, die in den letzten Jahren vergessen worden sind. Nicht wenige Fachleute der Wirtschaft haben uns gesagt: Die Krise ist nicht nur eine Krise der Finanzen und der Wirtschaft, sie ist auch eine Krise der Ethik, eine Krise des ethischen Handelns. Und weil das ethische Handeln in letzter Linie von Gott bestimmt wird, ist diese Krise auch eine Krise des Gottesglaubens. Damit stimmen wir gänzlich überein. Wir gläubigen Christen sind überzeugt: Die Tage sind nicht deshalb böse, weil Finanzen und Wirtschaft Schaden gelitten haben, sondern weil die Macht der Gottlosigkeit überhand nimmt und gegebenenfalls bereit ist, den Ausbruch der Hölle auf der Erde zu entfesseln.
Schlechte Ärzte kurieren an den Symptomen, gute Ärzte suchen die Krankheit an der Wurzel zu fassen. Die Krankheit unserer Zeit ist die Gottlosigkeit, die theoretische und die praktische. Die theoretische Gottlosigkeit besteht in der Leugnung der Existenz Gottes. Sie geht aus von einer Handvoll Philosophen und Ideologen, die eine unbegreifliche Publizität erfahren. Ihre wissenschaftlichen Leistungen rechtfertigen die Beachtung nicht, die sie finden. Aber ihre Sympathisanten sorgen für die Verbreitung ihrer Hetztiraden. Heute fahren Busse durch die Länder mit der Aufschrift: „There’s probably no God. Now stop worrying and enjoy your life. Es gibt wahrscheinlich keinen Gott. Mach dir keine Sorgen und genieße das Leben.“ Das ist die theoretische Gottlosigkeit. Die praktische besteht darin, dass die Existenz Gottes gänzlich mißachtet wird, dass man lebt, als ob es keinen Gott gäbe, dass man mit Gott nicht rechnet, dass man ihn nicht beachtet, dass man ihn nicht ehrt, dass man nicht nach seinem Willen fragt. Solange diesen grundsätzlichen Übeln nicht gesteuert wird, kann weder Friede noch Ordnung auf unserer Erde einziehen. Eine dauernde und gesicherte Ordnung ist nur möglich, wenn dem Willen Gottes gefolgt wird. Die Welt hat ihr Gleichgewicht verloren, weil sie Gott aus ihrer Mitte herausgeworfen hat, und jetzt taumelt sie hin und her.
Es gibt keine Wendung, bis nicht der Letzte begriffen hat, dass in den apokalyptischen Katastrophen, vor denen wir bangen, sich die Strafgerichte Gottes erfüllen für den Verrat, den der Mensch an ihm begangen hat, der Mensch, der gehöhnt hat: „Wo ist denn euer Gott?“ Der Mensch, der geschrieben hat: „Gott ist tot.“ Gott läßt seiner nicht spotten. Es ist ein ehernes Gesetz: Je gewaltiger die Steine sind, die der Mensch nach dem Himmel schleudert, um so furchtbarer sind die Gerichte, die ihn zerschmettern.
Welches sind die Auswirkungen der Gottlosigkeit? Ohne Gott gibt es keine oberste, keine unumstößliche Instanz. Da gibt es nur zeitweilige Machthaber, die jederzeit hinweggefegt werden können. Sie haben keine unanfechtbare Autorität. Was sie sagen und anordnen, dem kann jeder widersprechen. Ohne Gott gibt es auch keine Wahrheit, sondern nur Meinungen. Mit Meinungen kann man eine Welt nicht regieren. Ohne Gott gibt es keine unumstößlichen Gesetze, da gibt es nur zeitweilige Normen, die jederzeit umgestoßen werden können. Wenn eine neue Regierung kommt, wenn ein neues Parlament gewählt wird, dann werden neue Gesetze geschaffen, die die bisherigen ablösen. Der Mensch, der Zeitgeist, die parlamentarischen Mehrheiten sind außerstande, eine verbindliche Moral zu schaffen. Sie bilden eine Moral, die den Schwächen, Leidenschaften und Lüsten der Menschen entgegenkommt, aber eine Moral, die Gott herausfordert und seine Strafgerichte auf sich zieht. Denken Sie nur, meine lieben Freunde, an die Aufwertung der Homosexualität in den vergangenen Jahrzehnten! Als ich vor 60 Jahren in München studierte, gab es einen Direktor der psychiatrischen Klinik mit Namen Oswald Bumpke; ein großer, bedeutender Psychiater, der vor allen Dingen den Unsinn von Sigmund Freud zurechtgerückt hat. Von Oswald Bumpke stammt das Wort: „Die Homosexualität ist zu aller Zeit eine der bedenklichsten Entartungserscheinungen gewesen, die wir unter den Symptomen einer niedergehenden Kultur mit großer Gesetzmäßigkeit antreffen.“ Eine der bedenklichsten Entartungserscheinungen! Eine himmelschreiende Sünde, wie wir Christen sagen, eine himmelschreiende Sünde, die jetzt in die Verfassung aufgenommen werden soll und durch die Verfassung legitimiert werden soll! Heute wird den Kindern in der Schule gelehrt, dass Homosexualität eben eine andere Form der zwischenmenschlichen Liebe ist.
So mußte es kommen. Wenn die Bande einmal zerrissen sind, die den Menschen mit Gott, dem obersten Gesetzgeber und Richter verbinden, dann bleibt nichts als eine armselige bürgerliche oder, wie man sagt, unabhängige Moral, eine Moral, die sich um ewige Gesetze und Verheißungen nicht kümmert und dadurch auf schiefer Ebene in den Abgrund gleitet und den Menschen den Launen und Leidenschaften überliefert. Die sittliche Ordnung, meine lieben Freunde, hat nur Verbindlichkeit, wenn sie von Gott garantiert wird. Die sittliche Ordnung ist entweder Ausdruck des göttlichen Willens, oder sie wird zum Spielzeug der menschlichen Willkür. Eine Moral, die Menschen erfinden, ein sittliches Gebot, hinter dem kein anderes Ansehen steht als der Name eines Philosophen, hat nicht mehr Macht als der König auf der Spielkarte.
Das Weltethos, das der Schweizer Theologe Küng verkündet, ist eine Sammlung unverbindlicher Selbstverständlichkeiten und sattsam bekannter Irrtümer. Die Moral kann nicht von Menschen gemacht, sie muss von Gott empfangen werden. Wenn Gottes Gesetz mißachtet wird, zerfällt die Gesellschaft, wird die Erde friedlos. Die Leugner der göttlichen Majestätsrechte waren immer noch die Totengräber der menschlichen Gesellschaft und der Menschenliebe. Die Gottesleugnung vermag nichts aufzubauen, nur zu zerstören. Sie löst nicht ein einziger Problem der Wissenschaft, sie erklärt kein einziges Rätsel der Natur, sie bietet keine Stütze, weder dem öffentlichen noch dem privaten Leben. Sie bietet keinen Antrieb für irgendeine Tugend. „Enjoy“, so haben wir eben gehört, „enjoy your life.“ „Genieße dein Leben!“ Die Gottlosigkeit zerstört die Basis der Gerechtigkeit, das Gefühl der Verantwortlichkeit und der Pflicht. Vor wem soll ich mich verantworten, wenn es keine oberste Instanz gibt, vor der ich erscheinen muss? Die Gottlosigkeit nimmt den Leidenschaften jeden Zaum und dem Leiden jeden Trost. Sie zersetzt die Fundamente der Familie – Homosexualität! – und des sozialen Lebens. Sie läßt den Menschen ohne Wahrheit im Denken, ohne Ziel im Wollen und ohne Richtschnur im Leben. Wer sich von Gott löst, dem zerfällt die Rangordnung der Güter. Er weiß nicht mehr, was zu schätzen und zu erstreben ist vor anderen Werten. Er setzt die animalischen Güter über die geistigen. Von ihm gilt, was der Apostel Paulus von den Feinden des Kreuzes Christi sagt: „Ihr Gott ist der Bauch, ihr Ruhm besteht in ihrer Schande, ihr Sinn ist auf das Irdische gerichtet.“ Sobald einmal dem Menschen die Aussicht und die Hoffnung auf unvergängliche Güter genommen ist, stürzt er sich gierig auf die irdischen Güter und sucht von ihnen möglichst viel an sich zu reißen.
Wer sich Gott widersetzt, verliert auch den inneren Frieden. Gerade dadurch, wodurch er sich gegen seinen Schöpfer auflehnt, wirkt er seine eigene innere Verwirrung und Beschämung. Manche fragen sich, warum die Gottlosen immerfort bestrebt sind, andere in die Gottlosigkeit hineinzuziehen. O, das kann man sehr gut erklären: Sie haben keine Ruhe, und in ihrer Ruhelosigkeit suchen sie andere in den Zustand hineinzuziehen, in dem sie selber sind. Die Gottesleugner können von Gott nicht schweigen, weil ihr Gewissen nicht davon schweigt. Niemand hat die Lage des Gottlosen hellsichtiger beschrieben als der Philosoph Friedrich Nietzsche: „Du wirst niemals beten, niemals anbeten, niemals in unendlichem Vertrauen ausruhen. Du versagst es dir, vor einer letzten Weisheit, letzten Güte, letzten Macht stehen zu bleiben und deine Gedanken abzuschirren. Du hast keinen Wächter, keinen Freund für deine sieben Einsamkeiten. Du lebst ohne des Ausblick auf ein Gebirge, das Schnee auf dem Haupt und Gluten in seinem Herzen trägt. Deinem Herzen steht keine Ruhestatt offen, wo es nur zu finden und nicht mehr zu suchen hat. Du wehrst dich gegen einen letzten Frieden. Mensch der Entsagung, in all dem willst du entsagen? Wer gibt dir die Kraft hinzu. Noch fand niemand diese Kraft.“ Soweit Friedrich Nietzsche.
Und das Leben schreibt den Kommentar zu diesen prophetischen Worten. Als der schwedische Dichter August Strindberg zum Sterben kam, da hielt er noch einmal ein Selbstgericht über seine Vergangenheit. Er faßte das Ergebnis in die Worte zusammen: „Ich schreibe mein ganzes Unglück der einen Ursache zu, dass ich gottlos gewesen bin. Ein Mensch, der die Verbindung mit Gott abgebrochen hat, kann keinen Segen empfangen.“ Wahrhaftig, so ist es. An ihm hat sich das Wort der Heiligen Schrift erfüllt: „Ein gottloses Geschlecht nimmt in böses Ende.“
Wie anders der Gläubige. Welcher Katholik, welcher gläubige Katholik, meine lieben Freunde, hat es je bereut, gläubig gewesen zu sein? Wer hat je vor seinem Tode es beklagt, dass er den Glauben gehabt hat? Aber wie viele Ungläubige pressen im Tode das Kreuz auf ihre sterbenden Lippen, und sie beten an, was sie geleugnet, und sie leugnen, was sie angebetet haben. Es wird nicht besser werden, wenn wir nicht umkehren und Gott zum Herrn unseres Lebens machen. Es wird nicht besser werden, wenn wir nicht seinem heiligen Willen entsprechend das Gesicht unseres Lebens und das Antlitz unserer Erde erneuern. Wie der Apostel schreibt: „Seid nicht unverständig, sondern lernet den Willen Gottes zu verstehen!“
Da höre ich die entmutigende Entgegnung: „Ja, wie viele andere, wie viele Millionen kümmern sich weiter nicht um Gott, auch wenn ich mich bekehre. Was nützt es denn, wenn ich umkehre und Millionen andere tun es nicht?“ Es nützt! Gott rechnet anders. Das Gewicht eines Heiligen wiegt tausend Sünder auf. Um der Reinen willen, die sich opfern, rettet Gott ein ganzes Volk. Abraham hat es seinerzeit von Gott gehört: „Wenn nur zehn Gerechte, nur zehn Gerechte in Sodom und Gomorrha sind, dann werde ich diese Stadt retten.“ Aber sie fanden sich nicht. Deswegen nicht verzagen, meine lieben Freunde, sondern wirken, solange es Tag ist. „Nützet die Zeit, denn die Tage sind böse!“ Gott ist in seiner Macht und in seiner Barmherzigkeit derselbe, heute wie gestern. Der starke Arm Gottes ist nicht müde. Er kann jeder Not und Gefahr Einhalt gebieten. „Warum seid ihr so kleingläubig?“ hat Jesus den Jüngern auf dem Meere gesagt. Er tadelt sie wegen ihrer Furchtsamkeit. Da sollten auch wir Vertrauen haben und uns an das schöne Wort erinnern: „Wo die Not am größten, da ist Gottes Hilfe am nächsten.“
„Brüder, nützet die Zeit aus, denn die Tage sind böse!“
Amen.