Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
31. Mai 1987

Freigebigkeit und Geiz

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Freigebig ist, wer aus Liebe zu Gott gern von seinem Vermögen notleidenden Menschen mitteilt. Die Freigebigkeit hat Gott zum Vorbild. „Er läßt die Sonne aufgehen über Gute und Böse, und er läßt Regen fallen über Gerechte und Ungerechte.“ Er teilt Gnade um Gnade, Wohltat um Wohltat mit. An diesem Muster soll sich der Mensch ausrichten. Er soll freigebig sein, er soll gern von seinem Vermögen um Gottes willen an Notleidende austeilen. Um Gottes willen! Also das Motiv muß rein sein; nicht um von Menschen gesehen und gelobt zu werden, nein, um Gottes willen soll man von seinem Vermögen den Notleidenden mitteilen.

Die Freigebigkeit hat Grade. Der unterste Grad besteht darin, daß man etwas weggibt, was man selbst nicht mehr gebrauchen kann. Das ist nicht zu verachten. Diese Sammlungen, die ja seit einigen Jahrzehnten üblich geworden sind, haben durchaus ihre Berechtigung. Aber das ist die unterste Stufe der Freigebigkeit, sich dessen entledigen, womit man sowieso nichts mehr anfangen kann. Darüber erhebt sich, wer aus seinem Vermögen etwas weggibt, was ihm selbst etwas bedeutet und wert ist. Ja, meine lieben Freunde, man sollte nur das wegschenken, um anderen eine Freude zu machen, was man selbst gerne behalten möchte. Das ist die wahre Freigebigkeit, die das mitteilt, woran das eigene Herz hängt.

Der Freigebigkeit ist entgegengesetzt der Geiz. Der Geizige scharrt übermäßig Hab und Gut zusammen und ist nicht willig, von seinem Vermögen an Notleidende mitzuteilen. Er häuft auf, was er gar nicht braucht, was er selbst nicht benötigt. Er ist gleichsam ein Faß ohne Boden, in das man immer hineinschütten kann, ohne daß es je gefüllt wird. Und dann will er natürlich nichts hergeben. Er will alles festhalten, was er zusammengerafft hat. Es ist ihm nicht der Wille eigen, den Notleidenden von dem erworbenen Gut zu helfen.

Geizig kann nicht bloß ein Reicher sein, geizig kann auch ein Armer sein, denn ebenso wie ein Armer freigebig sein kann wie ein Reicher, so kann auch ein Armer geizig sein wie ein Reicher. Es kommt nicht auf die Größe der Gabe, es kommt auf die Gutherzigkeit des Gebers an. Das Scherflein der Witwe ist mehr wert gewesen in den Augen des Herrn als das viele Geld, das Wohlhabende in den Opferkasten des Tempels eingeworfen haben. Wo Geld ist, da ist nicht immer Geiz, und wo kein Geld ist, also beim Armen, da ist nicht immer Freigebigkeit. Es kommt auf die Tugend der Freigebigkeit an, und nach dem Maß dieser Tugend werden sich auch unsere Gaben bemessen.

Der Geiz hat viele schlimme Folgen, meine lieben Freunde. Einmal ist er die Wurzel vieler anderer Sünden. Der Geiz ist wie der Zorn eine Wurzelsünde, eine Hauptsünde, d. h. eine Sünde, die andere Sünden hervorbringt. Wir sehen dies an einem Manne wie Judas. Judas war ein geiziger, ein habsüchtiger Mensch, er bedauerte es, daß die Frau die Füße des Herrn mit der kostbaren Salbe salbte, und er nahm beiseite aus der Kasse, die er führte, was eingelegt war. Der Geiz führte bei ihm zum Abfall, zum Verrat an seinem Herrn.

Der Geiz hat häufig den Verlust des Glaubens zur Folge. Denn der Geizige sinnt und trachtet nur nach seinem Vermögen. Er sieht nur das, was drunten ist, nicht, was droben ist, und so kommt er leicht dazu, den Himmel und die himmlischen Dinge zu vergessen. Der heilige Cäsarius von Arles erzählte einmal von einem reichen Kaufmann, der auf dem Sterbebett lag. Cäsarius suchte ihn zu bekehren. Er hielt ihm ein silbernes Kreuz vor die Augen, und da leuchteten die Augen dieses sterbenden Mannes auf. Der heilige Cäsarius glaubte schon, jetzt sei er bereit, sich zu bekehren. Aber dann kam es aus seinem Munde: „Wieviel mag dieses Kreuz wohl wert sein?“ Es war alles umsonst. „Die reich werden wollen, fallen in die Fallstricke des Teufels,“ heißt es im Jakobusbrief, „und in viele Versuchungen.“ Ja, wahrhaftig, so ist es.

Der Geizige verliert auch die Zufriedenheit, denn er ist dauernd in Sorge um seine Schätze, er ist dauernd in Angst, daß sie vermindert werden könnten, daß sie ihm gestohlen werden könnten, daß sie zugrunde gehen könnten.

Der Geizige ist grausam gegen sich selbst und gegen andere. Er ist grausam gegen sich selbst, weil er sich selbst nichts gönnt. Er spart und spart und gibt nichts aus, auch für sich nicht, und er teilt erst recht auch nicht anderen mit. Er ist hart wie ein Amboß und kann die Not sehen, ohne daß er seine Taschen öffnet. Er ist deswegen verhaßt bei den Menschen. Mit einem Geizigen mag niemand etwas zu tun haben, ja, er ist in der größten Gefahr, das ewige Leben zu verlieren. „Die Geizigen werden das Reich Gottes nicht erben,“ so heißt es im 1. Brief des Apostels Paulus an die Gemeinde in Korinth.

Das alles sind die schlimmen Folgen des Geizes. Der Geiz kann und soll überwunden werden. Geizige Menschen sollen zu freigebigen Menschen werden. Es gibt drei Mittel, um den Geiz zu überwinden und sich die Tugend der Freigebigkeit zu erwerben. Das erste Mittel besteht darin, daß man sich zwingt, freigebig zu sein, denn Laster werden damit bekämpft, daß man das Gegenteil tut. Man muß also mit seinem freien Willen sich selbst dazu veranlassen, den Teufelskreis des Geizes zu durchbrechen und die Schätze, die man angesammelt hat, auszuteilen. Das Laster wird durch sein kontradiktorisches Gegenteil bekämpft.

Zweitens soll der Geizige die Armut des Heilandes bedenken. Er hat sich eine arme Jungfrau und nicht eine Königin zur Mutter gewählt. Er kam in einem Stalle zur Welt und nicht in einem Palast. Er lag in einer Krippe, im Futtertrog der Tiere, und nicht in einem wunderbaren Bettchen. Er hat sich arme Fischer ausgewählt, um das Evangelium zu verkünden, und nicht die Reichen dieser Welt. Das Beispiel des armen Herrn Jesus Christus soll uns antreiben, sein Beispiel nachzuahmen.

Drittens sollte der Geizige die Vergänglichkeit alles Irdischen bedenken. Wir sind nackt in diese Welt eingetreten und wir werden sie wieder verlassen nackt, wie wir gekommen sind. Das Totenhemd hat keine Taschen. Deswegen ist es empfehlenswert, sich vor der Zeit, wenn alles vergeht, mit dem ungerechten Mammon Freunde zu schaffen. Die Heiden haben nicht umsonst den Pluto, den Gott des Reichtums, zum Wächter der Unterwelt bestellt. Sie haben etwas davon geahnt, daß der Geiz eine teuflische Sünde ist, die den Menschen das ewige Leben kostet.

Sammeln wir uns, meine lieben Freunde, die wahren Schätze! Welches sind die wahren Schätze, die nicht Rost und Motten verzehren, wo kein Dieb hinkommt und sie stiehlt? Die wahren Schätze sind die Tugenden, unsere Fertigkeiten im Guten. Mit Tugenden sollen wir uns schmücken, mit Tugenden sollen wir die Kirche zieren, mit Tugenden sollen wir andere erbauen, die Engel erfreuen und den himmlischen Lohn erwerben.

Amen.

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