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Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
Advent

Predigtreihe: Johannes der Täufer (Teil 3)

24. Dezember 2023

Bereitet den Weg des Herrn

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Lukas reiht durch eine sechsfache Zeitbestimmung das Auftreten des Täufers als die Einleitung zum Kommen des Messias selbst in den Lauf der Weltgeschichte ein. Dadurch hebt er die Bedeutung dieser Stunde deutlich hervor. Die Weltgeschichte steht an einem ihrer großen Wendepunkte. Der von den Propheten vorausgesagte und vom Judentum mit brennender Sehnsucht erwartete Augenblick ist da, wo das Gottesreich anbricht, der Messias vor der Tür steht. Das gab nicht bloß dem Täufer für seine Person die tiefe Erschütterung und Leidenschaft, mit der er seine Botschaft verkündete. Das macht auch den aufrüttelnden Eindruck seiner Predigt auf das Volk begreiflich. Der Zweck der sechsfachen Angabe ist, die politische Lage in Palästina kurz zu beschreiben. Wir erinnern uns: Auch an einer anderen Stelle findet sich eine genau umrissene Zeitbestimmung. Es ist der gleiche Evangelist, der das Geburtsjahr des Messias fixiert. Er spricht vom Kaiser Augustus und vom Statthalter Quirinius. Dieses Ereignis liegt dreißig Jahre vor dem Evangelium von heute. Es ist in beiden Fällen Lukas, der die geschichtliche Feststellung macht. Hier spricht er vom fünfzehnten Jahr der Regierung des Kaisers Tiberius (14-37), der von Augustus adoptiert wurde. Das vornehmste und auch einzig genaue Datum der ganzen Reihe stellt Lukas an die Spitze. Dieses Jahr fällt zwischen den 19. August 28 und den 18. August 29 n. Chr. Nach der syrischen Zählung reichte das 15. Jahr des Tiberius vom 1. Oktober 27 bis zum 13. September 28.

An zweiter Stelle nennt Lukas den Statthalter des Kaisers. Das jüdische Reich des Königs Herodes des Großen ist längst zertrümmert; auf seine Herrschaft folgt die Buntheit der Landkarte. Der Ethnarch Archelaus wurde im Jahre 6 nach Christus abgesetzt. Sein Gebiet, das Judäa und Samaria umfasste, wurde von den Römern bis zum Jahre 41 n. Chr. unter ihre unmittelbare Verwaltung gestellt und zu der prokuratorischen Provinz Judäa gemacht. Der Prokurator residierte gewöhnlich in Cäsarea am Meer. Nur bei großen Festen der Juden kam er wegen der Befürchtung nationaler Erhebungen nach Jerusalem. Pontius Pilatus war der fünfte Inhaber dieses Amtes und hatte es von 26 bis 36 inne. Er war wohl der schlimmste von den römischen Prokuratoren Judäas.

Nun folgen die drei Landesfürsten der übrigen Teile Palästinas. Ihr offizieller Name war Tetrarch, Vierfürst; ihre Herrschaft übten sie von Roms Gnaden aus. Nur die beiden ersten sind Söhne Herodes des Großen. Der als erster genannte Herodes Antipas, der von 4 vor Chr. bis zu seiner Absetzung 39 nach Chr. regierte, war der Herrscher von Galiläa und damit der Landesherr Jesu. Unser Herr bezeichnete ihn als einen Fuchs, womit er wohl seine Gerissenheit und Verschlagenheit andeuten wollte. Dass er häufig seinen Landaufenthalt mit der eleganten Hauptstadt Jerusalem vertauscht, wissen wir gleichfalls. Auch er taucht in der großen Nacht zum Karfreitag auf. Dann gibt es noch einen Philippus, der über ein paar Nester am Rande Galiläas regiert. Philippis war der Stiefbruder des Antipas. Er war der tüchtigste von den Söhnen Herodes des Großen. Er regierte von 4 v. Chr. bis 37 n. Chr. Und schließlich war da noch der unbedeutende Lysanias von Abilene. Er gehörte nicht zu der Familie des Herodes.

Ebenso verworren ist das Bild der religiösen Organisation. Von den Hohenpriestern weiß man, dass sie verschwägert sind, und dass heute der eine, morgen der andere, gelegentlich beide die führende Stelle im religiösen Israel einnehmen. Wirklicher Hoherpriester war (von 18-36 n. Chr.) Joseph Kaiphas. Annas war sein Schwiegervater, der von 6-15 n. Chr. amtierender Hoherpriester war, aber auch nach seiner Absetzung seinen Titel und seinen Einfluss behielt; fünf seiner Söhne und sein Schwiegersohn waren Hohepriester. Nachdem die Dinge so kompliziert und bitter geworden sind, ist die Stunde für den Täufer gekommen.

„Da ergeht das Wort des Herrn an den Sohn des Zacharias.“ Es ist selbstverständlich, dass er aus der Wüste kommt, aus deren Einsamkeit immer die großen Männer in den Stunden der Not kamen. Sie wuchsen nicht aus der forensischen Beredsamkeit der Rechtsanwälte, noch aus der gesetzgeberischen Routine des Parlaments, sondern aus der gottnahen Einsamkeit der transjordanischen Felsen und aus dem Fasten und der Selbstdisziplin des farblosen asketischen Landes. Von dort wandte sich Johannes, innerer Visionen voll, dem Lande seiner Väter zu, gefestigt in der großen Aufgabe, dem blasierten nachherodianischen Volk die Perspektive seines eigentlichen Berufes wieder zu eröffnen. Er schlägt seinen Katheder überall dort am Jordan auf, wo die breite Furt dem Beduinen der Landschaft und dem Kaufmann des Hinterlandes den Durchmarsch gestattet. Wenn die Nächte über Palästina sinken, flammen dort die Lagerfeuer. Bis zum frühen Morgen raunen durch die Gezelte der Ausziehenden und der Heimkehrenden erregtes Gespräch und heftige Auseinandersetzung. In diese Symphonie wirft Johannes einen neuen Ton, in diese erdgewachsenen Interessen einen idealistischen Feuerbrand, indem er die Einkehr zum Tiefsten, die Gestaltung des Charakters und die Geheimnisse der Schrift predigt. Sie sollen die Urgründe des Menschlichen nicht vergessen und die große Erbschaft des frommen Israel wieder in sich erwecken. Sie sollen den Ewigen droben, im Ufersande des Flusses, um Vergebung ihrer Sünden anrufen und nicht im Gewirr des kleinen Handels und der schäbigen Geschäfte untergehen. Zum Zeichen dieser inneren Reinigung richtet er die äußere Taufe auf und gießt die Schalen leuchtenden Jordanwassers über die braunen Stirnen der aus dem Wasser hochgereckten Gestalten. Was ist das für eine Rede? Habt ihr seit Elias solches gehört? Spricht in Kapharnaum, in Jericho, in Jerusalem selbst ein Gottesgelehrter in solcher Form? Es lohnt sich, zu ihm hinauszugehen und ein paar Tage demütiger Schüler zu sein und aufzuhorchen, auch wenn man selbst Theologie studiert hat. Es lohnt sich, aufzumerken, denn dieser hat Prophetenformat, dieser spricht wie Elias oder Isaias. Ob er sie je gelesen hat, die alten Propheten? Oder kennt er sie nur aus den langen Traditionen des priesterlichen Elternhauses? Oder aus den dunklen Gebeten jüdischer Erwartungsnächte, die das vergrämte Haupt zum schmalen Streifen der Morgenröte drüben am östlichen Horizont erhoben? So lasst uns ihn einmal nach Isaias fragen. Ja, er kennt ihn. Er zitiert die eine Stelle aus dem vierzigsten Kapitel wörtlich. Das ist die „Stimme des Rufenden“. Das israelitische Volk wurde nach der Zerstörung Jerusalems und der Deportation seiner Könige nach Babylon verschleppt 597 vor Christus. König Kyros II. der Große erlaubte im Jahre 538 vor Christus die Rückkehr in ihre Heimat. So zieht das palästinensische Volk aus der Gefangenschaft Babylons nach Sion heimwärts, durch öde Nächte, über struppigen Weg und ungepflegte Landstraße. Das sind schwere Märsche der dürstenden Tage und der umweinten Nächte. Diese geschichtliche Parallele macht sich der Täufer zunutze. Ihm geht es nicht um die Rückkehr aus der Verbannung, sondern um die sittliche Umkehr und die religiöse Heimkehr zum Gott der Väter. Es wäre gut, dieses gottdienende Volk, das dem Jahwe des Alten Bundes am Herzen liegt, würde gerade Straßen und friedlichen Eingang finden. Hört ihr vom fernen Rand der Wüste den immer wieder auftretenden Klang, dröhnend, schaurig, versunken, immer wieder und jetzt näher und näher, jetzt wie von nebenan, wie von jemandem, der durch die kahlen Bäume der sonnenverbrannten Straße schreitet oder mit dem Flügelschlag über ihr liegt? „Stimme eines Rufenden!“ „Bahnt durch die Wüste gerade Straßen! Werft die Abgründe zu! Schaufelt die Berge ab! Macht alles eben und die Hügel zur Fläche.“ Denn dieses gottgeliebte Volk, ihm lieb wie ein Sohn, betritt den heiligen Boden seines Vaterlandes und soll dort bauen über den Tempel der alten Zeit den Tempel der gesamten Erde, zu dem alle Völker geladen sind. Allen Völkern, nicht nur dem kleinen vom Mittelmeer überleuchteten Stamm, soll dort die Herrlichkeit Gottes aufgehen, und alles Fleisch, vom Kapland bis nach Alaska, soll diese unerhörte Herrlichkeit schauen. Nun schweigt die Stimme, und dann beginnt sie wieder. Granitne Stimme, klingende Stimme, jubelnde Stimme aus der Wüste bis in das Herz des Landes schlagend: „Bereitet dem Sohn Jahwes den Weg!“ Ich bin diese Stimme des bei Isaias Rufenden. Auch ihr sollt dem Sohn Jahwes, der nun seit dreißig Jahren unter euch steht und der in diesen Monaten seine Mission antritt, den Weg zu euch selber bereiten! Adventspredigt des Täufers am Jordan!

Der Schauplatz der Berufung und der Wirksamkeit des Täufers war der nördlich des Toten Meeres gelegene Teil des Jordantales. Er bleibt, wenn er in der ganzen Gegend des Jordan als Wanderprediger umherzieht, immer noch der Wüstenprediger, der die Dörfer und Städte, die „Welt“, meidet. „Alles Fleisch“, d.h. die gesamte Menschheit, die Heiden mit eingeschlossen, soll das von Gott kommende Heil schauen.

Die Kirche hat den Täufer Johannes nicht vergessen. Sie erwähnt ihn in jeder heiligen Messe viermal, besonders ausführlich im Schlussevangelium des Evangelisten Johannes, und zwar regelmäßig an der Spitze der Heiligen, die sie anruft. Sie zeigt damit, wie hoch sie ihn schätzt, ihn, den Jesus als den Größten unter den von einer Frau Geborenen bezeichnet. Das ist er, weil er dem Messias vorangeht und ihm den Weg bereitet. Er stellt gleichsam die Klammer zwischen dem Alten und dem Neuen Bund dar. Die Kirche gibt aber auch mit dieser Verehrung zu verstehen, dass sie seine Person, seine Lebensweise und seine Verkündigung als zeitlos gültig ansieht. Johannes der Täufer lebte Tugenden, die allzeit empfehlenswert sind. Er war demütig. Seine Predigt und seine Lebensweise führten viele Israeliten dazu, ihn für den Messias zu halten. Johannes wies diese Einstufung ab. „Ich bin es nicht.“ „Nach mir kommt einer, der stärker ist als ich.“ Er war genügsam. Er lebte in der Wüste und ernährte sich von Heuschrecken und wildem Honig. Das ist karge Wüstennahrung. Von ihm hatte der Engel dem Vater Zacharias verkündet, der Sohn seiner Frau werde Wein und Berauschendes nicht trinken. In den Zeiten, in denen die Kirche die Enthaltung von Alkohol eindringlich empfahl und Einrichtungen für die Entwöhnung von Trinkern einrichtete, wusste sie für diesen Zweig der Seelsorge keinen geeigneteren Patron als den Sohn des Zacharias. Johannes war mutig. Er erinnerte seinen Landesherren an die Gesetze Jahwes über der Ehe. „Es ist dir nicht erlaubt, die Frau deines Bruders zu haben.“ Es scheint, dass die meisten deutschen Bischöfe Gottes Willen über der Ehe vergessen haben. Johannes ist und bleibt das Vorbild aller Christen. Vorläufer, Ankündiger, Wegbereiter für Christus zu sein: Das ist es, was er uns als Aufgabe hinterlassen hat. Mit Absicht sieht die Kirche in Johannes dem Täufer die wichtigste Gestalt in der Adventszeit. Er gibt die Weisung, wie sich die Christen auf die Feier der Ankunft des Sohnes Gottes bereiten sollen. Komm, Herr, und säume nicht. Nimm den Druck der Sündenlast von deinem Volke. Ihr Tore, werdet höher. Ihr ewigen Pforten, werdet weit. Denn Einzug halten will der Herr der Herrlichkeit.

Amen.

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