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Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  

Predigtreihe: Die Gebote Gottes (Teil 5)

23. Juli 2023

Die Heiligung des Sonntags

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Am Sinai gab Gott dem Volk Israel den strengen Befehl, einen bestimmten Wochentag, den siebenten, den Sabbat, heilig zu halten, ihn durch Enthaltung von werktäglicher Arbeit und durch Gebet Gott zu weihen. Dieses Gebot war zwar ein Gebot Gottes, aber in seinem Umfang und in seiner Geltung begrenzt auf das Volk Israel und auf die Dauer sowie Vorbereitung bis zur Fülle der Zeiten. Als diese Zeitenfülle gekommen war, erlosch das Sabbatgebot ohne weiteres. Aber es wurde durch ein anderes ersetzt. Die Kirche anerkannte den altchristlichen Brauch, den ersten Tag der Woche, den Sonntag, den Tag der Auferstehung des Herrn, in besonderer Weise Gott zu weihen und erhob diesen frommen Brauch zu einem allgemeinen, für alle Glieder der Kirche geltenden Gebot, dem Gebot der Sonntagsheiligung durch Enthaltung von knechtlicher Arbeit und durch Teilnahme an dem Gottesdienst des Christentums, an der eucharistischen Opferfeier. Auch dieses Gebot ist also eine zeitgeschichtliche Gesetzgebung und überdies nicht unmittelbares Gottesgebot, sondern ein Kirchengesetz.

Aber diese beiden gesetzgeberischen Akte, die Sabbatheiligung im Mosaischen Gesetz und die Sonntagsheiligung im christlichen Kirchengesetz, wären nicht in solcher Strenge möglich gewesen und wären nicht zu solcher religiösen Bedeutung gekommen, wenn ihnen nicht ein Urgebot und Naturgebot Gottes zugrundeläge. Dieses Gebot besteht schon in der Naturanlage der geistbegabten Geschöpfe. Es tut sich in der Stimme unseres natürlichen Wesens und unseres natürlichen Gewissens kund. Es ist die Notwendigkeit, dass bestimmte Zeiten in regelmäßiger Wiederkehr herausgehoben sein sollen aus dem eintönigen Ablauf unserer irdischen Tage, dass es Zeiten geben muss, in denen wir regelmäßig unseren Geist erheben zu der Wirklichkeit Gottes; in denen wir unser Herz zurückrufen zu den letzten Quellen unseres Lebens und Schaffens; in denen wir uns sammeln in die innere Welt der Selbstbesinnung und der Gottesgemeinschaft. Diese regelmäßig wiederkehrenden Zeiten der Sammlung und der Anbetung sollen festliche Zeiten sein. Das heißt: Zeiten der Erneuerung unseres ganzen Lebens, Zeiten der geistigen Kräftigung, Zeiten der Schönheit und der Freude, der Erhebung und der Gemeinschaft. Die Gemeinschaft, die Kirche, hat mit freiem, ihr von Gott verliehenen Recht den ersten Wochentag zum gesetzlichen Tag des Gottesdienstes und der Arbeitsruhe erhoben. So erfüllen wir einzelne tatsächlich den Willen Gottes, ja ein Urgebot Gottes, wenn wir diesen Tag im Sinne der Kirche begehen.

Gott hat bestimmte, regelmäßig wiederkehrende Zeiten sich vorbehalten. Diese Tatsache ist religiös von hoher Bedeutung. Wir sollen an bestimmten Tagen unsere irdischen Geschäfte liegen lassen. Wir sollen unsere Augen und Herzen zu ihm erheben in geistiger Sammlung und in liebender Gemeinschaft mit ihm. Gott und seine Welt, die Welt des Geistes und der Gnade, wollen an diesen Tagen uns näher sein als an anderen Tagen; Gott will sich treffen lassen an diesen Tagen. Der Sonntag ist ausgezeichnet durch eine Verabredung, die Gott mit uns getroffen hat. Am Sonntag sollen wir ihn leichter finden als sonst, weil er uns da entgegenkommen will, mächtiger, leuchtender, wirksamer und liebreicher als an anderen Tagen. Die Vernachlässigung der Sonntagsheiligung ist also ein Versäumnis göttlicher Verabredung. Man versäumt die Stunden, da wir ihm begegnen könnten. So lehrt denn auch die Erfahrung, dass eine dauernde und leichtfertige Vernachlässigung des Sonntagsgebotes zu einem schnellen Sinken des religiösen Lebens überhaupt führt, dass der Mensch seinem Gott gleichsam entgleitet, dass alle höheren Stimmen in seinem Innern immer mehr zum Schweigen kommen. Gott beginnt zu verstummen vor einem Menschen, der sich am festgesetzten Tage nicht einfindet, ihn zu vernehmen. Gott wird einer Seele fremd, die nicht zur Stelle ist, wenn Gott vorbeikommt, sie zu segnen. Damit verbunden ist regelmäßig auch ein Absinken des sittlichen Niveaus. Wer Gott nicht mehr begegnet, vergisst auch seine Gebote. Ein Hofherr meinte einmal gegenüber dem französischen König Ludwig XVI., man könne am Sonntag den Besuch der Messe ruhig unterlassen, denn das Sonntagsgebot der Kirche sei nur ein Gebot von Menschen. Der König erwiderte: „Ich habe noch nie gesehen, dass einer, der sich über die Gebote der Kirche hinwegsetzte, die Gebote Gottes heiliggehalten hätte.“ Und nicht nur das! Auch die im Leben auf die Glocken der Kirche nicht gehört haben, werden die Posaunen des Gerichtes nicht überhören.

Diese Gottestat, mit der eine bestimmte Zeit herausgehoben wird, ist nur ein Fall eines allgemeinen Gesetzes. Wie es begnadete Zeiten gibt, so gibt es auch begnadete Orte, Dinge und Einrichtungen, Veranstaltungen und Verrichtungen, die Gott zu Trägern seiner besonderen Nähe und Hilfe gemacht hat. Die Kirche ist eine solche weltumspannende Einrichtung, in der Gott den Menschen näherkommt als sonstwo. Innerhalb der Kirche sind es besondere sinnenfällige Zeichen, die sieben Sakramente, die Gott herausgehoben hat aus den übrigen Geschöpfen. Auch Räume, die gottesdienstlichen Gebäude sind ausgezeichnet durch eine besondere Nähe Gottes, durch eine besondere Wirksamkeit seiner Gnade. Erst recht die Wallfahrtsorte, zu denen die Gläubigen strömen, um Gott ihre Bitten und ihren Dank darzubringen. Gott will uns nahekommen, auch in unserem irdischen Alltag, in unserem körperlichen Tun, in unserem leiblichen Leben. Gott will aufsteigen auf alle Hügel und alle Höhen, die über den Niederungen des irdischen Seins und Geschehens aufragen. Es wäre vermessentliche Eigenwilligkeit, wenn ein Mensch sagen wollte: Ich verkehre mit meinem Gott ausschließlich in der Unsichtbarkeit meines privaten Lebens, in der Stille meines Herzens. Wenn Gott uns in sichtbaren Veranstaltungen, in der Gemeinschaft vieler Menschen, in der Reihenfolge besonders ausgezeichneter Tage und in einer Ordnung sinnenfälliger sakramentaler Zeichen nahekommen will, dann können wir nichts anderes tun als unsere freudige Bereitschaft erklären und betätigen. Wir müssen hingehen, wohin zu kommen er geruht. Das ist der Sonntag: Der den Menschen über sich hinaushebt. Der ihn in das Unendliche taucht. Der ihn mit dem Göttlichen verbindet. Der das Tal dieser Welt in den Farbenglanz der Überwelt stellt. Das ist der Sonntag. Jeder Christ, ja jeder Mensch hat seine besondere Tauglichkeit und Dienstbarkeit in dem großen Prozess des Sichtbarwerdens Gottes. Von unserem ganzen Leben sollte man sagen können: Das war ein Sonnentag, ein Sonntag Gottes, ein Tag des Herrn. Selbst von unserem bürgerlichen Leben und unseren Arbeitstagen sollte man sagen können: Auch das ist ein Tag, den der Herr gemacht hat.

Die Kirche hat als einen wesentlichen Bestandteil unserer Sonntagsheiligung die eucharistische Opferfeier bestimmt. Es ist ein strenges Kirchengebot, dass wir die Sonn- und Feiertage nicht nur durch Enthaltung von der Erwerbsarbeit und durch Pflege des religiösen Lebens, sondern auch durch die Beteiligung an der Kultfeier der heiligen Messe begehen. Diese Feier ist nichts anderes als die Opfertat Christi selbst, die erneute Darstellung und Vergegenwärtigung seines Lebensopfers. Die Messfeier ist die Repräsentation jener Großtat, mit der Gottes menschgewordener Sohn vor den Vater tritt und sich und die ihm verbundenen Menschen darbringt in die Hände Gottes. Diese Tat des Gehorsams und der Liebe steht im Mittelpunkt alles Weltgeschehens; sie ist die eigentliche weltgeschichtliche Tat; sie ist die Heimkehr der Welt zu Gott. Indem wir uns mit dieser Tat vereinigen, uns an diesem Weg zu Gott beteiligen, im Gefolge Jesu zum Vater gehen, gewinnen wir Anschluss an den göttlichen Grund, an die Quelle allen Heils und aller Ewigkeit. In dieser gottesdienstlichen Feierstunde wird eine Brücke gebaut, auf der Gott heraustritt in unsere irdische Nähe und auf der wir hineingehen in seine lebendigmachende Nähe. Da erfüllt sich die Sonntags-Verabredung, die Gott mit uns traf, auf die vollkommenste Weise. Er kommt zu uns in seinem menschgewordenen Sohn, der auf dem Altare gegenwärtig wird. Und wir kommen zu ihm in diesem gottgehörigen Menschen, der vom Altare aufsteigt zum Vater und uns im Kelche seines Blutes mitnimmt, damit auch wir seien, wo er ist. So stehen die Sonn- und Feiertage in unserer Welt als leuchtende Wegzeichen. Wir erkennen die große Strömung, die aus dem Inneren Gottes kommt, uns ergreift und dann wieder zurückstürmt zu Gott, um uns mit sich hineinzutragen in das Herz Gottes. Dessen sind die Sonn- und Festtage ein Symbol und ein Gleichnis. Und wenn ein christliches Volk sie einmal abschaffen wollte, die Tage des Herrn, dann wäre das ein Zeichen kommenden Untergangs, ein Zeichen, dass es sich ausschalten will aus dem belebenden Strom göttlicher Nähe. Und wer an diesem Lebensstrom keinen Anteil mehr hat, der muss sterben. Seine Seele muss sterben, den ewigen Tod des Geistes muss sie sterben und damit auch den Tod aller Freiheit, Schönheit und Liebe.

Amen.

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