Predigtreihe: Der Sündenfall (Teil 4)
3. Dezember 1989
Über Leib und Seele des Menschen
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
Die Schöpfung des Menschen durch Gott wird uns von der Heiligen Schrift an vielen Stellen bezeugt. Die Heilige Schrift bringt uns aber nicht nur diese Tatsache in Erinnerung, sondern sie sagt auch etwas über den Menschen selbst aus, nämlich daß er ein Wesen ist, das aus Geist und Materie zusammengesetzt ist. Der Mensch besteht aus zwei Wesensbestandteilen, aus Leib und Seele. Das ist eine fundamentale Tatsache unseres Glaubens. Auch Philosophen, die vor Christus gelebt haben, sind zu der Erkenntnis durchgestoßen, daß der Mensch sich nicht im Leibe erschöpft. Vor allem griechische Philosophen – Sokrates, Platon, Aristoteles – haben erkannt, daß das Beste im Menschen, das Erhabenste und das Feurigste seine Seele ist. Und sie waren davon überzeugt, daß die Seele unsterblich ist, auch wenn der Leib vergeht. Die griechischen Philosophen haben freilich den Leib etwas abgewertet. Sie sagten: Der Leib ist das Gefängnis der Seele, und der Mensch ist eigentlich nur Seele. Der Leib ist eine zufällige Befindlichkeit, ein Gehäuse, aber das, was den Menschen ausmacht, das ist die Seele. Gegenüber dieser Meinung hat die Kirche daran festgehalten: Der Mensch besteht aus Leib und Seele; auch der Leib ist ein Wesensbestandteil des Menschen.
Ganz in die Irre gegangen sind die Materialisten, nach denen der Leib die einzige Befindlichkeit des Menschen ist und die eine Seele leugnen. Die Materialisten vor allem des vorigen Jahrhunderts bestreiten, daß der Mensch sich in wesentlicher Weise über das Tier erhebt. „Leib bin ich ganz und gar,“ sagt Friedrich Nietzsche, „und die Seele ist nur etwas an meinem Leibe.“ Auch diesen Irrtum hat die Kirche verworfen. Der Mensch ist nicht nur Leib, der Mensch ist wesentlich auch Seele.
Der Mensch hat nur eine Seele, nicht, wie manche gelehrt haben, zwei. Es sind Männer aufgestanden schon in der alten Zeit, aber auch im vorigen Jahrhundert, z. B. Günther, die eine zweifache Seele im Menschen annahmen, eine Geistseele und eine vegetative. Gegenüber ihnen hat die Kirche immer daran festgehalten: Der Mensch hat eine vernunftbegabte Seele, und diese eine Seele ist das Prinzip aller Tätigkeiten im Leibe. Die eine vernunftbegabte Seele ist forma corporis, also das Gestaltprinzip des Leibes. Die Kirche hat den Trichotomismus – die Lehre von den drei Bestandteilen im Menschen, Leib, Geist und Seele – als Irrlehre abgewiesen.
Die Seele des Menschen ist in jedem Menschen eine eigene, eine individuelle, und sie ist unsterblich. Auch gegen dieses Dogma der Kirche sind Irrlehrer aufgestanden. Selbst in der Zeit des Mittelalters gab es Männer, die dem Heidentum verpflichtet waren, der arabischen Philosophie hörig, die die Ansicht vertraten, die Seele sei in allen Menschen eine, es gäbe nur eine einzige Seele, und sie sei in allen Menschen eine und die gleiche. Dagegen hat die Kirche immer gelehrt: Jeder Mensch besitzt eine eigene, individuelle Seele, und diese eine Seele ist unsterblich; denn sie ist einfach, lebendig, unkörperlich, nicht zusammengesetzt, und so fehlt es ihr an einer Möglichkeit, zu zerfallen. Denn was zerfällt, zerfällt in Teile. Was nicht aus Teilen zusammengesetzt ist, kann nicht in Teile zerfallen.
Diese Unsterblichkeit der Seele wird in der Heiligen Schrift mannigfach bezeugt, auch schon im Alten Testament. Selbst wenn die Zeugnisse nicht so klar sind wie im Neuen, das Alte Testament hat niemals die Ansicht vertreten, die menschliche Seele werde beim Tode vernichtet, sondern die Schriften des Alten Testamentes sprechen davon, daß die Verstorbenen bei den Vätern versammelt werden, daß sie zu ihrem Volk eingehen, daß sie zu den Vätern entschlafen, daß sie in die „Scheol“ kommen. Sie führen da zwar ein Schattendasein, aber von einer Vernichtung des ganzen Menschen, von einer Vernichtung der Seele ist im Alten Testament nirgends die Rede. Es gibt vielmehr ausdrücklich Stellen, die bezeugen, daß der Geist zu Gott zurückkehrt. „Der Staub zur Erde,“ sagt das Buch Der Prediger, „der Staub zur Erde, der Geist zu Gott.“ Und im Buch der Weisheit steht der wunderbare Satz: „Du hast den Menschen zur Unsterblichkeit erschaffen und ihn zum Abbild deines eigenen Wesens gemacht.“
Erst recht bezeugt uns das Neue Testament die Unsterblichkeit der Seele. „Fürchtet euch nicht vor denen, die nur den Leib töten können, euch aber sonst weiter nichts anhaben können. Fürchtet vielmehr den, der Leib und Seele in die Hölle stoßen kann. Ja, sage ich euch, den sollt ihr fürchten!“ In vielen Gleichnissen hat der Herr die Lehre von der Unsterblichkeit der Seele vorgetragen. Wenn beispielsweise die Rede davon ist, daß der arme Lazarus und der reiche Prasser nach ihrem Tode weiterleben, der eine in der Hölle, der andere im Schoße Abrahams, dann ist damit die Überzeugung unseres Herrn und Heilandes, der die Wahrheit selber ist, ausgesprochen, daß der Mensch nach dem Tode weiterlebt, in veränderter Gestalt selbstverständlich, weil der Leib ja zerfallen ist, aber das Feurigste, das Beste, das Lebendigste an ihm, die Seele, lebt weiter.
So haben auch die Apostel des Heilandes gelehrt. Im Philipperbrief, als Gefangener in Rom, schreibt der Apostel Paulus: „Ich wünsche aufgelöst zu werden und bei Christus zu sein.“ Was heißt das anderes, meine lieben Freunde, als daß Paulus überzeugt ist, sofort wenn er stirbt, mit seinem Herrn vereinigt zu werden. Sofort wenn er stirbt, so ist er gewiß, kommt er zu Christus. Er kann aber nur zu Christus kommen, weil seine Seele den Tod überdauert, durchhält und dann in Christi Reich eingeführt wird.
Die Lehre von der Unsterblichkeit der Seele ist eine ganz bedeutende, eine ganz entscheidende Glaubenswahrheit. Ohne diesen Glauben wird, wie die Praxis zeigt, kaum ein Christ die Verpflichtungen, die Gott ihm auferlegt hat, ernstnehmen. Wenn er nicht damit rechnen muß, nach dem Tode des Leibes vor Gericht gezogen zu werden, um Rechenschaft abzulegen über sein Tun und Unterlassen, dann wird er sich den Slogan zu eigen machen: Laßt uns essen und trinken, denn morgen sind wir tot!
Die Frage, wie die Seele entsteht, ist von Theologen und Philosophen in vierfacher Weise zu beantworten versucht worden. Es gibt den Präexistentialismus. Nach dieser Lehre existieren die Seelen in großer Zahl bei Gott, und sobald ein Mensch durch die Zeugung entsteht, wird ihm eine Seele gegeben. Diesen Präexistentialismus, wonach die Seele also vor dem Leibe schon vorhanden ist, hat die Kirche abgelehnt. Es gibt dafür keine Grundlage in der Offenbarung. Eine andere Lehre ist der Emanatismus. Er vertritt die Ansicht, die Seelen seien Ausflüsse aus Gott, seien also göttlichen Wesens, göttlicher Substanz. Obwohl diese Lehre sehr schmeichelhaft klingt, ist sie dennoch falsch, denn Gott kann sich nicht emanieren. Gott bleibt in sich derselbe, und was außerhalb seiner ist, ist eben Geschöpf und nicht Gott. Es gibt keinen Ausfluß aus Gott, es gibt nur eine Erschaffung durch Gott. Die Emanationslehre ist mit der Einfachheit Gottes unverträglich. Viel Anklang gefunden hat der Generatianismus. Diese Lehre meint, die Seelen entstehen in dem Augenblick, wo die Menschen den Zeugungsakt vollziehen, und werden also von den Eltern auf die Kinder übertragen. Dieser Generatianismus scheitert an der Einfachheit und Geistigkeit der Seele. Es ist nicht zu erklären, wie eben körperliche Vorgänge ein geistiges Prinzip hervorbringen können. Und so bleibt als einzige von der Kirche anerkannte Erklärung der Kreatianismus übrig. Er lehrt: Die Seele wird von Gott in jedem einzelnen Falle geschaffen. Wenn die Empfängnis sich vollzieht, dann entsteht, von Gott geschaffen, die Seele. Welche hohe Verantwortung für Eltern und alle, die von dieser Wahrheit überzeugt sind!
In der Vergangenheit bis in die fünfziger Jahre wurden in vielen Kirchen im Anschluß an Volksmissionen Kreuze aufgerichtet. Damals hat man nämlich den Glauben noch ernstgenommen. Es wurden Kreuze aufgerichtet, und auf diesen Kreuzen stand der Spruch: „Rette deine Seele!“ Das ist ein gutes Wort. Das ist ein heiliges Wort. Rette deine Seele! Ja, das ist unsere Aufgabe hier auf Erden, unsere Seele, unsere unsterbliche Seele zu retten, die Seele, für die der Herr sein kostbares Blut vergossen hat. Rette deine Seele! Das wollen wir heute am Beginn der Adventszeit uns zu Herzen nehmen. Rette deine Seele! Meide, was diese Seele gefährdet, tu alles, was ihr nützt! Deine Seele ruft und weint und klagt, wenn du sie in die Sünde führst, und deine Seele ist glücklich und froh und zufrieden, wenn du den Willen Gottes tust. Rette deine Seele!
Amen.