Predigtreihe: Christus, der Herr (Teil 5)
7. Mai 1989
Die Naturwunder Jesu
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
An den vergangenen Sonntagen haben wir die wunderbaren Taten betrachtet, die unser Herr und Heiland an Menschen vollbracht hat. Wir haben die Geheilten vor unserem geistigen Auge vorüberziehen lassen, die Gelähmten, die Blinden, die Aussätzigen, ja, wir haben auch den Blick auf die drei Personen gerichtet, die der Herr vom Tode erweckt hat, uns vor Augen geführt.
Das alles waren Machttaten an Menschen, an lebenden oder an verstorbenen Menschen. Aber der Herr hat seine Wunder auch an der Natur gewirkt. Er hat sich nicht nur als ein göttlicher Arzt, sondern auch als der Schöpfergott erwiesen.
Das erste seiner Naturwunder geschah in Kana. Kana liegt in Galiläa. Es handelte sich wohl um den heutigen Ort Chirbet Kana. Es ist wohl nicht ohne Überlegung geschehen, daß der Herr den Anfang seiner Wunder an der Natur bei einer Hochzeit machte. Die Hochzeit in Palästina war ein großes, ja vielleicht das größte private Fest, das Menschen feiern können. Bei einer jungfräulichen Braut dauerte es sieben Tage, bei einer Witwe drei Tage. Ein jüdisches Mädchen war mit zwölfeinhalb Jahren heiratsfähig, aber der Heirat mußte eine Verlobung von einem Jahr vorausgehen. Die Hochzeitsfeierlichkeiten hatten ihren Höhepunkt in der Heimführung der Braut, also in der Geleitung des Mädchens aus dem Hause des Vaters in das Haus des Bräutigams. Zu diesem Zweck traten die Brautjungfrauen auf, von denen wir schon in mehreren evangelischen Lesungen gehört haben. Und dann begann das große Fest, zu dem Verwandte, Freunde, Bekannte, ja die ganze Sippe und das Dorf eingeladen wurden.
Bei solchen großen Feierlichkeiten brauchte man viel zu essen und zu trinken. Es gab einen eigenen Speisemeister, der für die Bewirtung der Menschen, die kamen und gingen, sorgte; jeden Tag fanden sich andere ein. Kein Wunder, daß bei solcher Gelegenheit der Wein ausgehen konnte. Und das eben war in Kana der Fall.
Es waren viele Menschen zur Hochzeit geladen, auch die Mutter Jesu war dabei und seine Jünger. Eine Mutter hat ein Auge für Küche und Keller. Sie bemerkte. daß der Wein ausging, und sagte zu Jesus: „Sie haben keinen Wein mehr.“ Natürlich stand hinter dieser Feststellung eine bestimmte Absicht. Maria weiß offenbar, daß ihr Sohn Wein herbeischaffen kann in irgendeiner Weise, die bisher noch nicht in ihren Gesichtskreis getreten ist. Jesus scheint sie zunächst abzuweisen: „Frau, was begehrst du da von mir? Meine Stunde ist noch nicht gekommen.“ Er richtet sich bei seinem Wirken nicht nach Menschenmeinung, sondern nach dem Willen des Vaters. Dieser bestimmt, der Vater im Himmel, wann seine Stunde gekommen ist. Aber Maria faßt das gar nicht als Abweisung auf. Sie sagt vielmehr den Dienern, die auftrugen: „Alles, was er euch sagt, das tuet!“ Es standen aber daselbst sechs steinerne Wasserkrüge für die Reinigungen, wie sie bei den Juden üblich sind. Wenn man vom Markt kommt, reinigt man sich. Man schüttet Wasser über Hände und Füße. Man reinigt auch das vom Markt Mitgebrachte. Diese Wasserkrüge waren recht groß. Man rechnet damit, daß ein Wasserkrug etwa 80 Liter faßte. Sechs steinerne Wasserkrüge, das sind also fast 500 Liter.
Jesus sagte zu den Dienern: „Füllet die Krüge mit Wasser!“ Und sie füllten sie bis zum Rande. Dann sprach er zu ihnen: „Schöpfet und bringt es dem Speisemeister!“ Sie brachten es ihm. Der Speisemeister verkostete das Wasser, das zu Wein geworden war. Er wußte aber nicht, woher es gekommen sei. Die Diener aber, die das Wasser geschöpft hatten, wußten es. Und dann brach der Speisemeister in ein staunendes Lob aus und sagte zum Bräutigam: „Jedermann setzt zuerst den guten Wein vor“ – am Anfang, wo die Gäste eben noch sehr genau unterscheiden können, ob ein guter oder ein weniger guter Wein ihnen vorgesetzt wird –, „und dann, wenn sie genug getrunken haben, den geringeren. Du aber hast den guten Wein bis jetzt bewahrt.“ So wirkte Jesus sein erstes Wunder. Er offenbarte damit seine Herrlichkeit, und seine Jünger glaubten an ihn.
Er offenbarte seine Herrlichkeit, das heißt sein göttliches Wesen und seine göttliche Macht. Er offenbarte sie durch die Verwandlung von Wasser in Wein. Auch hier gibt es kein schamanenhaftes Bemühen, keine Zauberformel wird ausgesprochen; nicht einmal ein Wort fällt aus seinem Munde. Allein mit seinem Willen bewirkt der Herr die Umwandlung von Wasser in Wein.
Ein ähnlicher Vorgang spielte sich ab, als in der Steppe draußen zahllose Menschen sich um ihn versammelt hatten und ihn hörten und der Abend hereinbrach. Der Herr sah die große Menge und fragte den Philippus, der aus der Nähe stammte: „Wo sollen wir Brot kaufen zum Essen für diese?“ „Brot für 200 Denare“, also für viel Geld, wie Philippus erwiderte, reicht nicht hin, daß jeder auch nur ein Weniges bekommt.“ Andreas in seiner Ratlosigkeit weist auf einen Knaben hin: „Es ist ein Knabe hier, der hat fünf Gerstenbrote und zwei Fische, allein, was ist das für so viele!“ Das ist eine lächerlich geringe Menge. Aber Jesus gerät nicht in Verlegenheit. „Lasset die Leute sich setzen!“ Zum Essen setzt man sich. Und obwohl es scheint, daß zum Essen gar nichts vorhanden ist, gibt er Befehl, daß man sich setze. Dann nimmt er die fünf Brote und die zwei Fische, dankt, teilt sie aus, und die Leute essen. Sie essen reichlich. Sie essen sich satt. Sie sind so gesättigt, daß noch Brot übrig bleibt. Sie füllten mit den übriggebliebenen Stücken zwölf Körbe – „von den fünf Gerstenbroten,“ fügt der Evangelist hinzu –, die beim Essen übriggeblieben waren.
Als die Leute das Wunder sahen, sprachen sie: „Dieser ist wahrhaftig der Prophet, der in die Welt kommen soll.“ Der Prophet, der vom Buch Deuteronomium im Alten Testament vorausgesagt ist, der einzigartige Prophet, ja mehr, der messianische König. Jesus erkannte, daß sie kommen wollten, um ihn mit Gewalt zum König zu machen. Darum zog er sich zurück auf den Berg, er ganz allein.
Auch hier, meine lieben Freunde, kein irgendwie geartetes magisches Bemühen Jesu, um das Wunder zu wirken, nicht einmal erkennbar eine Anrufung Gottes, auch kein Befehl, sondern mit drei schlichten Tätigkeitsworten, mit drei Verben beschreibt der Evangelist Johannes den Vorgang: „Jesus nahm die Brote, dankte und teilte sie aus.“ Das ist alles. Und unter der Hand verwandelte er die geringe Menge zu einer so großen, daß alle aßen und satt wurden. Hier und in Kana hat der Herr seine Herrschaft über die Elemente, die der Mensch zu seinem Leben notwendig braucht, Speise und Trank, bewiesen.
Aber auch die anderen Naturkräfte vermag er unter seine Macht zu beugen. Das erste dieser Naturwunder an der unbelebten Natur, die dem Menschen nicht zur Nahrung dient, ist die Stillung des Seesturms. Sie spielte sich ab auf dem See Genesareth. Der See Genesareth ist 21 Kilometer lang und 12 Kilometer breit. Seine tiefste Stelle in der Mitte ist ungefähr 50 Meter. In dem Kessel – der See ist von Bergen umgeben – brütet die Hitze, und von den Bergen fällt ein kalter Wind hernieder. Und wenn das sich ausgleicht, diese Hitze und der kalte Wind, dann kommt es zu gewaltigen Stürmen, die die Fischer noch heute fürchten. Die Wellen schlagen am höchsten am Ostufer, und mit Blitzesgeschwindigkeit jagt der Sturm die Wellen auf und bringt die kleinen Fischerboote in Gefahr.
Und so war es auch in diesem Falle. Die Jünger entließen das Volk und bestiegen das Boot. Sie nahmen auch Jesus in ihrem Nachen mit, und andere Schifflein begleiteten ihn. Ein gewaltiger Sturm erhob sich und warf die Wellen in das Booz, so daß es sich mit Wasser füllte. Er aber war hinten im Kahne und schlief auf einem Kissen. Sie weckten ihn auf mit dem Rufe: „Meister, liegt dir nichts daran, daß wir untergehen?“ Er stand auf, gebot dem Wind und sprach zum See: „Schweige! Verstumme!“ Da legte sich der Wind, und es wurde ganz still. Dann sprach er zu ihnen: „Was seid ihr denn so furchtsam? Habt ihr noch keinen Glauben?“ Sie fürchteten sich sehr und sprachen zueinander: „Was ist denn das für einer, daß ihm sogar Wind und Wellen gehorchen?“
In diesem Falle, meine lieben Freunde, hat der Herr seine Macht bewiesen über die Naturgewalten Sturm und Seebeben. Er spricht sie an wie ein belebtes Wesen: „Schweige! Verstumme!“ Natürlich tut er das um der Umstehenden willen. Er könnte auch in diesem Falle mit einem einfachen Willensakt den Elementen gebieten. Aber um ihnen seine Macht zu zeigen, spricht er: „Schweige! Verstumme!“ Und die Jünger sind entsetzt. Die Übersetzung, die ich vorgelesen habe, ist nicht genau wörtlich. Im griechischen Text heißt es: „Sie entsetzten sich mit gewaltigem Entsetzen.“ So heißt es wörtlich. Sie entsetzten sich mit gewaltigem Entsetzen. Denn so etwas hatten sie nie erlebt und auch nicht gehört. Und Furcht kommt auf, Furcht vor der Macht Gottes, die in diesem Mann, der am Hinterdeck schläft, sich geoffenbart hat.
Und noch einmal zeigt der Herr seine Macht über die Elemente. Die Jünger waren wiederum im Schiff, befanden sich mitten auf dem See. Er war allein auf dem Lande. Sie hatten große Mühe beim Rudern, denn sie hatten Gegenwind. Da kam er um die vierte Nachtwache, also zwischen 3 und 6 Uhr morgens, zu ihnen, auf dem See wandelnd, und wollte an ihnen vorbeigehen. Als sie ihn aber auf dem See wandeln sahen, meinten sie, es sei ein Gespenst, und schrien auf. Denn alle sahen ihn und erschraken. Er aber rief sie alsbald an mit den Worten: „Seid getrost, ich bin es. Fürchtet euch nicht!“ Und er stieg zu ihnen in das Schiff, und der Wind legte sich. Sie aber gerieten vor Staunen ganz außer sich.
Auch in diesem Falle hat der Herr ein Wunder unheimlicher Größenordnung gewirkt, die Gesetze der Schwerkraft aufgehoben. Er wandelt auf dem Wasser. Als Petrus es ihm nachmachen wollte, da versank er. Der Herr aber geht auf dem Wasser wie über festes Land, und er gebietet dem Sturm, indem er in das Boot einsteigt. „Ich bin es.“
Meine lieben Christen, wer bei diesen Berichten nicht in Staunen gerät, wer nicht entsetzt ist, der zeigt, daß er davon nichts verstanden hat. Denn das sind tatsächlich unerhörte, unglaubliche kann man fast sagen, Geschehnisse. Sie sind so gewaltig, daß man begreift, daß die Masse der nachkonziliaren Schriftgelehrten ihre Geschichtlichkeit leugnet. Nach diesen vom wahren und vollen Glauben abgefallenen Gelehrten handelt es sich hier um Anekdoten, Legenden, erfundene Predigtbeispiele, nicht um geschichtliche Tatsachen. Diese Verräter am Glauben sagen zum Beispiel: Die Stillung des Seesturmes ist eine gut ausgedachte Geschichte, um zu zeigen, daß man auch in gefährlicher Situation auf Jesus sein Vertrauen setzen kann und Mut haben soll. Tja, meine lieben Freunde, warum soll ich denn auf Jesus mein Vertrauen setzen und Mut haben, wenn ich gar nicht weiß, daß er einer gefährlichen Lage gewachsen ist? Wenn er gar nicht bewiesen hat, daß er solche Situationen meistern kann? Hier werden die Tatsache und die Folge der Tatsache geradezu umgekehrt! Nicht weil die Jünger einen phantastischen Begriff von Jesu Persönlichkeit und seiner Macht hatten, haben sie ihm solche Geschichten zugeschrieben, sondern weil sie mit ihm unerhörte Dinge erlebt haben, kamen sie zu der Überzeugung: Auf ihn kann man bauen! Ihm kann man trauen! Wenn er dabei ist im Schiffe, braucht man keine Angst zu haben!
Oder diese nachkonziliaren Schriftgelehrten sagen, durch diese Geschichten wolle man etwas von der überwältigenden Persönlichkeit Jesu darstellen, seine machtvolle und große Erscheinung vor den Menschen. Wiederum muß man die Frage stellen: Woher kommt denn der Eindruck von dieser machtvollen Persönlichkeit, wenn Jesus all diese Geschehnisse nicht gewirkt hat? Das ist doch eine bloße Phantasie, das ist doch eine reine Einbildung. Hinter ihr steht doch gar kein Faktum, wenn Jesus die Taten nicht gewirkt hat, die ihm im Evangelium zugeschrieben werden. Wie kann man sagen: Gott hilft und Gott rettet, wenn Gottes helfende und rettende Macht sich in Jesus niemals bewährt hat? Das ist doch eine offenkundige Fiktion! Und wenn Jesus diese Taten nicht gewirkt hat, wie sollen wir seine Wesensart wirklich erkennen? Aus den Taten entnehmen wir doch, wer er war und wie er war. Und wenn die Taten wegfallen, dann fällt auch die machtvolle Persönlichkeit Jesu weg. Dann wird aus Jesus ein Weisheitslehrer, wie wir deren viele gehabt haben, ob wir nun an Buddha oder Konfutse, Schopenhauer oder Nietzsche denken. Sie alle haben neben vielen Irrtümern auch Richtiges gesehen, und man kann sich mit Gewinn an manche Weisheitslehrer halten. Aber nur wenn Jesus der Herr über Leben und Tod ist, wenn er der Schöpfer ist, dem die Naturgewalten gehorchen, nur dann können wir uns auf ihn einlassen im Leben und im Sterben. Nur dann hat es einen Zweck, ihn anzubeten.
Noch nicht – noch nicht! – ziehen die Schriftgelehrten die Folgerung: Also ist Jesus ein bloßer Mensch gewesen wie alle anderen auch, sehr weise, sehr mutig, sehr tugendhaft, aber eben ein Mensch und nicht mehr als ein Mensch. Noch nicht ziehen sie alle diese Folgerung. Aber sie muß gezogen werden, wenn alles das nicht stimmt, was sie als engeblich ungeschichtlich aus den Evangelien wegstreichen.
Diese Dinge, die ich Ihnen hier unterbreite, meine lieben Freunde, stehen, mehr oder weniger deutlich, in den Lehrbüchern, die Ihre Kinder und Kindeskinder in die Hand nehmen. Wenn sich die Bischöfe und wenn sich die Zeitungsschreiber wundern, daß die Kirchen leer werden – ich wundere mich überhaupt nicht! Ich sehe das als die logische Folgerung an aus dem, was den Kindern gesagt und gelehrt wird. Wozu in die Kirche gehen, wenn der Altar leer ist? Wenn auf dem Altar nicht das Opferlamm, unser Herr Jesus Christus, Gott und Mensch, Heiland und Erlöser, liegt? Wozu in die Kirche gehen? Wozu in die Messe gehen? Das ist überflüssig, wenn hier nur an den galiläischen Weisheitslehrer gedacht wird.
Lassen Sie sich, meine lieben Freunde, nicht irre machen! Und lassen Sie sich auch nicht täuschen, als ob es, wenn man die Wunder, wenn man die Naturwunder Jesu leugnet, nicht weiter schlimm ist. Es passiert nicht weniger und nicht mehr als daß der katholische Glaube, als daß der christliche Glaube zusammenfällt!
Halten wir uns an das, was die ganze Kirche seit zweitausend Jahren festgehalten hat: Jesus hat wirklich und wahrhaftig Wunder gewirkt, Wunder an Menschen, Wunder an der Natur, unerhörte Wunder, Wunder, die seine Persönlichkeit als den menschgewordenen Gottessohn ausweisen, Wunder, an die wir uns halten können, weil sie geschichtlich beglaubigt sind, viel besser als andere Geschehnisse, die weniger beglaubigt sind und an denen niemand zweifelt. Halten wir uns daran und bekennen wir: Jesus, du wunderbarer Gott und Heiland, du hast mit deiner Macht diese Erde geschaffen und regierst die Welt. Wir glauben an dich, daß du auch heute der Herr der Zeit und der Herr der Natur bist. Wir glauben daran, daß du der Herr der Naturgesetze bist. Und wir glauben daran, daß du mit deiner allmächtigen Hand das All regierst und uns in dem Himmel deiner Freuden die Seligkeit der Ewigkeit schenken kannst.
Amen.