Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
22. Januar 2023

Das Böse durch das Gute überwinden

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Die Epistel des 3. Sonntags nach Erscheinung schließt unmittelbar an die Epistel des 2. Sonntags nach Erscheinung an. Darin singt und klingt es von der Liebe. Wir sollen Frieden halten mit dem Mitmenschen. Wir sollen keine Rache nehmen am Feinde. Wir sollen uns nicht überwinden lassen vom Bösen. Nein, wir sollen das Böse durch das Gute überwinden.

An erster Stelle: Niemandem vergeltet Böses mit Bösem. Der naturhaft denkende und reagierende Mensch handelt nach der Devise: Wie du mir, so ich dir. Er macht sein Verhalten zum Nebenmenschen abhängig von dessen Benehmen. Dem, der ihm Böses tut, vergilt er mit Bösem. Die Extremform der Vergeltung ist die Rache. Edle Menschen aller Zeiten haben diese Form des Umgangs miteinander verworfen. Der griechische Feldherr Phokion wurde vom athenischen Volk als achtzigjähriger Greis auf Grund haltloser Anklagen zum Tod durch den Giftbecher verurteilt. Als die Stunde der Urteilsvollstreckung gekommen war, trank Phokion den Becher ruhig aus und sprach zu seinem Freund: „Sag meinem Sohn, er möge das Unrecht, das die Athener mir zugefügt haben, niemals rächen, sondern vergessen. Das ist mein letzter Wunsch und Wille.“ Der heidnische Kaiser Marc Aurel schreibt in seinen Selbstbetrachtungen: „Die beste Art, sich an jemand zu rächen, ist die, nicht Böses mit Bösem zu vergelten.“ Auch die Vernunft rät zu solchem Verhalten. Willst du Befriedigung für einen Augenblick? Dann räche dich. Willst du Befriedigung für immer? Dann vergib. Rache macht das Herz nicht glücklich, sie macht das Herz nur schwer. Die Herrschaft des Bösen wird nicht gebrochen, wenn einer auf das Böse anderes Böses draufsetzt; sie wird nur verstärkt. Allein die Kraft des Guten überwindet das Böse. Das Alte Testament verbietet wiederholt die Rache. „Sprich nicht: ,Ich will das Böse vergelten!ʻ Harre vielmehr auf den Herrn, damit er für dich eintrete“ (Spr 20,22). Der Apostel Paulus fordert kategorisch: Niemandem vergeltet Böses mit Bösem. Der heilige Augustinus mahnt: „Wirf den Zorn hinaus aus deinem Herzen, noch ehe des sichtbaren Tages Licht vergeht, damit nicht das unsichtbare Licht aus deinem Herzen weiche.“

Der Gegensatz des Bösen ist das Gute. Von ihm fordert Paulus: Seid auf das Gute bedacht nicht nur vor Gott, sondern auch vor allen Menschen. Gott ist der Gesetzgeber der Gebote. Er fordert vom Menschen das Tun des Guten. Zuerst um seinetwillen soll der Christ dem Sittengesetz gehorchen. Gottes Wille und Gottes Gesetz ist die entscheidende Norm des Sittlichen. Gottes Wille ist ein allumfassender, unbedingt verpflichtender; ihm gebührt die Ehrfurcht und die Hingabe des ganzen Menschen. Der Gehorsam gegen Gott, die Erfüllung seiner Gebote verherrlicht Gott, ist Teil der Anbetung, die das Geschöpf dem Schöpfer schuldet.

Der Christ soll sich seines Rechttuns nicht rühmen. Er soll es aber auch nicht verbergen. Die Nebenmenschen dürfen und sollen erfahren, dass er darauf bedacht ist, Gottes Willen zu tun. Das ist schon aus apologetischem Grund notwendig. Die übrigen Menschen sollen dem Christen nicht nachsagen können, dass er heimlich oder im Verborgenen Böses tut. Die Vorwürfe und die Anklagen gegen die Christen werden gegenstandslos, wenn die Christen lauter und makellos leben. Der offenbare gute Wandel der Christen soll Zeugnis ablegen von ihrer Verbindung mit Christus. Wer „sittsam, gerecht und fromm“ (Tit 2,12) lebt, ist ein Zeuge Christi. Er wirbt für seinen Herrn. Der Apostel Petrus weiß um den Argwohn und das Misstrauen der Heiden gegen die Christen. Er hat die Anfänge der Nachstellungen und der Verfolgung gegen die Gemeinde Jesu erlebt. Sie nahmen ihren Ausgang von Verleumdungen. Das Fernbleiben der Christen vom Staatskult und ihr reiner, bildloser Gottesglaube erschien den Heiden als Atheismus und daher als Ausbund aller Schlechtigkeit. Ihr Abendmahl und die Agape wurden als thyesteisches Mahl, d.h. als Verzehr kleiner Kinder und als Gelegenheit zur Verübung ödipodeischer Unzucht, d.h. als Blutschande hingestellt. Dazu kamen Verleumdungen wie Aberglaube, Zauberei, Sonnenanbetung, Eselskult, Hass gegen das Menschengeschlecht. Der Apostel Petrus wusste, wie schlimm viele Menschen von den Christen dachten. Er sah darin Unwissenheit und Unverständnis. Ihren Bezichtigungen und Schmähungen können die Christen nur ihre lautere Lebensweise entgegensetzen. „Das ist der Wille Gottes, dass ihr durch einen rechtschaffenen Wandel unwissende, unverständige Menschen zum Schweigen bringt“ (1 Petr 2,15). Gegen die Verunglimpfungen hatten die Christen keine andere Waffe als ihren ehrbaren Lebenswandel. Sie konnten hoffen, dass die Heiden dazu eines Besseren belehrt werden und den Weg zum Christentum finden. Führt einen ehrbaren Wandel unter den Heiden; dann werden sie, die euch als Übeltäter verleumden, eure guten Werke sehen und Gott preisen am Tage der Heimsuchung (1 Petr 2,12).

Für unsere Zeit hat der Berliner Großstadtapostel Carl Sonnenschein eine ähnliche Forderung für die Christen aufgestellt: Seid bedacht auf das Gute vor allen Menschen! „Die Menschen müssen in unser Zimmer schauen können. Bis in den Rempter. Bis in die Schlafstuben. Unser Christentum muss sein wie ein Glaspalast. Wie ein Aquarium mit doppelten Scheiben. Jede Haltung, jeder Genuss, jede Nacht muss die Probe der Menschheit vertragen können. Um uns muss Licht sein, wenn unser Christentum glaubhaft sein soll. Dieses Christentum muss uns auf der Stirn und in den Augen geschrieben stehen. Dieses Christentum muss die Ölung unserer Hände, muss unser Leben sein.“

Die nächste Mahnung für den Umgang mit den Menschen, die Paulus ausspricht, lautet: Haltet, wenn möglich, soviel an euch liegt, Frieden mit allen Menschen. Frieden ist der Zustand eines verträglichen und gesicherten Zusammenlebens von Menschen sowohl innerhalb sozialer Einheiten als auch im äußeren Verhältnis von Gruppen, Gesellschaften oder Organisationen. Alle wollen Frieden haben, aber das, was allein Frieden schaffen kann, das wollen nicht alle. Was ist das? Es ist zunächst der Friede in der eigenen Brust. Bewahre du zuerst Frieden in dir selbst, dann kannst du auch anderen Frieden bringen. Frieden kannst du nur haben, wenn du ihn gibst. Wer mit sich selbst im Frieden lebt, denkt von keinem Arges. Wer aber mit sich selbst im Unfrieden lebt, wird von mancherlei Argwohn hin und her geworfen. Er selbst hat keine Ruhe und lässt auch anderen keine Ruhe. Sodann kann friedfertig, friedliebend, friedenstiftend nur sein, wer die erforderlichen Tugenden erworben hat. Gottes Friede kehrt bei denen ein, die demütig und sanftmütig sind und es von ganzem Herzen sind. Mit einem demütigen und sanftmütigen Menschen kommt es nicht leicht zum Streit. Und ein demütiger und sanftmütiger Mensch beendet einen Streit leicht, weil er bereit ist, die Schuld auf sich zu nehmen. Es kommt nicht immer auf uns an, Frieden zu halten, aber soweit es auf uns ankommt, müssen wir es mit ganzer Kraft versuchen. Es gibt Menschen, die dauerhaften Frieden mit sich haben und auch mit anderen im Frieden leben. Es gibt aber auch Menschen, die weder in sich Frieden haben noch andere in Frieden lassen. In das Zelt des Herzogs von Guise, des tapferen Feldherrn im Kampf gegen die Heere der Hugenotten, schlich sich einer seiner Feinde, um ihn zu ermorden. Er wurde gefasst und vor den Herzog geführt. Dieser fragte ihn: „Habe ich dir etwas zuleide getan, dass du mich ermorden wolltest?“ „Nein“, antwortete der Hugenotte, „aber ich wollte dich töten, weil ich dich als den größten Feind meines Glaubens hasse und verfluche.“ Der Herzog antwortete: „Wenn dein Glaube dir gebietet, mich zu hassen, so gebietet mein Glaube, dir zu verzeihen.“

„Rächet euch nicht selbst, sondern lasst dem Zorngericht Gottes Raum. Denn es steht geschrieben: Mein ist die Rache, ich will vergelten, spricht der Herr“ (Röm 12,17f.). Die Rache ist nicht unsere Aufgabe. Gott allein ist zuletzt der, vor dem sich jeder zu verantworten hat. Christliches Dulden und Verzeihen ist kein Zudecken des Bösen. Es erinnerst nur daran, dass Gott sich die Rache vorbehalten hat. Das Böse wird mit tödlicher Sicherheit seine Strafe finden. Aber es ist nicht des Menschen Aufgabe, solche Rache aus eigenem Auftrag zu vollziehen und der Hand Gottes vorzugreifen. Es lebt ein Gott, zu strafen und zu rächen (Schiller, Wilhelm Tell). Gott lässt seiner nicht spotten. Gott straft. Daran besteht kein Zweifel. Wie straft er? Womit einer sündigt, damit wird er gestraft. Die Sünde selbst birgt in sich schon die Strafe. Gott straft nicht wie ein Mensch. Was wir als Strafe Gottes bezeichnen, ist nichts anderes als der Ausschlag der Heiligkeit Gottes gegen das Böse. Was bedeutet Gottes Rache? Wenn Gott sagt: „Mein ist die Rache“, dann ist damit nicht die Leidenschaft der Vergeltung gemeint. Sein Vergelten ist ein ganz anderes gegenüber dem, was unser unerlöstes Herz begehrt. Beim „Rächen“ Gottes kommt das Vergeltungs- und Rachebedürfnis des natürlichen Menschen niemals auf seine Kosten, weder in der Zeit noch in der Ewigkeit, sondern nur das Verlangen nach Erweisung der richtenden Gerechtigkeit Gottes, das mit seinem Liebeswillen eins geworden ist.

Es gilt, nicht von dem Bösen in den Menschen selber zu Rachegefühlen überwunden zu werden, sondern das Böse innerlich zu überwinden durch das Gute. Das Christentum fordert für den Umgang mit Feinden nicht nur den Verzicht auf Vergeltung; es verlangt Achtsamkeit, Fürsorglichkeit, Betreuung. Paulus fasst es in die Worte: Vielmehr wenn dein Feind Hunger hat, so gib ihm zu essen. Wenn er Durst hat, gib ihm zu trinken. Handelst du so, dann sammelst du feurige Kohlen auf sein Haupt. Der Christ soll auch seinem Feind gegenüber Erbarmen, ja Güte üben (Mt 5,43-48). Der Apostel führt ein Wort der Heiligen Schrift zum Beweis an (Spr 25,21f.) aus dem Buch der Sprüche: „Hungert deinen Feind, so speise ihn mit Brot; dürstet ihn, so tränke ihn mit Wasser. Denn so sammelst du glühende Kohlen auf sein Haupt, und der Herr wird es dir vergelten.“ Die Heilige Schrift, also Gott fordert, dem Feinde wohlzutun. Aber kann dann nicht Bosheit und Unrecht ungehemmt triumphieren? Nein, alles Unrecht verfällt dem kommenden Zorngericht Gottes. Er vergilt. Unsere Sache ist das nicht. Unser Herr und Meister mahnt: „Liebet eure Feinde, tuet Gutes denen, die euch hassen, segnet die euch fluchen, betet für jene, die euch verleumden“ (Lk 6,27f.). Auch edle Heiden haben um die Feindesliebe gewusst und sie empfohlen. Es ist ein Vorzug des Menschen, auch diejenigen zu lieben, die ihn beleidigen (Marc Aurel, Selbstbetrachtungen). Die beste Art, sich an jemand zu rächen, ist die, nichts Böses mit Bösem zu vergelten (ebenda). Die erhoffte Auswirkung beschreibt der Apostel mit dem Bild von den feurigen Kohlen, die dadurch auf das Haupt des Menschen, den Sitz seines Nachdenkens, gestreut werden. Feurige Kohlen auf dem Haupt zwingen den Menschen, seine Haltung aufzugeben; so wird der Edelmut den Starrsinnigen am Ende doch überwinden. Güte von dem als Feind Behandelten zu erfahren ist für die feindselige Gesinnung so unerträglich wie glühende Kohlen auf dem Haupt; man muss seine Haltung aufgeben. Solche Güte hat in sich die unwiderstehliche Macht schmerzlicher Beschämung und Überwindung des Trotzes. So ist die christliche Haltung gegenüber dem Unrecht, das einem angetan wird, der Verzicht auf Vergeltung, nicht weichliche Schwäche, sondern mächtige Stärke; nicht bequeme Ergebung, sondern handelnder Glaube an die Macht des Guten. Mit all dem hat Paulus die Liebe ganz im Geist Christi gezeichnet: Scheinbare Ohnmacht im Verzicht auf Rache trägt in sich eine gewaltige Macht, die Macht der ernsten Liebe Gottes. Umgekehrt gilt: Wer mit Bösem auf das Böse antwortet, ist ihm zum Opfer gefallen. Er ist vom Bösen überwunden worden. Darum mahnt Paulus: Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse durch das Gute. Wo einer aus der Kraft des Guten auf das Böse antwortet, ist ein wirklicher Sieg errungen. Denn nicht, dass der eine oder der andere triumphiert, ist wichtig, sondern dass das Gute und damit Gott das letzte Wort behält.

Was Paulus vorträgt, ist nicht die Sittenlehre der Rabbinen, die er einst gelernt hat. Was er uns auferlegt, ist Weisheit aus Gottes Mund, verpflichtend und verbindlich aufgrund seines göttlichen Ursprungs. Wenn wir Christen uns allezeit nach ihr richten, sind wir wahrhaft Kinder unseres Gottes und Brüder Christi.

Amen. 

Schrift
Seitenanzeige für große Bildschirme
Anzeige: Vereinfacht / Klein
Schrift: Kleiner / Größer
Druckversion dieser Predigt