3. Juni 2021
Das eucharistische Opfersakrament I
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
Christus hat durch seinen Tod ein Opfer vollzogen. Er ist das Sühnopfer für die Sünden der Menschen. Ein anderes als dieses Opfer gibt es nicht. Christus hat sich ein für allemal geopfert. Sein Opfer ist ein einmaliges, geschichtliches, nicht wiederholbares Ereignis. Infolge seiner Vollkommenheit verträgt es und braucht es keine Wiederholung. Das Blut Christi wirkt für immer, für alle Zeiten und für die gesamte Menschheit. Christus ist der eine Priester, der in Ewigkeit bleibt und ein unvergängliches Priestertum hat. Es ist ein unumstößlicher Glaubenssatz der Kirche: In der heiligen Messe wird Gott ein wirkliches und eigentliches Opfer dargebracht. Die Eucharistie ist das von Christus gestiftete Opfersakrament der Kirche. Da erhebt sich die Frage: Gerät ein sich immer wiederholendes Opfer der Kirche nicht mit der Einmaligkeit des neutestamentlichen Opfers in Widerspruch? Besteht ein Zusammenhang zwischen dem einmaligen Opfer, das Christus am Kreuze darbrachte, und den vielen Opferfeiern der Kirche?
Um das Heil zu erlangen, muss die ganze Menschheit Anteil an dem Opfer Christi gewinnen. An der im Kreuzestod Christi geschehenen Selbsthingabe Christi an den Vater nimmt die Kirche teil in dem eucharistischen Opfersakrament. Nun lässt sich die Frage beantworten, ob die Existenz des eucharistischen Opfers der Einmaligkeit des Kreuzesopfers widerspricht. Von einem solchen Widerspruch kann deshalb nicht die Rede sein, weil das eucharistische Opfersakrament nichts anderes ist als das Kreuzesopfer in sakramentaler Form. Das Konzil von Trient hat gegen die Glaubensabtrünnigen formuliert: Im Messopfer wird jenes blutige Opfer dargestellt, sein Andenken bewahrt und seine heilbringende Kraft zugewandt (representaretur, permaneret, applicaretur). Eucharistisches Opfersakrament und Kreuzesopfer fallen im Wesentlichen zusammen. Verschieden ist nur die Opferweise. Die Dieselbigkeit zwischen dem Kreuzesopfer und dem eucharistischen Opfer ist dadurch verbürgt, dass die Opfergabe beide Male dieselbe ist und dass der Opferpriester beide Male derselbe ist. Der Unterschied in der Opferweise besteht darin, dass Christus das eine Mal durch sein freiwilliges blutiges Sterben geopfert wurde, das andere Mal unblutigerweise geopfert wird. So wird die eucharistische Feier zu einer Gedächtnisfeier, zu einen Gedächtnis des Kreuzesopfers. Die Kraft und der Segen des Kreuzesopfers sind eingegangen in die Feier des eucharistischen Opfersakramentes. Die Früchte des blutigen Opfers werden durch die Feier des unblutigen Opfers überreich erlangt. Das eucharistische Opfersakrament ist ein Geheimnis des Glaubens. In ihm verleiblicht sich die Liebe Gottes, des Unbegreiflichen. Die Eucharistie ist daher selbst wesenhaft unbegreiflich. Die Eucharistie ist ein Bild dessen, was auf Golgotha geschah. Aber es ist ein Bild von besonderer Art. In diesem Bilde wird das Abgebildete selbst gegenwärtig. Die Wirklichkeit des Kreuzesopfers ist in diesem Bild selbst gegenwärtig. Die Gegenwärtigkeit des Kreuzesopfers ist eine solche in seinen Wirkungen. Die Eucharistie ist ein Opfer, in dem das einmalige Kreuzesopfer vergegenwärtigt wird, sein Gedächtnis bis zum Ende der Zeit bewahrt wird und seine Heilskraft für die täglich begangenen Sünden zugewendet wird. Die Eucharistie ist der höchste Akt der Anbetung und Danksagung gegen Gott; sie ist ein Lob- und Dankopfer. Die Eucharistie ist aber auch ein Sühnopfer; sie ist sündentilgend und straftilgend. Die Eucharistie ist schließlich auch ein Bittopfer; das eucharistische Opfer wird für alle erlaubten Anliegen dargebracht. Nach einer anderen Erklärung wird das am Kreuze vollzogene Mysterium des Heils selbst in einer nicht mehr dem Bereich der Erfahrung angehörigen Weise gegenwärtig.
Träger des wirklichkeitserfüllten Abbildes des Sterbens Christi sind der Leib und das Blut des Herrn selbst, und zwar sofern sie zusammen das eucharistische Opfer darstellen. Am geschichtlichen Christus geschah das Heilswerk des Todes, am sakramentalen Leib und Blut Christi wird dieses Mysterium sinnbildlich dargestellt. Wir feiern das objektive Gedächtnis seines Leidens, seiner Auferstehung und seiner Himmelfahrt. Darin besteht unser Opfer, das wir dem Vater darbringen. Wir bringen dadurch das Opfer dar, dass wir die Heilstat Christi in der Gedächtnisfeier gegenwärtig setzen. Die Vergegenwärtigung des Opfers Christi bedeutet mehr als die wirklichkeitserfüllte Abbildung dieses Opfers an der Kirche. Das Bild des Todes Christi strahlt im eucharistischen Opfer an seinem gegenwärtig gesetzten Leib und Blut selbst auf. Die Eucharistie stellt den Tod Christi dar, und zwar dadurch, dass Leib und Blut aufgrund des sakramentalen Geschehens getrennt sind. Sie versinnbildet so das Leiden des Herrn. Sie ist das Sakrament des Herrenleidens. Das Opfergeschehen des Kreuzes wird im Bild sakramental dargestellt. Die Eucharistie ist Opfer als sakramentales Abbild des wirklichen Leidens Christi am Kreuze. Leib und Blut Christi werden durch den Vollzug des äußeren Zeichens als die am Kreuze dem himmlischen Vater dargebrachte und nun in der Eucharistie durch den Dienst der Kirche an ihn hingegebene Opfergabe gegenwärtig.
Die Tatsache, dass die Eucharistie die Feier des Herrenleidens ist, erweist das eucharistische Opfer als beziehentliches Opfer. Es ruht nicht in sich selbst. Es hängt gänzlich vom Kreuzesopfer ab. Es geht darin auf, zum Kreuzesopfer in Beziehung zu stehen. Es ist nicht bloß dieselbe Opfergabe und derselbe Opferpriester, sondern auch dasselbe Opfergeschehen. Es ist das jeweils im Hier und Jetzt erscheinende Kreuzesopfer. Soll dieser unser Opfer ein wahres und kein leeres sein, dann muss Christus in demselben Augenblick, wo wir ihn opfern, auch selbst einen Opferakt setzen. Dieser Opferakt ist die Hauptsache. Er ist wesentlich mit dem Opferakt Christi am Kreuze identisch. Dass Christus diesen Opferakt setzt, ist leicht erkennbar. Denn er hat bei der Einsetzung der Eucharistie ein für allemal zugesagt, dass er als Opferleib zugegen sein wolle. Damit ist die Sicherheit gegeben, dass er stets in der erforderlichen Opfergesinnung zugegen ist. Wie könnte er auch jemals von dieser vollkommenen Opfergesinnung und -hingabe an den Vater zurücktreten? Die Opfergesinnung Christi muss seinen Opfertod am Kreuze einschließen; das fordert die Identität von Messopfer und Kreuzesopfer. Die Opfergesinnung Christi schließt substantiell denselben Liebesgehorsam wie am Kreuze in sich, aber derart, dass er jetzt seinem Vater die Früchte jener Leidenstat für seine Brüder darbietet. Die Opfergesinnung Christi ist darauf gerichtet, die heilbringende Wirkung des Kreuzesopfers uns zuzuwenden. Sie umfasst das einmalige und einstmalige Leiden und Sterben und sucht es – in stets fortgesetzter Hingabe an den Willen des Vaters – für seine ihm inkorporierten Glieder fruchtbar zu machen. Die Eucharistie ist das immer von neuem gegenwärtig gesetzte Erlösungswerk des Herrn. Sie ist der Erweis der Kraft und Reichweite des Kreuzesopfers. Sie fügt zum Kreuzesopfer nichts hinzu. Das eucharistische Opfer verdunkelt das Kreuzesopfer nicht. sondern bringt es im Gegenteil zur Erscheinung.
Christus ist auch der Opferer der Eucharistie. Wie jedes andere Sakrament wird auch das eucharistische Opfersakrament letztlich von Christus vollzogen. Auch hier ist er der Heilswirker, der uns unsichtbar ergreift und in sein eigenes Leben hineinzieht. Er ist der Opferpriester. Aber Christus vollzieht das eucharistische Opfersakrament nicht wie das Kreuzesopfer unmittelbar durch die Gebärde seines menschlichen Leibes. Er vollzieht es vielmehr durch den Dienst der Kirche, durch das Wort und Tun seines mystischen Leibes. Die Kirche soll es dem Vater darbringen. Christus setzt seinen einmal geschehenen Tod durch die Kirche gegenwärtig, damit sie an ihm Anteil nehme. Dadurch dass Christus der Kirche sein eigenes Opfer anvertraute, wird es ihr Opfer; sie kann es dem Vater im Himmel als ihr eigenes darbringen. Die Kirche ist das Werkzeug, der Mund und die Hand Christi. Es ist das Wort ihres Hauptes, das sie beim Vollzug des Opfers spricht. Wenn der Priester sagt: Das ist mein Leib, das ist mein Blut, spricht er diese Worte in der Person Christi, die er darstellt. Er spricht nicht mehr als er selbst, sondern als Christus, kraft der besonderen Teilhabe am Hohepriestertum Christi, die er durch die Priesterweihe erlangt hat. Christus ist also beim eucharistischen Sakrament der Opferpriester, sofern er durch den irdischen Priester dargestellt wird. Christus wirkt im Wort des Priesters. Sonst müsste dessen Wort ohnmächtig bleiben. Christus, das Haupt, setzt in seinem eigenen (der Kirche anvertrauten) Wort die Majestät seiner Macht ein. Er ist also der Opferpriester, der im Tun des menschlichen Priesters handelt. Primärer Opferpriester ist Christus; der menschliche Priester ist sekundärer Opferpriester. Wohl opfert der Priester wahrhaft das Opfer der Kirche; aber Voraussetzung für seine Opfertat ist die des eucharistischen Heilands. Dieser muss dem Priester und der Kirche die Opfergabe bieten, den Opferakt und die Opferfähigkeit (= Priestertum). Die Opfergabe und den Opferakt (oder die Opfergesinnung) bewirkt Christus fortwährend unmittelbar und in nächster Verbindung mit jedem Messopfer persönlich. Die opfernde Tätigkeit des göttlichen Hohenpriesters ist überall das Fundament für die gleiche Tätigkeit des stellvertretenden Priesters.
Die Kirche Gottes besitzt nicht Erhabeneres, nichts Heiligeres, nichts Wunderbareres als das eucharistische Opfersakrament. Denn es enthält die vorzüglichste und größte Gabe Gottes, ihn selbst, den Quell und Urheber aller Gnade und Heiligkeit, Christus den Herrn. Darum beten wir: Hochgelobt und gebenedeit sei das heiligste Opfer und Sakrament des Altares von nun an bis in Ewigkeit.
Amen.