29. April 2018
Gottes Allwirksamkeit
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
„Jede gute Gabe und jedes vollkommene Geschenk kommt von oben, vom Vater der Lichter“, so hat uns heute in der Epistel der Apostel Jakobus belehrt. Er spricht damit Gottes Allwirksamkeit an. Die erste und grundlegende Äußerung der Allwirksamkeit Gottes ist die Schöpfung. Gott hat die Welt aus nichts erschaffen. Der Ausdruck „aus nichts“ besagt nicht, dass das Nichts ein Grundstoff wäre, aus dem Gott die Welt gebildet hätte, er bedeutet vielmehr die Abwesenheit jeder außergöttlichen Mitursache. Nachdem bis dahin nichts existierte, begann in der von Gott bestimmten Stunde die Welt zu existieren. Das Weltgefüge ist nach Inhalt und Wirklichkeit ausschließlich der Allmacht Gottes zu verdanken. Die Menschen können nur aus einem vorhandenen Stoff etwas machen, Gott aber hat auch den Stoff gemacht, aus dem wir alles bilden. Mit der Lehre von der Schöpfung stehen nicht im Widerspruch die Gesetze von der Erhaltung des Stoffes und der Energie. Sie beziehen sich nämlich bloß auf den existierenden Stoff und die existierende Energie, erklären aber nicht die Tatsache des Existierens selbst. Das Dogma von der Schöpfung führt noch hinter jene Gesetze zurück. Es gibt Aufschluss über die Herkunft dieser letzten Gegebenheiten. Die Lehre von der Schöpfung befreit unser Denken und Forschen von der Unwissenheit bezüglich der Existenz und der Entstehung des Weltalls. Die theoretische Physik hat die Theorie vom Urknall – Big Bang, amerikanisch – aufgestellt. Danach nahm das gesamte Weltall am Anfang ein unendlich kleines Volumen mit einer unendlich hohen Energiekonzentration ein und hat sich ausgedehnt, expandiert explosionsartig. Diese Theorie beantwortet nicht die Frage, woher der Ausgangspunkt dieses Prozesses stammt. Diese Frage beantwortet die Lehre von der Schöpfung. Die Lehre von der Schöpfung klärt die Frage, warum nicht überhaupt nichts ist. Es ist ja denkbar, dass gar nichts wäre, nein, diese Erklärung durch die Schöpfung ist durchaus vernünftig. Der unendlich weltüberlegene Gott hat kraft seiner Allmacht eine endliche Wirklichkeit (das Weltall) geschaffen. An diese Wahrheit hatte schon der griechische Philosoph Aristoteles gedacht. Die Bewegung, also das Leben und das Sein eines Dinges, muss angestoßen werden, es muss irgendwo herkommen. Es wird angestoßen von einem anderen Ding und dieses wiederum von einem dritten Ding, und so geht das weiter. Aber am Ende oder besser am ersten Glied der Kette muss eine Wirklichkeit stehen, die nicht angestoßen wird, die vielmehr selbst anstößt, der unbewegte Beweger, so Aristoteles.
Gott hat die Welt nach ihrer Erschaffung nicht sich selbst überlassen, er hat sich nicht zurückgezogen, er hat sich nicht überflüssig gemacht. Gott erhält die Dinge im Dasein. Seine erhaltende Tätigkeit ist nicht bloß eine Nichtzerstörung, sondern ein den Fortbestand der Dinge bewirkender Einfluss. Gott ist mit der Erschaffung der Welt nicht in einen Zustand passiver Ruhe eingetreten, er ist als Erhalter und Leiter der Welt der immerfort lebendig Schaffende. Jedes Ding empfängt sein Sein von Gott. Es kann niemals ohne den positiven Einfluss Gottes existieren. D.h.: Gottes erhaltende Tätigkeit ist keine andere als die schöpferische. Die Welt wird immerfort geschaffen von Gott, indem sie am Leben erhalten wird. Gottes erhaltende Tätigkeit bewirkt ihren Fortbestand. Eine Vernichtung der Welt käme nur zustande, wenn Gott seinen Einfluss zurückzöge. Als Schöpfer und Erhalter der Welt ist Gott der Allwirksame. Er leiht jeder geschöpflichen Tätigkeit seinen unmittelbaren Einfluss, seine physische Mitwirkung. Die Theologie spricht vom concursus generalis physicus. Allgemein heißt diese Mitwirkung, weil sie sich auf jedes Geschöpf bezieht. Physisch heißt sie, weil sie innerlich in Berührung mit dem Wesen der Dinge und ihren Kräften dargeboten wird. Mitwirkung heißt sie, weil ein Zusammenwirken stattfindet von einer prinzipalen und einer sekundären Ursache. In diesen Tagen, meine lieben Freunde, haben Russlanddeutsche eine Kirche eingeweiht, die sie selbst gebaut haben, in Sibirien – Alexandrowka. Die Kirche wurde geschaffen durch das Zusammenwirken dieser Gemeinde. Und doch wurde bei der Einweihung dieser Kirche gesagt: Wir danken Gott für seine Hilfe. Aber Gott hat doch keinen Mörtel gerührt, Gott hat doch keine Balken herbeigebracht, nein, aber in allem Tun der Menschen, die die Kirche gebaut haben, war Gottes Kraft tätig. Die Handlungen der Menschen waren nur möglich, weil Gott sie getragen hat. Jedes geschöpfliche Tun ist von Gott als dem Haupttätigen gewirkt. Gott wirkt das Tun der Menschen. Er schafft den Menschen als Handelnden, er ist als der Haupttätige innerlichst im geschöpflichen Tun gegenwärtig. Man darf das Verhältnis von Gott und Geschöpf nicht so denken, als ob Gott einen Teil der Wirkung setzte und das Geschöpf einen anderen, vielmehr ist die ganze Wirkung von Gott und die ganze Wirkung vom Geschöpf gesetzt, aber in verschiedener Weise. Gott ist der Prinzipalwirkende, das Geschöpf ist das in der Abhängigkeit Wirkende. Jeder wirkt ganz das ganze Werk: Gott prinzipal (hauptsächlich), das Geschöpf quasi werkzeuglich. So wie diese Russlanddeutschen es richtig bei der Einweihung der Kirche dargestellt haben: Gott hat uns geholfen. Die Tätigkeit der Geschöpfe macht die Tätigkeit Gottes nicht überflüssig, denn die Bewegung Gottes erfolgt, weil ein geschaffenes Ding eine Wirkung nur in der Kraft Gottes setzen kann. Umgekehrt: Die Tätigkeit Gottes macht jene des Geschöpfes nicht überflüssig. Das Geschöpf ist eine wirkliche, jedoch in der Kraft Gottes wirkende Ursache. In jedem geschöpflichen Werken wirkt sich Gott aus. Es gibt eine von Gott gewirkte Eigentätigkeit des Geschöpfes. Der heilige Augustinus hat diese Wahrheit auf seine Weise einmal ausgesprochen. „Gewiss“, sagt er, „wollen wir, wenn wir einen Entschluss fassen, er aber (Gott) bewirkt, dass wir das Gute wollen. Gewiss handeln wir, aber wenn wir etwas unternehmen, bewirkt er, dass wir handeln.“
Die Allwirksamkeit Gottes wird im Alten und im Neuen Testament eindeutig ausgesagt. Nach dem Alten Testament wirkt Gott die Geschichte der Völker und das Alltagsgeschehen der Menschen. Was immer an einem Menschen geschieht, Gott wirkt es, er wirkt Leben und Untergang. Freilich nur der Gläubige sieht in den Ereignissen der Natur und der Geschichte Gottes waltenden Willen, der Gericht hält und Heil schafft. Auch im Neuen Testament wird diese Wahrheit ausgesprochen. Jesus hatte einmal am Sabbat einen Menschen geheilt, und er wurde daraufhin von seinen Gegnern attackiert. Was sagte er zu ihnen? „Mein Vater wirkt bis auf diese Stunde, und auch ich wirke“ – mein Vater wirkt bis auf diese Stunde, d.h. er wirkt auch am Sabbat, er wirkt immer. Das Wirken Gottes, von dem Christus spricht, ist ein Wirken sowohl des Seins wie der Taten der Geschöpfe. Der Apostel Paulus hat diese Wahrheit aufgenommen. Im Brief an die Philipper schreibt er: „Gott ist es, der in euch sowohl das Wollen als auch das Vollbringen schafft“, sowohl das Wollen als auch das Vollbingen, und doch bleibt der Mensch frei, und doch wirkt der Mensch auf seine Art.
Gott wirkt die geschichtsmächtigen menschlichen Entscheidungen, dennoch bleibt dem Menschen die Verantwortung für seine Taten. Gott nimmt sie ihm nicht ab. Gott wirkt – das muss ausgesprochen werden – die guten und die bösen Taten des Menschen. Das erschreckende Geheimnis der Sünde besteht darin, dass der Mensch, der nur von Gott her existieren kann, sich willentlich gegen Gott wenden kann. Er kann bloß sein und handeln, indem Gott ihn mit seiner Liebe umfängt, und dennoch vermag er es, den Grund, der ihn trägt, und die Kraft, aus der heraus er handelt, zu verneinen, ohne in das Nichts zu versinken. Sein Hass ist das Nein gegen Gott, und doch kann er nur hassen in der Kraft Gottes. Die Sünde und der Sünder existieren im Widerspruch zu sich selbst. Durch seine Wirksamkeit an jedem menschlichen Tun wird Gott nicht an der Sünde seiner Geschöpfe mitschuldig. Bei jedem sündigen Tun ist zu unterscheiden: das Tun als solches und der Mangel an Gutsein. Das Tun als solches kommt Gott zu; soweit das Tun ein Sein ist, ist es von Gott als dem Haupttätigen gewirkt. Dass ihm aber infolge der schlechten Willensrichtung, infolge der verkehrten Gesinnungsrichtung ein Mangel an Gutsein anhaftet, fällt dem Geschöpf zur Last. Gott lässt diesen Mangel geschehen, ohne ihn selbst zu wirken. Luther leugnete die Freiheit des Menschen. Er bezeichnete die Gnade als unwiderstehlich. „Der Mensch wird entweder vom Teufel geritten oder von Gott.“ Diese Irrlehre hat das Konzil von Trient energisch zurückgewiesen. Das Konzil von Trient hat zum Glaubenssatz erhoben, dass der Mensch jederzeit Gott widerstehen und die Gnade Gottes zurückweisen kann, hat sich also zu der Freiheit des Menschen bekannt.
Die vom Glauben erleuchtete Vernunft vermag das Wirken Gottes in jedem geschöpflichen Tun folgendermaßen zu begründen: Alles, was ein Sein ist, muss seinen Ursprung in Gott, dem absoluten Sein, haben. Jedes Tun aber hat ein wirkliches, von dem Wesensbestand und von der Kraft des Tätigen verschiedenes Sein, also verdankt es sich Gott. Die Geschöpfe können in ihrem Tätigsein nicht selbständiger sein als in ihrem Sein. Die absolute Oberherrschaft Gottes über das neuentstehende Sein darf nicht geschmälert werden. Die Mitwirkung Gottes hebt die Ursachenkraft der Geschöpfe nicht auf, Gottes Mitwirkung begründet diese Ursachenkraft des Geschöpfes. Das Geschöpf ist in seiner ganzen Wirklichkeit, in seiner Gänze von Gott abhängig, also auch in seiner Aktivität. Die Abhängigkeit seiner Aktivität von Gott bedeutet, dass Gott die Aktivität begründet, und zwar in ihrem jeweiligen Vollzug. Die Begründung der geschöpflichen Aktivität besagt nichts anderes, als dass das göttliche Tun das menschliche Tun trägt. Ohne die Tätigkeit Gottes wäre daher die geschöpfliche Aktivität gar nicht möglich. Wenn man behauptete, dass es eine geschöpfliche Aktivität außerhalb der sie tragenden göttlichen Aktivität gäbe, hieße das so viel wie behaupten, dass das Geschöpf im Augenblick seines Tuns nicht von Gott abhängig wäre, also nicht mehr Geschöpf wäre.
Ich gebe zu, dass das Zusammenwirken Gottes und des Geschöpfes in jedem Tun, in jedem Sein schwer zu verstehen ist, aber das nimmt ihm nichts von seiner Wirklichkeit. Es könnte jemand sagen: Ja, ich verspüre aber gar nichts von der Wirklichkeit Gottes, von der Tätigkeit Gottes. Ich habe den Eindruck, dass alles durch mich selbst und durch mich allein geschieht – das mag sein. Gottes Wirksamkeit ist mit irdischen Mitteln nicht zu erfassen. Dass sich die Allwirksamkeit Gottes der Feststellung entzieht, ist darin begründet, dass Gottes Tätigkeit sich den von ihm gegebenen Naturgesetzen bzw. der menschlichen Freiheit anpasst. Sie verbirgt sich in und hinter dem erfahrbaren Geschehen. Es fehlt uns das Organ, um Gott unmittelbar wahrzunehmen, weil Gott in allem anders ist als das Geschöpf. Gegen die Lehre von der göttlichen Allwirksamkeit stellen die Naturgesetze keinen Einwand dar, denn die göttliche Allwirksamkeit hindert nicht die Erfüllung der Naturgesetze, löst sie vielmehr aus.
Der Glaube an Gottes Allwirksamkeit lässt uns ahnen, wenn nicht begreifen, wer Gott ist. Er ist eine einzigartige personale Wirklichkeit von höchster Existenzfülle und von unbegrenzter Macht. Seine Wirklichkeit unterscheidet ihn in einmaliger Weise von jeder anderen. Ungeschaffenheit und Geschaffensein sind total verschieden. Der Glaube an Gottes Allwirksamkeit macht uns gewiss, dass wir ganz und völlig in seiner Hand sind. Er kann über seine Geschöpfe verfügen, wie er will. Er schuldet niemand Rechenschaft, er ist nur allein sich selbst verantwortlich. Der Glaube an Gottes Allwirksamkeit erfüllt uns mit Vertrauen und Ergebung. Er wirkt und nährt das lebendige Bewusstsein der Nähe Gottes und unserer ständigen Bindung an ihn. „In ihm leben wir, bewegen wir uns und sind wir“, so steht es in der Apostelgeschichte. In ihm leben wir, bewegen wir uns und sind wir. Gott gibt uns durch diesen Glauben Zuversicht, Kraft und Mut bei unserem Tun und treibt uns an zur Entfaltung unserer Kräfte. Der Glaube an Gottes Allwirksamkeit veranlasst uns, unser Wollen und Vollbringen in Einklang mit dem Willen Gottes zu setzen. Es bewegt uns dieser Glaube zu Besonnenheit und Vorsicht. Wir sollen immer in Übereinstimmung mit dem gewussten oder mit dem vermuteten Willen Gottes handeln. Den König, dem alles lebt: Kommt, lasst ihn uns anbeten!
Amen.