20. August 2017
Der Dogmenglaube
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
„Ich weise euch auf das Evangelium hin, das ich euch gepredigt habe, das ihr angenommen habt, in dem ihr auch feststehet. Durch dieses werdet ihr auch gerettet, wenn ihr es so festhaltet, wie ich es euch verkündet habe. Denn sonst wäret ihr vergeblich gläubig geworden“, so schreibt Paulus in der Epistel der heutigen heiligen Messe an die Gemeinde in Korinth. Das Christentum ist eine Religion der Glaubenssätze. In ihnen ist der Inhalt dieser Religion zusammengefasst. Sie sind fest und unverrückbar. Die Christen müssen sie annehmen und festhalten. Die Glaubenssätze im Christentum werden als Dogmen bezeichnet. Keine Dogmen zugestehen, heißt ebenso viel, wie die christliche Religion vernichten. Die Kirche erfindet nicht die Dogmen, die Glaubenssätze, sondern sie findet sie vor. Sie bietet die Glaubenssätze dar, aber nicht nach Willkür oder Eigenmacht, sondern nach dem, was ihr der Geist zuspricht. Die Kirche ist in ihren lehramtlichen Feststellungen an Schrift und Überlieferung gebunden. Andererseits sind ihre Lehraussagen gültige Ausdeutung und der jeweiligen Zeit entsprechende sprachliche Fassung der Offenbarung, die in Schrift und Überlieferung enthalten ist. Wegen dieser Rückbindung an Schrift und Überlieferung haben die Dogmen für den Gläubigen bindende Kraft. Sie binden genauso wie Schrift und Überlieferung, denn sie ja deren Ausdeutung und deren Aussage. Ihr Geltungswert wird durch die Beobachtung, dass sie mit der Schrift übereinstimmen, nicht gesteigert.
Die Glaubenssätze des Christentums nennen wir Dogmen. Dogma ist eine von Gott unmittelbar geoffenbarte Wahrheit, welche vom kirchlichen Lehramt klar und ausdrücklich als verbindliche Offenbarungswahrheit festgestellt und verkündet wird. Eine solche Wahrheit muss um der Autorität des sich offenbarenden Gottes und zugleich um der von Christus gestifteten Autorität der Kirche willen bejaht, angenommen, festgehalten werden. Das Dogma wird durch zwei Wesensmerkmale konstituiert. Erstens: Es ist von Gott unmittelbar geoffenbart. Dies kann ausdrücklich oder einschlussweise geschehen. Einschlussweise ist eine Wahrheit geoffenbart, wenn sie in ein Gefüge von Wahrheiten eingebettet ist, sodass sie sich erst im zergliedernden Nachdenken in ihrem Eigensein darbietet. Wenn man mich fragt: Ja, wo steht denn in der Heiligen Schrift etwas von der Aufnahme Mariens in den Himmel? Dann antworte ich: Das steht so nicht in der Heiligen Schrift. Aber es ergibt sich aus anderen Wahrheiten, etwa aus der Beziehung Mariens zu ihrem Sohne, aus der Auferstehung Jesu, aus der Vorwegnahme der allgemeinen Auferstehung und weil sie die Erst- und Vollerlöste ist. Deswegen sagte Pius XII., als er das Dogma von der Aufnahme Mariens in den Himmel verkündete, „innititur“, es stützt sich auf die Heilige Schrift. Zweitens: Die im Dogma enthaltene Lehre wird vom kirchlichen Lehramt als Offenbarungswahrheit und als Gegenstand des Glaubens verkündet. Dies geschieht entweder in der feierlichen Lehrentscheidung, durch ein Konzil oder durch einen Papst, wie der Heilige Vater Pius XII. es getan hat am 1. November 1950, oder in der regelmäßigen täglichen Lehrtätigkeit. Der Inhalt der allgemeinen ordentlichen Lehrverkündigung stellt sich dar in den Katechismen, in den Enzykliken der Päpste, in Hirtenbriefen und Predigten, hoffentlich auch in Predigten. Die Kirche ist zuständig, eine Offenbarungswahrheit als Dogma vorzulegen und die Gläubigen darauf zu verpflichten. Warum? Weil sie der fortlebende Christus ist. Weil sie die von Gott selbst ermächtigte und verpflichtete Trägerin und Bürgin des göttlichen Wortes ist. Sie ist dafür verantwortlich, dass dieses Wort in der Geschichte gehört wird bis zum Ende der Zeiten. Letztlich spricht durch die Kirche, deren Seele der Heilige Geist ist, deren Haupt Christus ist, letztlich spricht durch die Kirche Gott selbst zu dem einzelnen Menschen. Der Kirche ist das schriftlich fixierte Christuszeugnis anvertraut, nicht dem einzelnen Gläubigen, wie Luther meinte, sondern der Kirche. Wenn sie das Wort auslegt, legt es im Grunde der in der Kirche wirksame Heilige Geist aus. Die Auslegung der Kirche ist Selbstauslegung durch den Heiligen Geist. Der Heilige Geist ist in der gesamten Geschichte der Kirche gegenwärtig, nicht nur am Anfang, nicht nur als er die Autoren der Heiligen Schrift inspirierte, nicht nur damals, nein, er wirkt allezeit. Er gibt nicht nur die Schrift, er gibt auch das Verständnis der Schrift.
Es ist die ganze Kirche, die für das Wort Gottes verantwortlich ist. Aber die Kirche lebt und glaubt in den einzelnen Gliedern. Daher sind in einem gewissen Sinne alle Christgläubigen verpflichtet und ermächtigt, die Offenbarung zu bewahren und zu verkündigen; einer bezeugt sie dem anderen. In einer entscheidenden, ja unfehlbaren Weise vollziehen jedoch die der Gesamtkirche obliegende Aufgabe die Träger des kirchlichen Lehramtes. Die übrigen Glieder der Kirche werden ihrer Verantwortung gegenüber dem Worte Gottes normalerweise in Einordnung und Unterordnung unter das kirchliche Lehramt gerecht. Wenn es aber eine Zeit geben sollte, in der nicht mehr Verlass ist auf alle Hirten, sind die Gläubigen berechtigt und verpflichtet, ihren Glauben furchtlos zu bekennen und ihn von den Hirten der Kirche einzufordern. Der Gehorsam gegen die Träger des kirchlichen Lehramtes findet dort seine Grenze, wo diese vom überkommenen Glauben abweichen.
Das Dogma ist nicht die von der Kirche vorgenommene gedankliche, begriffliche und sprachliche Fassung religiöser Erlebnisse. Das meinte der Modernismus, und das war der Grundirrtum des Modernismus. Er meinte, aus dem Inneren der Menschen steigen diese Wahrheiten auf und werden von der Kirche in Worte gefasst. Das ist der fundamentale Irrtum der Häresie des Modernismus. Nein, das Dogma enthält die Selbstmitteilungen Gottes, die den Menschen durch unmittelbare Einwirkung Gottes zuteil geworden sind. Dies geschah durch die Offenbarungsträger, also Abraham, Moses, die Propheten, und natürlich sie alle überbietend Jesus Christus. Die Heilswahrheiten werden mitgeteilt im Heilsgeschehen. Sie sind gleichsam eingebettet in Heilstatsachen. Die Heilsgeschichte birgt die Heilslehre.
Die Selbstmitteilungen Gottes werden dadurch zu Dogmen, dass sie sich in einer von der Kirche gewirkten Sprachform verleiblichen. Im Dogma kommt die übernatürliche Offenbarung in einem geschichtlichen Sprachleib zur Erscheinung. Letztlich ist der Schöpfer dieses Sprachleibes der Heilige Geist. Die Kirche ist sein daran beteiligtes sichtbares Werkzeug, aber der Heilige Geist schafft die Dogmen durch die Kirche und in der Kirche. Im Dogma legt die Kirche Zeugnis ab von Christus. In ihm bekennt sich das Volk Gottes zu seinem Herrn. Der einzelne Gläubige ist verpflichtet, ein derartiges Bekenntnis auch selbst zu vollziehen. So wird das Dogma zum Glaubensgesetz. Wer sich ihm entzieht, tritt in Widerspruch zu der Gemeinschaft der Kirche. Wer die Dogmen leugnet, scheidet aus dem Leben der Gemeinschaft aus. Die Dogmen nehmen eben teil an der Eigenart Christi; er war ein Zeichen der Entscheidung. So müssen auch die Dogmen Zeichen der Entscheidung sein; sie können Ärgernis und Seligkeit stiften. Das Ja zu ihnen lässt sich nur sprechen im Heiligen Geist. Wer sich dem Geist verweigert, wer sich dem Geist verschließt, der muss am Dogma ebenso Anstoß nehmen wie die Juden an Jesus Christus. Die Dogmen sind nicht bloß Symbole, Bilder Gottes, Hinweise auf ihn, sie sind nicht einem steten Wandel unterworfener Ausdruck religiöser Gefühle, Dogmen sind vielmehr der wahre und zutreffende Ausdruck der geheimnisvollen Wirklichkeit Gottes. Sie haben unwandelbaren und unantastbaren Geltungswert. Das Dogma richtet einen Damm auf, einen Damm gegen den Irrtum. Es grenzt die Offenbarung gegen deren menschliche Entstellung oder Einengung ab, es schafft Eindeutigkeit gegenüber dem Irrglauben. Die sprachliche Formulierung des Dogmas ist zeitbedingt – das kann man ohne weiteres zugeben –, und weil sie zeitbedingt ist, ist sie grundsätzlich wandelbar; sie ist ja jeweils einem bestimmten Kulturkreis entnommen. Das Konzil von Trient hat seine Entscheidungen in der Begriffswelt der aristotelischen Philosophie ausgedrückt. Sie stand damals, im 16. Jahrhundert, bereit und sie hat sich als ein geeignetes Instrument für die Aussagen der Heilswahrheiten erwiesen. Man muss freilich hinzufügen, dass eine bestimmte Begriffswelt nicht ohne Absicht Gottes von der Kirche verwendet wird. Die Kirche bedient sich eines bestimmten Sprachleibes, aber unter dem Einfluss des Heiligen Geistes. Und man muss zugeben – was ja heute sehr betont wird –, dass die zeitgebundene Formulierung grundsätzlich durch eine andere, bessere ergänzt oder auch ersetzt werden kann. Aber es ist gleichzeitig hinzuzufügen: Wir besitzen nicht so viele Worte und Begriffe, um leichthin eine vom Lehramt geprägte Aussage anders zu formulieren; die hierfür vorliegenden Versuche sind alles andere als ermutigend. Sie wissen es – und Gott sei es geklagt –, Sie wissen es, meine lieben Freunde, der holländische Katholizismus ist zusammengebrochen. Warum? Durch falsche Lehren seiner maßgebenden Theologen, an der Spitze Herr Schillebeeckx. Der holländische Katholizismus ist zusammengebrochen. Der Zusammenbruch zeigte sich zuerst bei der Eucharistie. Da wurde nämlich das Wort Transsubstantiation aufgegeben und durch die Worte Transsignifikation und Transfinalisation ersetzt, also statt Wesensverwandlung Zweckveränderung, Bedeutungsveränderung. Und ihre Urheber erklärten das folgendermaßen: Man nimmt ein Stück Tuch, das ist eine Textilie; wenn man diese Textilie an eine Fahnenstange bringt, dann ist es eine Fahne. Und so ist es bei der Eucharistie. Meine lieben Freunde, das ist total falsch! Transfinalisation und Transsignifikation sind niemals ein geeigneter Ersatz für Transsubstantiation. Diese beiden Begriffe verfehlen gerade das Entscheidende am Begriff Transsubstantiation. Sie höhlen das eucharistische Geheimnis aus, kein Wunder, dass ein solcher Katholizismus zusammenbrechen musste.
Man teilt die Dogmen ein in Zentraldogmen und Einzeldogmen. Das eine Dogma hat ja verständlicher Weise für das Ganze der Offenbarung eine größere Bedeutung als das andere. Jesus Christus, der Gottmensch, ist selbstverständlich erheblich bedeutender als der Ablass. In der Mitte des Dogmengefüges steht die Glaubenswahrheit von Christus, um sie herum gruppieren sich die übrigen Dogmen. Jedes Dogma aber ist durch die Autorität Gottes verbürgt und mit gleicher Festigkeit des Glaubens zu bejahen. Es ist nicht ein Dogma wahrer als ein anderes, es sind alle gleich wahr, weil sie alle durch Gottes Autorität verbürgt sind. Die Unterscheidung zwischen wesentlichen und unwesentlichen Dogmen ist unzulässig. Alle Dogmen haben die Garantie Gottes und der Kirche. Die Dogmen sind nicht bloß intellektuell von Bedeutung, sie dienen nicht nur zur Belehrung über die göttlichen Wirklichkeiten, sondern die Dogmen werden angerufen und ausgerufen, um den Glauben zu bejahen und den Glauben auszusagen. Dogmen dienen der Verteidigung, der Bewahrung und der Verkündigung der göttlichen Offenbarung. In den Dogmen begegnet uns der sich offenbarende Gott. Er ist es, der durch die Dogmen sein Volk und die einzelnen Menschen anruft. Die Verkündigung des Dogmas und das Bekenntnis zum Dogma ist Vollzug des Glaubens der Kirche an Jesus Christus. Dogmen sind ein Zeichen der Lebenskraft der Kirche. Im Dogma antwortet der Offenbarungsgeist auf dringende Fragen, wehrt er sich gegen Bedrohungen, schützt er die Kirche vor Gefahren. Die Glaubenssätze vermag niemand – kein Papst und kein Konzil – zu ändern. Man muss mit der Zeit gehen, sagt man mir. Meine lieben Freunde, populäre Absichten und Ansichten übernehmen, verwerfen, was dem Lebensgefühl der Zeit nicht entspricht, sich dem anpassen, was jeweils auf der Bestsellerliste steht, diese Aufforderung ist verfehlt. Bei den Dogmen geht es um die Wahrheit, also um die Wiedergabe der Wirklichkeit. Die Wahrheit ist keine Modesache, die man jedes Jahr wechselt, die Wahrheit ist eine Tochter der Ewigkeit. Im Brief an die Gemeinde in Galatien wehrt sich Paulus gegen Leute, die eine andere Heilsbotschaft bringen wollen. In aller Entschiedenheit erklärt er: „Es gibt keine andere Heilsbotschaft. Sollte jemand eine andere Heilsbotschaft bringen, so ist er verflucht!“ Ein verführerisches Argument, das man heute oft hört, ist die Behauptung, eine religiöse Wahrheit habe sich überholt, vor allem: Gebote hätten sich überholt. Überholt werden Meinungen, Dogmen werden nicht überholt, sie stehen fest in alle Ewigkeit. Im 19. Jahrhundert stand einmal der Spötter Heinrich Heine vor der Kathedrale in Antwerpen. Und angesichts dieser Kathedrale sagte er: „Die diesen Dom geschaffen haben, das waren Menschen, die hatten Dogmen. Wir haben keine Dogmen mehr, wir haben nur Meinungen. Mit Meinungen baut man keine Dome.“ Wie richtig. Der Apostel Paulus sah eine Zeit kommen, da man die gesunde Lehre unerträglich findet. Diese Zeit ist heute da. Paulus weist auf die Konsequenz hin, die das Abgehen von der Wahrheit hat. Dadurch werden Sinn und Zweck des Anschlusses an das Christentum hinfällig. „Dann seid ihr vergeblich gläubig geworden, wenn ihr nicht an dem festhaltet, was ihr von mir übernommen habt. Ich tue euch kund, Brüder: das Evangelium, das ich verkündet habe, ist nicht Menschenwerk.“ Der katholische Glaube ist von solcher Art, dass man ihm nichts hinzufügen, aber auch nichts von ihm wegnehmen kann. Entweder man nimmt ihn ganz an oder man lehnt ihn ganz ab; ein Auswahlchristentum ist kein katholischer Glaube. Unser Christsein hängt am Glauben, am ganzen, am unverfälschten Glauben. Der Glaube macht den Christen, und in diesem Glauben muss man feststehen und darf nicht wanken. Unser Glaube ist durch nichts zu erschüttern, meine lieben Freunde, weder durch Ausgrabungen in Jerusalem noch durch Funde von Schriftrollen in Qumran. Unser Glaube ruht nicht auf der Bibelerklärung irgendwelcher Exegeten, sondern auf der Bürgschaft der Kirche Gottes. Das Evangelium rettet die Gläubigen, aber nur, wenn sie es so festhalten, wie sie es angenommen haben, also ohne Abweichung, ohne Auslassung, ohne Umdeutung, ohne Änderung an diesem Evangelium. Ein sehr berühmter evangelischer Theologe, der praktisch die wesentlichen Wahrheiten des Christentums leugnet, wurde gefragt, ob man denn am Glaubensbekenntnis festhalten soll. Ja, sagte er, aber durch Interpretation, d.h. durch Umdeutung. „Wir müssen in der Wahrheit verharren“, schreibt Paulus der Gemeinde in Ephesus. „Haltet fest am Wort des Lebens.“ Sein Schüler Timotheus wird von ihm gemahnt: „O Timotheus, bewahre das dir anvertraute Gut.“ Und der Apokalyptiker Johannes schreibt im letzten Buch der Heiligen Schrift an die Gemeinde in Philadelphia: „Halte, was du hast, damit dir niemand deine Krone raube!“
Amen.