29. November 2015
Nicht in Schmausereien und Trinkgelagen
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
Nicht in Schmausereien und Trinkgelagen, sondern in Ehrbarkeit lasst uns wandeln. Das ist die Botschaft der heutigen Epistel. Schmausereien und Trinkgelage haben heute einen anderen Namen. Man spricht von Empfängen und Partys; das gehört dazu, das muss man mitmachen. Wenn man etwas auf sich hält, muss man einen Empfang oder eine Party geben; dann ist man „up to date“. Es ist schwer zu sagen, ob diese Partys – und wie das alles heißt – und Festivitäten einer tieferen Sehnsucht der Menschen entsprechen, etwa dem Verlangen nach Kontakt mit anderen, Überwindung der Einsamkeit, oder ob dahinter das Verlangen nach einem größeren, glanzvolleren Leben steht, die Erfüllung einer gesellschaftlichen Illusion. Sie sind nun einmal da diese Partys und Festivitäten, diese Geschehnisse, die uns in den Illustrierten von Prominenten unterbreitet werden und die in den ernsthaften Zeitungen von Soziologen und Psychologen geprüft werden auf ihren Inhalt und ihre Bedeutung. Lassen wir uns nicht irritieren von den neuen Namen; die Sache bleibt dieselbe damals wie jetzt: Schmausereien und Trinkgelage. Eine steigende Flut von Veranstaltungen, in denen die Esslust und die Trinklust gefördert und vielleicht auch befriedigt wird, vor allem Alkoholgenuss und alkoholische Exzesse. Es ist das selbstverständlich auch eine Frage des Wohlstands und des Wohllebens. Wohlstand und Wohlleben fordern immer neu ihren Tribut. Verdirbt der Wohlstand die Menschen? Es wäre das die einfachste Antwort, und sie hat überdies auch ihre Berechtigung, aber sie allein genügt nicht. Sie bleibt zu sehr an der Oberfläche, sie vermag nicht die tieferen Ursachen für diesen Betrieb zu erklären. Wir stehen nämlich vor einem verblüffenden Paradox. Einerseits diese Fülle von materiellen und geistigen Gütern, die dem modernen Menschen zum Konsum angeboten werden, auf der anderen Seite die Leere in seinem Herzen, im Kern seiner Persönlichkeit. Viele Menschen haben sich innerlich verloren, denn sie haben ihren Gott verloren. Die Sehnsucht nach Betäubung, Vergessen und seelischer Gemeinsamkeit hat viele psychologische und soziologische Gründe, aber letztlich ist dafür der Verlust Gottes ursächlich. Denn er allein vermag Ruhe, Geborgenheit, Lebenssinn und Lebensfreude zu gewähren. „Wer Gott nicht sucht, endet in der Sucht“, sagt ein Sprichwort. Darum also die übertriebene Fülle von Schmausereien und Trinkgelagen, von Empfängen, Partys und Vereinsfeiern, Teenagerbällen und Repräsentationsveranstaltungen. Sie sind das Anzeichen einer Flucht, einer Flucht des Menschen vor sich selbst, vor seiner inneren Leere. Weil er seine Mitte verloren hat, kompensiert er die seelische Öde mit äußerer Betriebsamkeit, bastelt sich eine Scheinwelt zusammen, die ihm helfen soll, das Nichts in der eigenen Brust zu verdecken. Da spielt das Essen und Trinken, vor allem der Alkohol, eine große Rolle. Er ist der Tröster, der Tröster einer trostlosen Gesellschaft, die auf diese Weise sich einen Trost zu verschaffen versucht. Und es gibt wenige, die daraus ausbrechen, aber gelegentlich gibt es doch jemanden. Drüben, auf der anderen Seite des Rheins, wohnt die junge Sängerin Lena Meyer-Landrut. Der Vater ist eine bekannte Persönlichkeit, er war Botschafter in Moskau. Diese junge Sängerin bricht aus dieser Scheinwelt aus. Sie pfeift auf das Nachtleben, sagt sie. Um richtig auszupowern, zieht sie Bewegung vor. „Ich stolpere nicht auf After-Show-Partys total besoffen im VIP-Bereich herum. Ich lasse die Sau lieber beim Sport heraus“ – eine sehr erfrischende Sprache, wie man zugeben muss. „Das gibt mir viel mehr, als morgens um fünf aus dem Club gekrochen zu kommen.“ Sie brauche keinen Rock ’n’ Roll in ihrem Leben. Diese erfrischende Aussage zeigt, dass es doch Menschen gibt, die dem Hang und Drang nach Schmausereien und Trinkgelagen widerstehen. Ich möchte nicht missverstanden werden, meine lieben Freunde. Wir sind nicht neidisch auf das, was andere haben, wir gönnen den Menschen jede Freude. Aber das ist ja gerade die Frage, ob das eine Freude ist, sich in Schmausereien und Trinkgelagen zu ergehen. Erzeugt das nicht in vielen Fällen dicke Bäuche und benebelte Gehirne? Die Häufigkeit, die Zwanghaftigkeit, das Übermaß, das sind die Gründe, die wir gegen diese Schmausereien und Trinkgelage vorbringen. Unser Denken kreist um Gott, und wir sehen, wie die von Gott Erkalteten vom Strudel einer menschlichen Geselligkeit verschlungen werden, wie sie die Sinnlosigkeit ihres Lebens durch Schmausereien und Trinkgelagen betäuben.
Wir alle wissen: Die Aufnahme von Speise und Trank ist zum Leben, zur Gesunderhaltung, zur Erhaltung der Kraft unentbehrlich und deswegen eine sittliche Pflicht. Das rechte Maß bestimmt sich nach dem objektiven Bedürfnis, so viel wie notwendig ist, die Gesundheit und die Kraft zu erhalten. Die Mäßigkeit ist jene Tugend, die im Genießen von Speise und Trank das sittliche Maß einhält. Die Schwelgerei beim Essen kann die Gesundheit gefährden. Im Alten Testament, im Buche Jesus Sirach, steht der Satz: „Sei beim Mahl nicht gierig und falle nicht über die Speisen her, denn viel essen macht krank.“ Von Papst Leo XIII., der bis in die neunziger Jahre alt geworden ist und sehr mäßig lebte, stammt das Wort: „Manche essen, nicht, um länger zu leben, sondern um früher zu sterben“ – wie richtig. Und der Wiener Volksprediger Abraham a Santa Clara prägte den Satz: „Die meisten Krankheiten stammen von Frissland.“ Die Schwelgerei beim Essen kann zu grober Verschwendung führen; die feinen Speisen sind nun einmal teuer, und der Besuch von Gourmetrestaurants reißt tiefe Löcher in den Geldbeutel, aber das will man nicht aufgeben. Viele sagen: Wir können uns keine Kinder leisten, wir können uns nur ein Kind, wir können uns nur zwei Kinder leisten. Aber sie leisten sich sehr viel für Essen und Trinken. Die Schwelgerei beim Essen kann auch zur Versklavung an die Sinnenlust führen. Immer neue Rezepte für raffinierte Mahlzeiten werden angeboten, immer weitere Einfälle sollen die Gaumenlust befriedigen. Es ist traurig, meine lieben Freunde, es ist traurig, wenn über einem Leben keine anderen Sterne stehen als die Mahlzeiten. Die sinnliche Lust muss durch die Vernunft beherrscht werden. Die ungeordnete Neigung nach Speise und Trank, die Gaumenlust, gula lateinisch genannt, ist zunächst im sinnlichen Begehren gelegen und wird, wenn sie zugelassen wird, zur Unmäßigkeit. Unmäßigkeit liegt im stofflichen Übermaß oder in der unwürdigen Hast und Gier des Essens und Trinkens oder in der Verfehlung gegen Sitte und soziale Pflicht. Die Unmäßigkeit ist eine Quellen- oder Hauptsünde, d.h. aus ihr entstehen andere Sünden. Die sinnliche Lust nährt andere sinnliche Lüste. Unbeherrschtheit und Maßlosigkeit führen vor allem leicht zur Unkeuschheit. Von dem römischen heidnischen Schriftsteller Terenz stammt das schöne Wort: „Sine Cerere et Baccho friget Venus“, d.h. frei übersetzt zu Deutsch: Der Geschlechtstrieb wird durch starkes Essen und Trinken gestärkt. Sine Cerere et Baccho friget Venus – Ceres ist die Göttin des Essens und Bacchus der Gott des Weines und Venus die Göttin der Liebe. Die Kirche weiß um Nutzen und Notwendigkeit der Beherrschung von Essen und Trinken. Sie hat das Abbruchs- und das Enthaltungsfasten eingeführt. Aber sie hat es, zurückweichend vor dem Druck der Menschen, vor der Gier der Menschen, reduziert. Es gibt im ganzen Jahr nur noch zwei Fasttage. Geblieben ist das Enthaltungsfasten am Freitag, wo wir uns also von Fleisch und Fleischspeisen enthalten sollen. Und das sollten wir als bewusste Katholiken unbedingt festhalten! Das ist ein Markenzeichen für uns. Wir denken an das Leiden des Heilandes, und um dieses Leidens willen zeigen wir, dass wir auch etwas für ihn entbehren können. Die Kirche hat aber trotz des Zurückschneidens des Fastens nicht aufgehört, die Enthaltsamkeit, die Beherrschung, die Überwindung beim Essen zu empfehlen. Sie lehrt auch heute Nutzen und Notwendigkeit von Bescheidung und Zurückhaltung im Essen und Trinken. Sie dienen der Schulung des Willens und der Beherrschung der sinnlichen Triebe. Keinem Christen ist es untersagt, seine Esslust zu zügeln, sich beim Essen zurückzuhalten.
Eine besondere Bewandtnis hat es natürlich mit der Aufnahme berauschender Getränke. Alkoholische Getränke sind nicht in sich schlecht; sie können nützlich und manchmal sogar hilfreich sein. In der Heiligen Schrift werden der Wein und der Weingenuss gepriesen. Im Buche Jesus Sirach heißt es: „Mäßig getrunken, erfreut der Wein Herz und Gemüt.“ Ein mäßiger Trank ist für Leib und Seele gesund – das bleibt bestehen. Aber gleichzeitig wird vor dem Übermaß gewarnt. „Der Wein hat schon viele zugrunde gerichtet“, das steht auch im Buche Jesus Sirach. Und der Apostel mahnt im Epheserbrief: „Berauschet euch nicht mit Wein; das führt zur Ausschweifung.“ Der Alkoholmissbrauch ist eine Quelle vieler Sünden, vor allem gegen das 5. und 6. Gebot. Viel Unglück und Not bringt der Alkoholgenuss über einzelne und ganze Familien. Ich habe einmal als Kind eine schreckliche Szene erlebt: In unserer Nachbarschaft wohnte ein kriegsverletzter Eisenbahnbeamter; er war ein Trinker. Ich habe als Kind zusehen müssen, wie er in der Trunkenheit seine Frau, die an Schüttellähmung litt, aus dem Hause trieb und verdrosch. Das Bild werde ich nie vergessen. Unmäßiges Trinken bewirkt Berauschung und Trunkenheit. Wer absichtlich oder fahrlässig vollständig berauscht wird, verzichtet auf sein menschliches Bewusstsein und seine sittliche Freiheit. Die Wirkung des Alkohols auf Gehirn und Nerven stört die normale Geistestätigkeit. Die Trunkenheit schwächt den Körper, untergräbt das Geistesleben, raubt die Empfänglichkeit für das Übernatürliche, gibt Anlass zu Gewalttätigkeit und geschlechtlicher Ausschweifung. Die Heilige Schrift zeigt die Sündhaftigkeit der Trunksucht an ihren geistlichen Folgen auf. Der Apostel Paulus warnt: „Weder Ehebrecher noch Trunksüchtige noch Lästerer werden das Reich Gottes besitzen.“ Die völlige Enthaltung von Alkohol ist teils empfehlenswert, teils pflichtmäßig. Der freie Verzicht auf alkoholische Getränke aus Gründen der Nächstenliebe, der Erbauung und der Willensschulung ist lobenswert. Es muss nicht jeder trinken. Mir sagte mein Religionslehrer, der total abstinent war: „Solange es noch Leute gibt, die zu viel trinken, muss es auch solche geben, die gar nicht trinken.“ Der Verzicht auf Alkohol ist ein Mittel der Buße und der Sühne, fördert den apostolischen Geist, stärkt den Willen und fördert die Selbständigkeit gegenüber der Gesellschaft. Der Genuss von Alkohol kann unter bestimmten Umständen total verboten sein – denken Sie an das Berufsleben, denken Sie an die Autofahrer, an die Lokomotivführer. Vor einigen Jahren stand ein Lokomotivführer vor Gericht. Der Richter forderte ihn auf, anzugeben, wie viel er getrunken habe, als er ein Unglück verursachte. Er machte dann eine Bewegung mit den Fingern: so viel, aber die Finger gingen dann immer weiter auseinander. Er hatte also erheblich viel getrunken, dieser Lokomotivführer. In Mainz stand vor kurzem ein Kraftfahrzeugmeister vor Gericht, der sich im Trunk gewalttätig bewegt hatte. Der Richter sagte: „So wie Sie hier sitzen, sind Sie ein ganz netter Kerl.“ „Ja“, sagte der Kraftfahrzeugmeister, „wenn ich anfange, zu trinken, höre ich nicht mehr auf, und dann mache ich Dinge, die ich nüchtern niemals vollbringen würde.“ Das große Vorbild der Enthaltung ist Johannes der Täufer. Als dem Zacharias die Geburt eines Sohnes angekündigt wurde, fügte der himmlische Bote kennzeichnend bei: „Wein und Berauschendes wird er nicht trinken.“ Manche sind ihm in der Enthaltsamkeit nachgefolgt. Der englische Kardinal Manning war ein echter Sozialapostel, ein Vater der Arbeiter. Er war berühmt für seine Liebe zu den arbeitenden Klassen. Beim großen Dockarbeiterstreik in London hat er es fertiggebracht, Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu versöhnen. Und bei ihrem Umzug am 1. Mai haben die Arbeiter sein Bild mitgeführt, das Bild von Kardinal Manning. Dieser Kardinal Manning redete eines Tages einem Arbeiter zu, er solle doch das Trinken aufgeben. Der Arbeiter sagte zu ihm: „Sie trinken ja auch, nur nicht solchen Fusel wie ich.“ Der Arbeiter wusste, dass Manning zum Mittagessen ein Glas Rotwein trank. Der Kardinal war rasch gefasst und sagte: „Gut, von heute an trinke ich keinen Tropfen mehr.“ Er hat diesen Vorsatz gehalten. Schwelgereien, Schmausereien und Trinkgelage tragen häufig ihre Strafe in sich selbst. Alle die Folgeerscheinungen der Unmäßigkeit sind ein Gericht über sie. Der heilige Augustinus hat sich, als er in der Kirche die Epistel von den Schmausereien und Trinkgelagen hörte, bekehrt. Vorher war er auch der Sinnlichkeit verfallen. Er versuchte, aus den Fesseln eines sinnleeren und nichtigen Lebens sich zu lösen. Er lebte in Eitelkeit und Sinnlichkeit, aber als er in der Epistel hörte: „Nicht mit Schmausereien und Trinkgelagen sollt ihr euer Leben verbringen, sondern ehrbar wandeln“, da hat er sich blitzartig bekehrt. Diese Wendung gab ihm die Freiheit der Seele, die heimkehrt zu Gott. Auch uns, meine lieben Freunde, erreicht heute der Ruf des Herrn: „Wandelt ehrbar, nicht in Schmausereien und Trinkgelagen. Es ist Zeit, vom Schlafe aufzustehen.“
Amen.