Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
18. Dezember 1988

Das Weltgericht am Ende der Zeiten

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

„Sitzend zur rechten Hand Gottes, von dannen er kommen wird, zu richten die Lebendigen und die Toten.“ So bekennen wir im Glaubensbekenntnis. Wir haben an vielen vergangenen Sonntagen die Letzten Dinge betrachtet, die Letzten Dinge des Einzelmenschen und die Letzten Dinge der Schöpfung. Die Letzten Dinge des Einzelmenschen lauten: Tod, Gericht, Himmel und Hölle. Die Letzten Dinge der Schöpfung sind der furchtbare Weltbrand, die Vernichtung der Welt, ihre Neugeburt unter Wehen, die Wiederkunft des Herrn und das Weltgericht, das allgemeine Gericht, denn das besondere Gericht ist ja schon ergangen beim Tode. Nach dem Tode wird der Mensch gerichtet, aber das ist eben ein Gericht über den einzelnen.

Es gibt aber auch ein Gericht über alle Menschen, und das nennen wir das allgemeine Gericht, das Weltgericht. „Von dannen er kommen wird, zu richten die Lebendigen und die Toten.“ Die Lebendigen, das sind jene, die noch übrig sind, die zu der Zeit, wo das Weltgericht erfolgt, noch am Leben sind. Die Toten, das sind jene, die vorher verstorben sind, aber wieder auferweckt werden. Alle, Lebende und Tote, werden vom Gericht erfaßt.

Im Alten Testament ist das Weltgericht schon ausgesprochen, sehr deutlich ausgesprochen im Buche der Weisheit. Da werden gegenübergestellt die Gerechten und die Ungerechten, die Bösen und die Guten, und da wird die erschütternde Umkehr aller Verhältnisse beschrieben. Da heißt es: „Die Ungerechten wird ein banger Schauder erfassen. Sie geraten außer sich ob der unerwarteten Rettung der Gerechten. Voll Reue gestehen sie sich und seufzen in ihrer Seelenangst: 'Dieser ist es, den wir einst verlachten, mit Spott überhäuften. Wir Toren! Wir hielten sein Leben für Wahnsinn und sein Ende für ehrlos. Wie kommt es nun, daß er den Kindern Gottes beigezählt ward und sein Anteil unter den Heiligen ist? Was hat der Übermut uns genützt? Was hat der Reichtum uns geholfen mitsamt seinem trotzigen Tun?' Ja, wie Spreu, die der Wind dahintreibt, so ist der Gottlosen Hoffnung, wie dünner Reisig, den der Sturm verjagt, wie Rauch, den der Wind verweht.“ So beschreibt also das Alte Testament das Weltgericht.

Im Neuen Testament ist oft und oft von diesem erschütternden Ereignis die Rede. Der Herr selber hat häufig von seiner Stellung als Richter, als kommender Richter der Welt gesprochen. „Der Menschensohn wird kommen in seiner Herrlichkeit mit seinen Engeln und einem jeden vergelten nach seinen Werken.“ Und an einer anderen Stelle: „Der Vater richtet niemand. Er hat das ganze Gericht dem Sohne gegeben, weil er der Menschensohn ist.“ Er hat die Vollmacht, zu richten, weil er der Menschensohn ist. Die Apostel haben diese Verkündigung aufgenommen. Petrus hat seinen Zuhörern kundgetan, daß Jesus „der von Gott bestimmte Richter der Lebenden und der Toten“ ist. Paulus hat diese Kunde weitergetragen. „Er wird kommen, den Erdkreis zu richten.“ Und er mahnt in der heutigen Epistel, dieses Gericht erst mal abzuwarten. „Richtet nicht vor der Zeit!“ Und er warnt, dieses Gericht nicht ernstzunehmen.

Ebenso hat Johannes, der Seher von Patmos, in seiner Apokalypse das Weltgericht beschrieben. Die Kirche hat diese Botschaft der Apostel aufgenommen. Sie hat sie weitergetragen. Die Kirchenväter, die ältesten Zeugen der Überlieferung, sprechen davon, daß Christus der von Gott bestimmte Richter der Lebenden und der Toten ist. Der heilige Polykarp bezeichnet es als Ausgeburt des Teufels, wenn jemand nicht an die Wiederkunft Christi und an das Gericht glaubt.

Es gibt ein Weltgericht, und dieses Weltgericht wird furchtbar sein. Im 25. Kapitel des Matthäusevangeliums ist aufgezeichnet, was der Herr zu diesem Weltgericht sagt. „Wenn der Menschensohn in seiner Herrlichkeit kommt und alle Engel mit ihm, wird er sich auf dem Thron seiner Herrlichkeit niederlassen. Dann werden alle Völker vor ihm versammelt werden, und er wird sie voneinander scheiden, wie der Hirt die Schafe von den Böcken scheidet. Die Schafe wird er zu seiner Rechten stellen, die Böcke zu seiner Linken. Dann wird der König zu denen auf der Rechten sprechen: `Kommet, ihr Gesegneten meines Vaters! Nehmt das Reich in Besitz, das euch von Weltbeginn an bereitet war.' Dann wird er zu denen auf der Linken sprechen: 'Hinweg von mir, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer, das dem Teufel und seinen Engeln bereitet ist!' Und diese werden in die ewige Strafe eingehen, die Gerechten aber in das ewige Leben.“

So beschreibt der Herr selbst das Gericht, das er halten wird, und der Apokalyptiker Johannes schaute die Toten vor dem Throne stehen. Bücher wurden aufgeschlagen. Ein Buch wurde aufgeschlagen, das das Buch des Lebens ist. Die Toten wurden aus der Schrift in den Büchern gerichtet nach ihren Werken. Und das Meer gab die Toten heraus, die in ihm sind; und der Tod und die Hölle gaben die Toten, die in ihnen sind, heraus, und sie wurden gerichtet, jeder nach seinen Werken.

Das also, meine lieben Freunde, ist das Weltgericht. Die gesamte Menschheit wird vor Gott stehen. Wie wir uns das vorstellen, ist eine andere Frage. Die Künstler haben es versucht, z.B. Cornelius in der Ludwigskirche zu München. Da ist ein Gerichtsgemälde auf der Riesenwand am Altar entstanden. Oder Michelangelo in der Sixtinischen Kapelle in Rom. Sie haben es versucht. Die Vorstellungen sind menschlich – das Gericht ist göttlich!

Der Richter ist Christus. Ihm hat der Vater das Gericht übergeben, ihm, dem Menschen Jesus Christus. Und wenn es manchmal in der Heiligen Schrift heißt, daß auch Gott richtet, so ist das so zu verstehen, daß Gott durch Jesus Christus richtet. Christus richtet im Auftrag und in der Vollmacht und in der Kraft Gottes.

Er richtet zusammen mit den Engeln. Die Engel sind seine Begleiter, gewissermaßen seine Gehilfen beim Gericht. Aber auch die Apostel nehmen am Gericht teil. „Ihr werdet auf zwölf Thronen sitzen und die Stämme Israels richten!“ Ja, nicht nur die Apostel – alle Gerechten sind am Gericht beteiligt. „Wißt ihr nicht, daß die Heiligen die Welt richten werden?“

Wie ist das zu verstehen, daß auch die Apostel und die Gerechten am Gericht beteiligt sind? Das ist so zu verstehen, meine lieben Freunde, daß sie ganz eins sind mit dem Richterspruch Christi, daß sie sich diesen Richterspruch zu eigen machen, daß sie seinem Richterspruch beistimmen. Das ist ihre Teilnahme am Gericht. Sie sind so von der Gerechtigkeit dieses Spruches überzeugt, daß sie jubelnd und preisend in diesen Spruch einstimmen.

Alle Menschen werden gerichtet, ohne Ausnahme. Alle Taten der Menschen werden gerichtet, diejenigen, die offenbar waren, und diejenigen, die verborgen waren. Für jedes unnütze Wort werden die Menschen Rechenschaft legen müssen, für jedes unnütz Wort! Das Gericht wird sich vollziehen in einer Weise, die wir uns nicht erklären können. Wenn der heilige Johannes von Büchern schreibt, dann ist das selbstverständlich ein bildlicher Ausdruck. Er will damit sagen: Es ist nichts vergessen! Es ist alles aufbewahrt! Es wird nichts unterschlagen! Niemand kann etwas entziehen, wie es Menschen auf Erden – Gott sei es geklagt: manchmal sogar im Beichtstuhl – tun. Nichts kann verborgen bleiben, alles kommt ans Licht. „Was ihr ins Ohr geflüstert habt, das wird man ausrufen von den Dächern“ – zur Beschämung der Menschen, die ihre Sünden verborgen und verschwiegen haben.

Jetzt kann sich die Frage erheben, meine lieben Freunde: Ja, ist nicht das Gericht eigentlich schon erfolgt, wenn der Mensch stirbt? Wie vertragen sich denn besonderes Gericht und allgemeines Gericht miteinander? O, da gibt es bedeutende Unterschiede. Der Mensch, der nach dem Tode vors Gericht kommt, wird als Einzelner gerichtet, abgesehen von der Menschheit. Beim allgemeinen Gericht wird er als Glied der Menschheit gerichtet, also mit all seinen Beziehungen zu anderen Menschen und zur Umwelt.

Beim besonderen Gericht wird nur die Seele gerichtet, beim allgemeinen Gericht auch der Leib. Da wird der Leib einbezogen, da wird Lohn und Strafe erstreckt auf den Leib. Beim besonderen Gericht steht der Mensch allein vor seinem Richter, beim allgemeinen Gericht steht er vor der ganzen Menschheit vor dem Richter. Außerdem werden beim allgemeinen Gericht nicht nur Einzelmenschen, sondern auch Institutionen gerichtet, Einrichtungen, Gemeinschaften. Dann wird es sich zeigen, was das Papsttum bedeutet hat für die Kirche. Dann wird es sich zeigen, was das Bischofsamt bedeutet hat für die Kirche. Dann wird es sich zeigen, was der Klerus bedeutet hat für die Kirche. Das wird sich dann zeigen, und wir müssen zittern vor diesem Gerichte, wir müssen wahrlich davor zittern!

Es werden also die Institutionen gerichtet werden, der Staat und die Gesellschaft und die internationalen Organisationen, sie alle werden dann vor dem Richterstuhl Christi ihre Anklage hören und ihr Urteil empfangen.

Das allgemeine Gericht dient selbstverständlich wie alles, was Gott tut, auch der Verherrlichung seiner Majestät. Beim allgemeinen Gericht wird sich die Weisheit Gottes in seiner Weltregierung unübersehbar vor allen Menschen erweisen. Hier auf Erden waren die Fäden oft verschlungen. Wir fragten uns: Ja, wie kann Gott das zulassen? Wie ist das möglich in meinem Leben, im Leben der Familie, im Leben der Gesellschaft und des Staates und der Kirche? Wie ist das möglich? Wie verträgt sich das mit Gottes Weisheit? Alle Rätsel werden beim allgemeinen Gericht gelöst sein. Wir werden erkennen, daß Gott die Fäden in der Hand hatte, daß er sie übersah und durchschaute, daß er wußte, warum dies geschehen konnte und jenes unterbleiben mußte. Es wird uns wie Schuppen von den Augen fallen. Wir werden sagen: „O Tiefe der Weisheit und des Reichtums der Erkenntnis Gottes! Wie unerforschlich sind seine Wege, wie unaufspürbar seine Wege!“

Wir werden auch erkennen, warum Gott langmütig gegenüber den Sündern war. Die Sünder spotten oft ob der Langmut. Was ist mir geschehen, als ich gesündigt haben? Gar nichts! Beim Letzten Gericht werden wir erkennen, daß die Geduld und Langmut Gottes den Sünder zur Buße bewegen sollte. Es war nicht Schwäche und Ohnmacht Gottes, daß er so lange zuschaute, es war seine Geduld und Langmut, es war seine Barmherzigkeit mit der sündigen Kreatur.

Und schließlich werden wir auch die Gerechtigkeit Gottes bewundern dürfen, seine vergeltende Gerechtigkeit. Das ist ja immer eine Frage auf Erden, nicht wahr: Wo ist denn unser Gott, wenn wir die stolzen Sünder prahlen und sich erheben sehen, und die Kleinen im Lande, die Dulder, die Leidgeprüften, denen geht es schlecht, die mißachtet und mißhandelt werden, nichts zu sagen haben, von anderen unterdrückt werden. Wer gibt denn den Ton an im Staat, in der Gesellschaft und leider Gottes auch oft in der Kirche? Das sind nicht die Besten. Das sind nicht wahrlich die Besten! Dann aber wird sich endlich vor aller Augen Gottes Gerechtigkeit erfüllen. Dann werden wir sehen, daß Gott nicht mit zweierlei Maß gemessen hat, daß er das Böse reifen ließ nach den Worten: „Laßt das Unkraut mit dem Weizen wachsen bis zur Zeit der Ernte! Dann werden wir beide trennen, und dann wird das Unkraut in Büschel gesammelt und ins Feuer geworfen werden.“ Das wird sich dann ereignen, wenn das Weltgericht abgehalten wird.

Meine lieben Freunde! „Er sitzet zur rechten Hand Gottes, von dannen er kommen wird, zu richten die Lebendigen und die Toten.“ So beten wir. Wir sind noch in der Erwartung. Wir wissen nicht, wann der Herr kommt. Aber ich wiederhole das, was ich am vergangenen Sonntag sagte: Was jederzeit eintreten kann, ist immer nahe! Deswegen: Seien wir bereit, seien wir geneigt, den Willen Gottes zu erfüllen! Bekehren wir uns zum großen, gewaltigen Gott! Erneuern wir unseren Willen! Nehmen wir die Vorbereitung zur heiligen Weihnacht und das Weihnachtsfest zum Anlaß, kindlich zu werden, an der Hand Gottes zu weilen und zu rufen mit der allerseligsten Jungfrau: „O mein Jesus, verzeihe mir die Sünden! Bewahre mich vor dem Feuer der Hölle! Führe alle Seelen in den Himmel, besonders jene, die deiner Barmherzigkeit am meisten bedürfen!“

Amen.

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