Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  

Predigtreihe: Die Sakramente der Kirche (Teil 15)

27. Mai 2001

Der Taufcharakter

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Die Taufe prägt dem Menschen das Christusmerkmal ein. Der Getaufte ist durch dieses Merkmal von jedem Nichtgetauften unterschieden. In alle Ewigkeit bleibt dieser Unterschied erhalten. Selbst der Ungetaufte, der gläubig wird, trägt dieses Christusmerkmal nicht in sich, solange er nicht die Taufe empfangen hat. Dieses Christusmerkmal nennt die Theologie den Charakter, den Taufcharakter. Damit ist die Annäherung an die Wesensart Christi gemeint, die Einzeichnung der Struktur Christi. Der Vater im Himmel erkennt im Getauften die Züge seines Sohnes wieder, denn der Getaufte ist seinem Sohn ähnlich geworden. Er trägt das Christusmerkmal, das Christuszeichen, das Christusbild in sich. Dieses Bild ist unverlierbar. Und weil Christus das Haupt der Kirche ist, so bedeutet dieses Christusmerkmal, diese Annäherung an die Wesensart Christi gleichzeitig die Aufnahme in die Kirche, denn Christus ist das Haupt der Kirche, und wer mit dem Haupt in Beziehung tritt, der wird sein Glied.

Gleichzeitig schließt diese Ähnlichkeit mit Christus eine Befähigung und eine Aufgabe in sich, nämlich die Befähigung, das Tun fortzusetzen, das Christus begonnen hat, und die Verpflichtung, in dieses Tun einzutreten. Welches ist das Tun Christi? Es ist die Aufrichtung der Gottesherrschaft. Das war sein einziges Ziel, und das war sein einziges Streben in seinem ganzen Leben, die Herrschaft Gottes, die Herrschaft der Güte, der Liebe, die Herrschaft der Tugend aufzurichten. Jeder, der mit der Taufe Christus angenähert wird, tritt in diese Aufgabe ein. Er ist dafür verantwortlich, daß Gott geehrt wird und daß die Menschen das Heil gewinnen. Denn das ist die Aufrichtung der Gottesherrschaft: Ehrung Gottes und Heil der Menschen; eins ist mit dem anderen untrennbar verbunden. Wenn Gott geehrt wird, wird dem Menschen das Heil beschafft, und das Heil des Menschen kann nicht anders gewirkt werden, als indem Gott geehrt wird.

Christus hat die Gottesherrschaft aufgerichtet durch sein Wort und sein Tun. In diesem Werk war er ein König, ein Priester und ein Lehrer. Jawohl, Christus hat königliches, priesterliches und prophetisches Gepräge, und dieses dreifache Gepräge hat er seiner Kirche vermacht. Die Kirche nimmt teil an diesem dreifachen Gepräge; auch die Kirche trägt priesterlichen, königlichen, prophetischen Charakter, und jeder, der in der Kirche ist, also der durch die Taufe der Kirche zugeführt wird, nimmt an dem priesterlichen, prophetischen und königlichen Charakter teil. Das sind keine Schimären, das sind keine Illusionen, das sind keine Redensarten, das ist eine Wirklichkeit. Diese Wirklichkeit wird bezeugt von der Heiligen Schrift, von den Kirchenvätern und vom Lehramt der Kirche. In der Heiligen Schrift ist es vor allem der Apostel Petrus, der uns diese Wahrheit unterbreitet. „Wie neugeborene Kinder traget Verlangen nach der geistigen, lauteren Milch, damit ihr durch dieselbe zum Heil heranwachset. Ihr habt ja schon gekostet, wie gut der Herr ist. Zu ihm tretet hinzu als zu dem lebendigen Stein, der zwar von Menschen verworfen worden, bei Gott aber als auserlesen und kostbar gilt. Als lebendige Steine lasset euch selbst aufbauen zu einem geistigen Tempelbau, zu einer heiligen Priesterschaft, um geistige Opfer darzubringen, die Gott um Jesu Christi willen wohlgefällig sind.“ Hier ist also von der „heiligen Priesterschaft“ die Rede, in die alle eintreten, die durch die Taufe mit der Kirche verbunden werden.

Der Apostel Johannes verkündet dieselbe Wahrheit in seinem Buch der Apokalypse. Da schreibt er nämlich: „Ihn, der uns lieb hat und uns in seinem Blute von unseren Sünden erlöst und uns zu einem Königtum gemacht hat und zu Priestern für Gott, seinen Vater, ihm gebührt die Herrlichkeit und die Macht.“ Er hat uns zu einem Königtum gemacht und zu Priestern für Gott, seinen Vater. Und um nur ja nicht diese Wahrheit untergehen zu lassen, wiederholt sie der Apostel mehrfach in seiner Apokalypse. Vor allem die Vollendeten des Himmels sind auch vollendet in ihrem Priestertum. „Sie singen ein neues Lied: Würdig bist du, Herr, das Buch zu nehmen und seine Siegel zu erschließen, denn du bist getötet worden und hast uns in deinem Blut erkauft für Gott aus allen Stämmen und Sprachen, Völkern und Nationen. Du hast sie zu einem Königtum und zu Priestern gemacht für unseren Gott, und sie werden herrschen über die Erde.“ Es ist also gar kein Zweifel möglich. Die Heilige Schrift bekundet eindeutig, daß das neue Gottesvolk priesterlichen Charakter trägt. Im alten Gottesvolk war es anders. Da gab es nur den Stamm Levi, der zu dem Priestertum auserwählt war. Das neue Gottesvolk ist insgesamt priesterlichen Charakters.

Das wird auch immer wieder von den Kirchenvätern Chrysostomus, Basilius und anderen wiederholt. Ich will Ihnen nur einen Text von dem großen, bedeutenden Kirchenvater Didymus, dem Blinden, vorlesen. „Nach der alten Ordnung des Gesetzes“, schreibt er, „war das königliche Geschlecht ein vom priesterlichen verschiedenes. Dann folgte das Evangelium und machte uns bekannt mit dem, der Priester und zugleich König ist. Christus ist nämlich beides; deshalb müssen auch alle die von ihm, dem Priesterkönig, abstammen, ein auserwähltes Geschlecht sein, das zugleich Königtum und Priestertum ist. Denn da der Erzeugende beide Gewalten besaß, müssen auch sie ein Königtum sein, weil sie von einem König, und ein Priestertum, weil sie von einem Priester abstammen.“ Auch die Tradition, die zweite Quelle, aus der wir den Glauben schöpfen, bezeugt: Das Volk des Neuen Bundes ist priesterlichen Charakters.

Und das lebendige Lehramt der Kirche bestätigt diese Wahrheit. Der große Papst Pius XI. hat in einer Enzyklika aus dem Jahre 1928 geschrieben: „An diesem geheimnisvollen Priestertum und an der Aufgabe, genugzutun und zu opfern, haben nicht nur die Anteil, deren unser Hoherpriester Jesus Christus sich bedient, um die makellose Opfergabe vom Aufgang der Sonne bis zum Niedergang an allen Orten dem göttlichen Namen darzubringen, sondern auch das ganze Christenvolk, das vom Apostelfürsten mit Recht ein auserwähltes Geschlecht, ein königliches Priestertum genannt wird.“ Also auch das lebendige Lehramt unserer Zeit tritt in die Fußstapfen des Neuen Testamentes und der Kirchenväter und bezeugt den priesterlichen Charakter des gesamten Gottesvolkes. Das jüngste Zeugnis für diese Wahrheit ist das Zweite Vatikanische Konzil, das in der berühmten Konstitution über die Kirche sagt: „Alle Christgläubigen sind durch die Taufe Christus einverleibt, zum Volk Gottes gemacht und des priesterlichen, prophetischen und königlichen Amtes Christi auf ihre Weise teilhaftig“ – alle sind des priesterlichen, des prophetischen und königlichen Amtes Christi auf ihre Weise teilhaftig –, „und sie üben zu ihrem Teil die Sendung des ganzen christlichen Volkes in der Kirche und in der Welt aus.“

Die gläubigen Theologen haben nun diese Wahrheiten in Begriffe zu fassen versucht und zu zeigen unternommen, wieso alle Gläubigen im echten und nicht bloß im bildlichen Sinne priesterlichen Charakter haben. Sie sind erstens von Gott auserwählt und berufen, sie sind zweitens in besonderer Weise Gott übereignet, sie haben drittens eine eigene Weihe oder Heiligung empfangen, und sie haben viertens die Befähigung, Gott zu nahen und ihm Gaben darzubringen.

Bei diesen Ausführungen ist vielleicht dem einen oder anderen von Ihnen der Gedanke gekommen: Wenn dieses allgemeine Priestertum eine Wirklichkeit ist und nicht bloß eine bildliche Redeweise, tritt man damit nicht dem besonderen Priestertum zu nahe? Wie ist denn das im Verhältnis des besonderen Priestertums zum allgemeinen Priestertum und umgekehrt? Tatsächlich hat es im Laufe der Kirchengeschichte Irrlehrer gegeben, welche das besondere Priestertum verneinten und nur das allgemeine Priestertum gelten ließen. Ich erwähne die Waldenser, die im 12./ 13. Jahrhundert eine eigene Religionsgemeinschaft aufbauten. Ich erwähne vor allem Martin Luther. Er hat das besondere Priestertum verworfen und nur das allgemeine Priestertum gelten lassen. In einem seiner Texte sagt er: „Alles, was aus der Taufe gekrochen ist, mag sich rühmen, daß es zum Priester, zum Bischof, zum Papst geweiht sei.“ Das ist eine glatte und runde Leugnung des besonderes Priestertums.

Wir haben also jetzt die Aufgabe, das Verhältnis des allgemeinen zum besonderen Priestertum darzustellen. Dazu ist zu sagen, daß erstens das allgemeine Priestertum dem besonderen Priestertum nicht zu nahe tritt. Denn das besondere Priestertum hat eben von Gott, von Christus besondere Aufgaben empfangen. Ihm ist beispielsweise die Feier des Meßopfers anvertraut, und darin ist der Priester unvertretbar. Kein durch die Taufe in das allgemeine Priestertum Eingetretener ist fähig, die Gaben durch den Heiligen Geist zu wandeln, wie es der geweihte Priester ist. Allgemeines Priestertum und Amtspriestertum sind, wie das Zweite Vatikanische Konzil sagt, „dem Wesen nach“ verschieden. „Das allgemeine Priestertum der Gläubigen und das Priestertum des hierarchischen Dienstes unterscheiden sich dem Wesen und nicht bloß dem Grade nach.“ Sie sind also nicht nur bestimmte Stufen innerhalb ein und desselben Priestertums, nein, es sind ganz andere Priestertümer.

Das allgemeine Priestertum ist zweitens unverwechselbar mit dem besonderen Priestertum, und das eine kann nicht aus dem anderen abgeleitet werden. Beide sind – das ist die zweite Wahrheit – ursprünglich vom Priestertum Christi abzuleiten. Beide sind ursprüngliche Teilnahmen am Priestertum Christi. Diese ursprüngliche Teilnahme wird für das allgemeine Priestertum bewirkt durch die Taufe, für das besondere Priestertum durch die Weihe. Die Ordnung innerhalb der Kirche bedingt, daß es neben dem allgemeinen priesterlichen Charakter aller Gläubigen ein besonderes Priestertum geben muß, und diese Ordnung ist nicht menschlichen Rechtes, wie Luther und seine Gefolgsleute behaupten, diese Ordnung ist göttlichen Rechtes.

Drittens muß man sagen, daß allgemeines Priestertum und besonderes Priestertum sich gegenseitig nicht gefährden. Das besondere Priestertum ist von solcher Mächtigkeit, von solcher Unentbehrlichkeit, daß das allgemeine Priestertum ihm in keiner Weise zu nahe treten kann.

Viertens muß man sagen, daß das besondere Priestertum durch seine Begründung in Christus eine derartige Kraft in sich besitzt, daß es immer wieder Menschen an sich zu ziehen vermag. Das Priestertum ist so hoch von Gott angeordnet, daß gewissermaßen ein Reiz darin liegt, diese hohe Aufgabe zu übernehmen. An den Aufgaben wächst der Mensch, und je höher die Aufgabe ist, um so mehr wächst er, wenn er sich in diese Aufgabe hineinziehen läßt.

Fünftens sind allgemeines und besonderes Priestertum einander zugeordnet. Das allgemeine Priestertum kann nur ausgeübt werden in Einordnung und in Verbindung mit dem besonderen Priestertum. Diejenigen, die in der Taufe das allgemeine Priestertum empfangen haben, sind unfähig, von sich aus das Meßopfer darzubringen, wenn sie sich nicht dem Priester, der das besondere Amtspriestertum empfangen hat, anschließen. Sie sind auf ihn angewiesen. Aber umgekehrt gilt auch: Die Träger des Amtspriestertums haben eine Aufgabe an den Angehörigen des allgemeinen Priestertums. Sie sind zu ihrem Dienste bestellt. Jawohl, das Priestertum, das Amtspriestertum ist ein Dienst, es ist ein Dienst an Gott für das Volk Gottes.

Das allgemeine Priestertum leitet sich aus der Taufe her, nicht aus der Firmung. Es sind in jüngerer Zeit derartige Behauptungen aufgestellt worden, daß das allgemeine Priestertum sich aus der Firmung herleitet. Nein, das trifft nicht zu, denn nur durch die Taufe tritt man in das Volk Gottes ein, das priesterlichen Charakters ist, und nur durch die Taufe gewinnt man Anteil am allgemeinen Priestertum. Die Firmung ist freilich nicht unbedeutend für das allgemeine Priestertum, sie bildet ja Christus ab, insofern er in der Öffentlichkeit der Welt das Böse besiegt hat. Wenn ein Getaufter gefirmt wird, dann wird das allgemeine Priestertum verstärkt und bestätigt. Es soll sich auswirken im Kampf gegen das Böse in der Öffentlichkeit der Welt. Das ist der Zusammenhang von Taufe und Firmung bezüglich des allgemeinen Priestertums.

Wenn es so ist, meine lieben Freunde, daß alle Getauften königlichen, priesterlichen und prophetischen Charakters sind, dann müssen drei Haltungen in uns aufstehen, nämlich erstens Dankbarkeit, Dankbarkeit dafür, daß uns Gott erwählt hat, daß er uns durch die Taufe an seinem Priestertum, an seinem Königtum, an seinem Prophetentum Anteil gegeben hat. Zweitens ein heiliger, demütiger Stolz. Wozu hat Gott uns erhoben! „Erkenne, o Christ, deine Würde!“ So ruft der heilige Papst Leo I. den Christen seiner Zeit zu. Wahrhaftig, es ist eine hohe Würde, am Priestertum, am Königtum und am Prophetentum Christi Anteil zu haben. Drittens muß in uns ein heiliger Eifer erwachen, dieser Gaben würdig zu sein, so zu handeln, wie es Menschen angemessen ist, die Christus in seinem Königtum, in seinem Priestertum und in seinem Prophetentum angenähert sind. Worin diese Aufgaben bestehen, worin sie im einzelnen zu leisten sind, das wollen wir an einem kommenden Sonntag bedenken.

Amen.

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