Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
26. Dezember 2023

Das Zeichen

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Immer wieder taucht die Frage auf: Haben wir eine Legende vor uns oder Geschichte? Man ist nicht rückständig, sondern selbständig, wenn man feststellt: Der Bericht des Lukas-Evangeliums hält einer nüchternen Prüfung stand. Sprachlich ist es ein vorgeformtes Stück, das Lukas übernommen hat. Daraus ein Fragezeichen abzuleiten, ist unbegründet. Inhaltlich ist der Bericht so schlicht, dass er sich wohltuend abhebt von zeitgenössischer Fabulierungskunst. Er passt genau in jene Zeit und Umwelt hinein. Nein, wir haben nicht aus dem Museum ein altes Stück zur Verschönerung der Weihnacht geholt, sondern jene Botschaft gehört, auf der unser Christentum aufbaut. Aus der Fülle des Berichtes des Evangeliums greifen wir ein Wort heraus: „Dies soll euch als Zeichen dienen.“ Für jenes Volk der Bibel war „Zeichen“ ein wichtiges, vertrautes Wort. Zeichen musste kein Wunder sein, aber es musste etwas Greifbares sein, das eine Garantie bot gegen Selbsttäuschung und Schwärmerei. Wie viele Kinder mögen vor den Toren Bethlehems zur Welt gekommen sein! Wenn aber zu dieser Stunde ein Kind in Windeln gewickelt in einer Krippe liegt, dann wissen die Hirten, dass die Botschaft der Engel kein Traum war, sondern beglückende Wirklichkeit. Dann dürfen sie glauben, dass endlich der ersehnte Messias gekommen ist.

Uns aber soll der Bericht vom Zeichen des Kindes die Augen öffnen für die Zeichen, die uns gegeben sind, damit wir glauben können. Es gibt gewisse Erwartungen, die der Gläubige in sich entdeckt, die aber vor dem Gericht des Glaubens nicht standhalten. Wenn Gott seinen Sohn auf die Erde schickt, müsste er da nicht alle Menschen bekehren, sich zuwenden und die Sünde ausrotten? Im Extremfall haben Christen schon ihren Glauben verloren, weil Bosheit Erfolg hatte und Sünder scheinbar ungestraft blieben; weil die Welt voller Schlechtigkeit ist und man sich vorsehen muss, wem man begegnet. Ist die Erlösung wirklich geschehen? Aber wir haben Zeichen bekommen, damit wir glauben können. Hat nicht der Herr vom Acker gesprochen, auf dem Unkraut und Weizen wächst, so viel Unkraut, dass man es nicht ausreißen kann, ohne den Weizen zu gefährden? Hat er nicht den Herrn des Ackers sprechen lassen: Lasst beides wachsen bis zur Ernte? Eine Welt, die zum Fürchten ist, wird auf einmal zum Zeichen, wenn auch nur hie und da ein wenig Gutes entdeckt wird. Es ist da, dieses wenige Gute: in der Verzeihung der Gütigen, in der Barmherzigkeit der Helfenden, in der Geduld der Kranken, in der Zuversicht von Sterbenden. Man muss sich nur bemühen, es sehen zu wollen, und sich erinnern, dass es Zeichen sind. Man muss die gläubige Einfalt jener Hirten haben, die nach Bethlehem gingen, um nach einem Kind in einer Krippe Ausschau zu halten. Dann wird man entdecken, dass es gar nicht selbstverständlich ist, dass Güte und Liebe, Barmherzigkeit und Vergeben, Gottvertrauen und Gebet nicht aussterben auf Erden; dass es noch nicht einmal menschlich ist, weil der Mensch, sich selbst überlassen, so furchtbar schwach und selbstsüchtig ist. All das Gute und Fromme, das geschieht, ist nur möglich, weil jenes Kind in Bethlehem geboren wurde, um dessentwillen Gott die Erde segnet und denen beisteht, die guten Willens sind. Das Zeichen ist doch da, dass die Welt erlöst ist. Es besteht im Überleben des Guten bis zum Tag der Ernte.

Was von der Welt im Großen gilt, das gilt auch von der Welt im Kleinen, von einem jeden von uns. Wer noch ein Weihnachten feiert, das mehr ist als Geschenke nehmen und Geschenke geben, wer noch zum Gottesdienst geht und betenden Herzens ein christliches Weihnachtslied singt, der sollte so ehrlich sein und zugeben: Erklären kann ich das nicht, und meine Leistung ist es nicht, dass ich von dem massiven Materialismus meiner Umwelt nicht geschluckt wurde, sondern dass ich fähig blieb, nach Gott Ausschau zu halten. Ohne seine Liebe gäbe es heute höchstens noch „O Tannenbaum, wie schön sind deine Blätter“ oder „Hohe Nacht der klaren Sterne“. Aber es gibt noch Menschen, die gläubig und ehrfürchtig vor der Krippe knien und das göttliche Kind anbeten. Und das ist ein Zeichen. Vielleicht waren wir manchmal nahe daran, Gott zu verlieren; vielleicht hatten wir ihn manchmal fast ganz vergessen. Aber Gott fand Wege, uns zu halten, dass wir nicht ganz davonliefen. Gott hat Menschen auf der Flucht vor Gott oft in letzter Stunde eingeholt. Siehe da, das ist ein Zeichen! Wir Priester erleben Heimkehrer und Rückkehrer aus Glaubensnot und Glaubensferne. Siehe da, das ist das Zeichen Gottes! Und das zur heiligen Weihnacht! Unsere Weihnachtslieder sollten uns Zeichen sein, dass es wahr ist: „So sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn dahingab!“ Du und ich, wir sind Zeichen.

Wir sind aufgeklärte Menschen. Wir wissen, wie es in unserer Welt aussieht. Siebzig Jahre lang wurde in der Sowjetunion planmäßig Gottlosenpropaganda betrieben. Tausende von Kirchen wurden niedergerissen oder in Scheunen verwandelt. Zehntausende von Priestern wurden in die Verbannung getrieben oder in den Tod geschickt. Und doch brannten in dieser Zeit in Russland an zahllosen Stellen heimlich Lichter vor Ikonen, spendeten Großmütter das Taufsakrament an ihre Enkel, feierten Priester in nächtlicher Stunde in Höhlen und Kammern die heilige Liturgie. Dann endlich merkten die Lenker sowjetischer Politik, dass sie Gott nicht vertreiben können, auch nicht, seitdem die dritte und vierte Generation durch ihre Schulen ging. Sie haben das Steuer herumgeworfen. Religion ist wieder erlaubt. Priesterseminare sprießen aus Russland Boden. Klöster entstehen allenthalben. Die Jugend erfährt wieder, wer Christus ist und was wir ihm verdanken. Das ist ein Zeichen für den, der sich noch Gedanken macht und nicht verblödet ist vor dem Bildschirm. Die Religion lässt sich nicht ausrotten. Gott zeigt seine Existenz.

Im Reich der Mitte, in China, kannte kaum ein Prozent der Bevölkerung das Kind von Bethlehem, als die Grenzen geschlossen wurden und ein Bambusvorhang niedergelassen wurde. Keinerlei Hilfe kam von außen. Im Inneren wütete der Terror, wälzte sich die Kulturrevolution über das Land. Neuheidnische Massen rissen ganze Generationen mit sich. Die mit äußerster Anstrengung aufgebaute christliche Organisation, die Bistümer, die Pfarreien, die Universitäten und Klinken, wurden eingerissen, zerstört, ausgelöscht. Ausländische Priester wurden ausgewiesen, einheimische eingesperrt, hingerichtet, neue wurden geweiht. Die gläubig gewordenen Eltern starben, aber manche ihrer Kinder glaubten weiter. Die Päpste versuchten, ihren Gläubigen eine Botschaft zukommen zu lassen. Peking verhinderte es; es wusste nur zu gut, sie wird in ihrem Lande gehört. Aber nach all den Schrecknissen gilt: Die verschwindende Minderheit gläubiger Christen ist noch da. Hört die Botschaft der Engel von Bethlehem. Eilt zur Krippe. Das Kind ist nicht wegzudenken aus China. Vor ihm knien die Christen. Das überlebende Christentum im Land der Mitte ist ein Zeichen. Ein Zeichen, dass Gott lebt und wirkt.

In dem afrikanischen Land Burkina Faso (früher Ober-Volta) werden die katholischen Christen von den Muslimen gewalttätig verfolgt. Die Eskalation der Gewalt hat eine unerwartete Wirkung. Viele Christen kehren jetzt erst recht zur religiösen Praxis zurück, die sie ansonsten manchmal zu vernachlässigen pflegten. Siehe da, das Zeichen! Dass Gott lebt in Afrika. Unter gewaltsamen Muslimen. Gewiss: Es gibt keine Weltmacht des Christentums. Wir brauchen nicht so zu tun, als sei es anders. Die Zahl der Vollblutchristen ist klein. Aber sie genügt, um den Tag heraufzuführen, an dem er kommt „in Macht und Herrlichkeit“. Um der wenigen willen, die das apokalyptische Tier nicht angebetet haben, wird der Richter den vielen gnädig sein, den Gedankenlosen, den Unwissenden, den Irrenden. Diese Gewissheit gibt uns das Zeichen.

Es gibt aber auch andere Zeichen. Ein solches ist die Lage der katholischen Kirche in Deutschland. Leere Priesterseminare, Verschwinden des klösterlichen Lebens, Verlassenheit der Gläubigen. In 50 Jahren sind der Kirche 13 Millionen Katholiken verlorengegangen. Der Bischof Overbeck von Essen erklärte dieser Tage, er habe in 14 Jahren als Diözesanbischof 300 Priester beerdigt und 15 geweiht. Er habe keinen einzigen Priesterkandidaten. So ist es fast überall: Die Bischöfe haben die Kirche in Deutschland in den Abgrund gezogen. Aber nicht überall ist es so. Die Orden und kirchlichen Vereinigungen, die sich der Tradition verpflichtet fühlen, haben Nachwuchs, unterhalten Priesterseminare, gründen eine Niederlassung nach der anderen, erbauen neue Kirchen und übernehmen Gotteshäuser, welche die Konzilskirche aufgegeben hat, schicken ihre Mitglieder in die ehemaligen Republiken der Sowjetunion, feiern die heilige Messe im alten Ritus, sehen Scharen von Beichtwilligen vor ihren Beichtstühlen. Ist das nicht ein Gericht über die Änderungen in Struktur und Gottesdienst, mit denen die Führer der Kirche das gläubige Volk überschüttet und erschüttert haben? Vor Jahrzehnten bat der französische Erzbischof Lefebvre den Papst: Heiliger Vater! Sie gestatten Experimente, Versuche in Ordnung und Gottesdienst. Lassen Sie uns das Experiment der Tradition machen. Der Heilige Vater wies die Bitte ab. Lefebvre machte nun das Experiment auf eigene Faust. Und die Entwicklung gab ihm recht. Seine Unternehmung blüht, und die Großkirche welkt dahin. Auch das ist ein Zeichen. Es gibt uns die Hoffnung, dass auch der oberste Hirte der Kirche oder sein Nachfolger einmal begreifen wird, dass der Abbruch der Tradition das Versiegen der Segensquelle Gottes ist. Sie haben die Wurzeln ausgerissen. Hat es jemals einen Acker gegeben, der Frucht bringt, auf dem man die Wurzeln des Getreides zerstört hat?

Amen.

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