1. September 2024
Der Apostel der Aussätzigen
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
Joseph de Veuster wurde am 3. Januar 1840 als siebentes von acht Kindern einer flämischen Bauernfamilie in Tremelo geboren. Nach dem Besuch der Handelsschule trat er in die Ordensgemeinschaft von den heiligsten Herzen Jesu und Mariens (Arnsteiner Patres) ein und folgte damit dem Beispiel seines älteren Bruder August. In den religiösen Familien des Landvolks war es nicht selten, dass mehr als ein Kind den Ruf zum Ordensleben vernahm und ihm folgte. So war es auch in der Familie de Veuster. Zwei Söhne und zwei Töchter wählten das gottgeweihte Leben. Da er älter und nicht genügend vorgebildet war, wurde Joseph nur als Laienbruder zugelassen. Er erhielt mit dem Ordenskleid den Klosternamen Damian. Damian hoffte im Stillen dennoch, Priester zu werden. Er tat in allem seine Pflicht, nutzte aber jede freie Minute, um die Gymnasialkenntnisse zu erwerben. Daraufhin ließen ihn die Oberen zum Theologiestudium zu. Der Bischof von Polynesien bat um Missionare. Josephs Bruder August wurde bestimmt, dem Ruf zu folgen. Doch er wurde typhuskrank und konnte nicht ausreisen. Da bat Joseph darum, anstelle seines Bruders in die Mission gehen zu dürfen. Obwohl er noch nicht Priester war, sagten seine Oberen zu; und zu Allerheiligen 1863 trat Damian in Bremerhaven die lange Reise an. Nach viereinhalb Monaten Reisezeit kam er in Honolulu an. Acht Tage später wurde er zum Subdiakon und nach zwei weiteren Monaten zum Priester geweiht. Der Bischof brauchte ihn, um einen erkrankten Missionar auf der Hauptinsel ersetzen zu können. Damian besaß alle natürlichen Voraussetzungen zum Missionar. Er war kräftig, hatte als Bauernsohn hart anfassen gelernt, war unerschrocken und besaß einen heiteren, frohen Sinn. Dabei war er fromm, in sich gefestigt und voll Hingabebereitschaft. Damian war anspruchslos und ein Freund der Armut. Was er an zeitlichen Gütern besaß, fand in den beiden Satteltaschen seines Pferdes Platz: etwas Wäsche, ein Messgewand, eine Albe, ein kleines Messbuch und ein Kelch: das war alles. Damit begann er seine Arbeit in den volkreichen Dörfern seines Missionsdistriktes; er musste ihn erkunden, die Sprache der Leute lernen und als Wandermissionar ständig unterwegs sein. So verging das erste Jahr. Das religiöse Leben der wenigen Christen war aufgeblüht, ihre Zahl allmählich gewachsen. Pater Damian wurde geliebt, nicht nur von den Gläubigen. Er war glücklich, wie er einst auf dem Boden seiner flandrischen Heimat glücklich gewesen war. Er durfte einer guten, reichen Ernte entgegensehen. Aber er sollte sie nicht einbringen. Eines Tages erreichte ihn der Notschrei eines Mitbruders, der an der gegenüberliegenden Küste der Insel Hawaii missionierte. Er war krank; der Misserfolg hatte ihn krank gemacht. Die Arbeit war zu schwer für ihn. Der Bischof hatte niemand, den er dem verzagten Missionar hätte zur Seite stellen können. Und doch brauchte der kranke Mitbruder Hilfe. Kurz entschlossen tauschte Damian mit dem Mitbruder die Stelle und fing von vorne an. Hawaii war damals ein Königreich. Später seit 1894 war es eine Republik. Im Jahre 1898 wurde es von den USA annektiert.
Pater Damian begegnete in seinem neuen Gebiet zum ersten Mal der großen Plage, die das Paradies der Südsee geradezu zu einer Hölle machte: dem Aussatz. Da die Krankheit schnell um sich griff, sah sich die Regierung gezwungen, eine Maßnahme zu treffen, die am sichersten der Gefahr der Ansteckung begegnete. Sie sonderte die Aussätzigen ab und brachte sie auf die Felseninsel Molokai. Die Armen waren ganz sich selbst überlassen, und der Tod hielt reiche Ernte unter ihnen. In ihrer Verzweiflung suchten die Überlebenden Betäubung in Trunkenheit und unsittlichen Ausschweifungen. Die Priester, die der Bischof gelegentlich nach Molokai entsandte, wussten haarsträubende Dinge von dort zu erzählen. Im Frühjahr 1873 waren die Missionare anlässlich einer Kirchweihe vollzählig um ihren Bischof versammelt. Sie kamen sehr bald auf diese Verhältnisse zu sprechen. Der Bischof verhehlte ihnen nicht, wie groß seine Sorge um das Heil der Verbannten war. Da jeder Verkehr zwischen Molokai und der übrigen menschlichen Gesellschaft untersagt war, musste ein Priester sich entschließen, sich mit den Aussätzigen zusammensperren zu lassen. Der Bischof erklärte, ein solches Opfer könne er von keinem seiner Priester verlangen. Da erbot sich Damian. Aus seinem Sprengel weilten viele Kranke auf der Felseninsel. Er fühlte sich von ihnen gerufen und von Gott. Deshalb stellte er sich dem Bischof für Molokai zur Verfügung. Schon am nächsten Morgen ging der Bischof mit ihm an Bord des Schiffes, das die Inselbewohner mit dem Lebensnotwendigen versorgte. Am Abend desselben Tages war Pater Damian allein, der einzige Gesunde unter mehr als 800 Kranken. Freiwillig hatte er sich mit ihnen lebendig begraben lassen; denn es bestand keine Aussicht, dass er je wieder von der Insel der Todgeweihten unter die Gesunden zurückkehren würde. Damian war 33 Jahre alt, gesund und kräftig. So griff er entschieden zu. Er wollte den Kranken alles sein: Vater und Bruder, Arzt, Lehrer und Priester. Er gehörte zu ihnen. Wie oft kam es vor, dass er in Gesprächen die Wendung gebrauchte: „Wir Aussätzigen!“ Das waren nicht nur Worte, er lebte sie. Er schien keine Angst vor Ansteckung zu haben; er ging mit den Kranken um, als seien sie Gesunde. Die Furchtlosigkeit gewann ihm die Zuneigung und Liebe der Ausgestoßenen.
Auf diese Weise gelang es Damian, das Aussehen der Aussätzigenkolonie völlig umzugestalten und auf die Dauer auch die Gesinnung und Haltung der Leute zu wandeln. Als ein Taifun die ärmlichen Hütten zerstörte, machte er sich daran, mit den Kranken und für sie neue, saubere Holzhäuser zu errichten. Er baute ein Spital für jene, die sich nicht mehr allein helfen konnten, und zwei Waisenhäuser für die Kinder, die ohne ihre Familien auf die Insel verbracht worden waren. Auch die Schrecken des Todes suchte Damian zu lindern, indem er für eine würdige Bestattung der Verstorbenen sorgte. Er zimmerte Särge für die Verstorbenen und schaufelte Gräber für sie. Damian arbeitete auch als Sanitäter, und zwar vom Auswaschen der Wunden angefangen bis zur Amputation halb verwester Gliedmaßen. Unter schwersten Bedingungen sorgte er aufopferungsvoll für die Kranken. Solange es jeweils möglich war, suchte er sie für sinnvolle Arbeit zu gewinnen. Er gründete sogar eine Musikkapelle für die Aussätzigen. Die unermüdliche Liebestätigkeit Damians zeitigte bald auch Früchte seiner seelsorglichen und missionarischen Bemühungen. Seine Gemeinde wuchs. Die Kirche der Kolonie wurde zu klein und musste erweitert werden. Als Bischof Maigret 1875 zu einer Firmungsreise nach Molokai kam, staunte er über das, was Pater Damian geleistet hatte. Aber nicht nur der Bischof bewunderte sein Wirken. Auch die Öffentlichkeit nahm davon Kenntnis, wenn es auch nicht an Missgünstigen fehlte. So, wie die Gottesmutter als Pietà den Gekreuzigten auf ihrem Schoß hält, hat Pater Damian Menschen getragen, welche die Gestalt des leidenden Christus trugen. Er sagte einmal: „Ich finde mein Glück darin, dem Herrn zu dienen in seinen armen und kranken Kindern, die von den anderen Menschen verstoßen werden.“ Schließlich überzeugte seine Tat und weckte ein weites Echo. Gaben aus Amerika und Europa erleichterten sein Wirken. Eines Tages lenkte auch die hawaiianische Regierung ein. 1881 machte sogar die Regentin einen Besuch auf der Insel und verlieh dem „Apostel der Aussätzigen“ die höchste Auszeichnung des Landes.
Aber Damian de Veuster hielt nicht viel vom Ruhm der Welt. Ihm lag mehr am dankbaren Lächeln seiner Kranken. Zudem wusste er, dass ihm eine andere „Auszeichnung“ zuteilwerden würde. Schon 1877 hatte er an seinen Armen kleine, weiße Flecken bemerkt, die zeitweise verschwanden, aber immer wieder auftauchten. Damian wusste, dass es erste Anzeichen der Lepra waren, die nach ihm griff. Furcht wollte ihn befallen, obwohl er von Anfang an damit gerechnet hatte, dass er der Krankheit nicht entgehen werde. Er flüchtete sich in seiner Angst zu Gott. Im Dezember 1884 erhielt Pater Damian die Gewissheit, dass auch er ein Aussätziger war. Nach einer Tour über die Insel verspürte er ein starkes Unwohlsein. Er wollte sich durch ein heißes Fußbad Linderung verschaffen. Ohne es zu beachten, tauchte er seine geschwollenen Füße in kochendes Wasser. Erst als er sich die Hand verbrühte, merkte er, dass seine Füße gefühllos waren – eines der sichersten Zeichen des Aussatzes. Die Gewissheit traf ihn so hart, dass er blass wurde und zitterte, als wenn er heftiges Fieber hätte. Immer wieder sprang die Angst ihn an. Er brauchte geraume Zeit, bis er sie überwand und seinem Bruder Pater Pamphilius schreiben konnte: „Du weißt, dass der Erlöser seit einiger Zeit seine Wahl auf mich gelenkt hat, indem er erlaubte, dass ich vom Aussatz ergriffen wurde. Ewig werde ich Gott für diese Gunst dankbar sein. Die Krankheit wird meinen Lebensweg schneller zum himmlischen Vaterland lenken. In dieser Hoffnung nehme ich das Kreuz auf mich. Hilf mir bitte durch dein Gebet, dass ich die Kraft finde, auszuharren und glücklich auf dem Gipfel des Kalvarienberges anzukommen.“ Als das Leiden schon stark vorangeschritten war, stellte er dankbar fest: „Glücklicherweise hat die Krankheit bis jetzt meine Hände nicht verkrüppelt, so dass ich noch alle Tage die Messe feiern kann; das ist mein größter Trost.“ „Hin und wieder kommt mich ein Gefühl des Ekels an, besonders wenn ich die Beichte der Kranken hören muss, deren Wunden bereits voller Würmer sind… Oft bin ich großer Verlegenheit, wenn ich die Krankensalbung spenden soll, weil neben den Wunden kaum mehr ein freies Plätzchen zu finden ist“, schrieb er an seinen Bruder.
Der Kreuzweg sollte Jahre währen. Pater Damian war seinen geliebten Kindern nun völlig gleich geworden: Das Gesicht war aufgedunsen, die Ohren waren verschwollen und unförmig, die Augen waren gerötet, die Stimme war heiser. Seine Kräfte schwanden dahin. Er magerte ab und wurde von heftigen Fiebern geschüttelt. Das Beispiel Damians weckte Nachahmung. Zwei Laien und ein Weltpriester wurden seine Gefährten. 1888 kamen die ersten Barmherzigen Schwestern auf Molokai an. Damian jubelte: „Ich kann ruhig sterben. Mein Werk liegt in guten Händen.“ Damian de Veuster starb im Alter von 49 Jahren in der Nacht zum 15. April 1889. Der Leib des Verstorbenen wurde von den Aussätzigen unter einem hohen Baum beerdigt, unter dem Pater Damian seine ersten Nächte auf Molokai verbracht hatte. Der Grabstein trug die Inschrift: „Zur weihevollen Erinnerung an den ehrwürdigen Vater Damian de Veuster, der als Martyrer der Nächstenliebe starb.“ Das Andenken Damians ist nicht erloschen. Am 3. Mai 1936 brachte das Schulschiff „Mercator“ die leiblichen Überreste des großen Missionars nach Belgien zurück. Sein Heimatdorf Tremelo errichtete ihm ein Denkmal. Die Gebeine wurden in Löwen (Leuven) beigesetzt. Papst Johannes Paul II. sprach ihn 1995 in Brüssel selig. Papst Benedikt XVI. sprach ihn am 11. Oktober 2009 heilig. Damian wusste sich von frühester Kindheit an in allem von Gott getragen. Nach acht Jahren der Arbeit in der Leprakolonie schrieb er voll Zuversicht in einem Brief: „Ich weiß nicht, wo das noch enden wird… Meinen Trost finde ich in dem Gefährten, der mich nicht verlässt: bei unserem Erlöser in der heiligen Eucharistie.“ Hier ist Damian Christus am nächsten. Hier findet er die Kraft, so weit zu gehen, wie Christus für ihn gegangen ist. Wo die Liebe der Kirche in der Eucharistie verortet ist, gewinnt sie das Gesicht des Gekreuzigten und Auferstandenen. Um Christus zu folgen, verließ er nicht nur seine Heimat, sondern setzte auch sein Leben aufs Spiel. Als bei der Heiligsprechung Damians das Gesicht des neuen Heiligen an der Fassade des Peterdoms in Rom sichtbar wurde, schauten wir einem Menschen in die Augen und ins Herz, der sich für andere verzehrt hatte. Seine ausgemergelte Gestalt offenbart eine Herzens- und Seelenverwandtschaft mit Christus und Maria, die der Liebe der Kirche ein erkennbares Profil gibt. Wo Menschen sich ganz auf Gott ausrichten, kommen die Schwestern und Brüder in den Blick, die das Antlitz Christi tragen. Wo Christen sich im Namen Gottes der Not der Menschen verschreiben, bleibt von ihrem Leben, was sie an Liebe gegeben haben. Die Biographie Damians zeigt die Bewegung, wie der Mensch des Glaubens von Gott in die Leidenschaft geführt wird, alles zu geben.
Amen.