Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
5. November 2023

Die Heiligen, unsere Freunde

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Die Heiligen des Himmels leben bei Gott in ihrer Ewigkeit, in der Seligkeit und Liebe ihres Gottes, in der Vollendung ihres Lebens. Wir sehen sie als die ganz nahen und mit uns eng verbundenen Menschen. Sie sind auch jetzt noch unsere besten Freunde und stärksten Helfer. Und das ist merkwürdig. Sind die Verklärten des ewigen Lebens denn nicht hinübergegangen durch das dunkle Tor des Todes in das unerforschliche und weit entfernte Land des Jenseits? Wo alles ganz anders ist, wo Raum und Zeit ihre Bedeutung verloren haben, wo unsere Sinne und unsere Vorstellungskraft nichts mehr zu sagen wissen. Ja, im Allgemeinen ist es so: Die Gestorbenen sind für uns auch die Fernen und Ferngerückten. Wenn sie auch in diesem Leben groß waren und mächtig, nach ihrem Tode sind ihre Namen zu leeren und blassen Erinnerungen geworden. Was bedeutet uns Alexander der Große persönlich oder Napoleon oder einer der vielen, deren Grabplatten mit pompösen Inschriften in unseren Museen liegen! Aber mit den Heiligen, den Menschen, die von Gott zu Gott gegangen sind, von einem gotterfüllten Erdenleben zu einen gottseligen Himmelsleben, mit denen ist es anders. Von ihnen wissen wir, dass sie „Liebhaber ihrer Brüder sind und viel beten für das Volk und die ganze heilige Stadt“ und sogar für die unheiligen Städte der Erde. Sie sind uns näher als selbst lebendige Menschen. Wir reden mit ihnen über Dinge, die wir keinem Lebenden anvertrauen möchten. Wir legen ihnen Leid und Freude in die Hände, die wir vielleicht den nächsten Verwandten verheimlichen möchten. Eine kleine früh verstorbene Klosterfrau, Theresia, ist jetzt erst nach ihrem Heimgang für Millionen eine liebe und gütige Freundin geworden. An einen Franziskanermönch, schon seit vielen Jahrhunderten tot, kommt jetzt täglich ein millionenfacher Ruf: Heiliger Antonius, bitte für uns! Eine Frau, die auf dem Höhepunkt ihres Lebens auf dem Hügel Golgotha stand, neben dem Kreuz ihres Sohnes, diese Frau ist nicht nur die Hochgebenedeite aller Frauen und das hinreißende Vorbild aller fraulichen Schönheit und aller mütterlichen Liebe geworden. Nein, noch viel mehr: Sie ist unsere Mutter geworden, Mutter aller Jünger Jesu, Mutter der Christenheit. Und in diesem Augenblick, da wir von ihr reden, steigt zahllose Male das Grußwort zu ihr hinauf: Gegrüßet seist du, Maria! In jedem Augenblick wird ihr der Name „Mutter“ mit einer Inbrunst, mit einem Vertrauen, mit einer Kraft zugeflüstert, wie ihn sonst keine Mutter auf Erden je zu hören bekommt.

Da ist endlich das Wunder der Gemeinschaft geschehen, das wir so heiß und sehnsuchtsvoll suchen und das wir so selten finden. Da haben wir endlich Menschen, zu denen wir wirklich aufsehen, die wir verehren, und zwar neidlos. Sie sind größer und herrlicher als wir. Wir gönnen ihnen alles, was sie besitzen, und wir vertrauen ihnen und rufen zu ihnen um Hilfe, um ihr Gebet, um ihren Beistand, um ihre Führung. Aber wir rufen nicht mit lauten Forderungen, als ob wir ein Recht hätten, sondern gar bescheiden und fast schüchtern. Die Heiligen des Himmels wissen, was uns gut tut. Im Lichte Gottes erkennen sie, wo unsere wahren Bedürfnisse liegen. Und wenn unsere Bitten nicht wortwörtlich erhört wurden, sind wir nicht böse geworden, nicht missvergnügt und misstrauisch, sondern sagten vertrauensvoll: Du mein Heiliger weißt schon, was mir gut tut. Wir wollen diese Menschen auch nicht mit Beschlag belegen für uns allein, wie wir es sonst mit Menschen machen, die uns und sonst niemand gehören sollen. Wir wissen, dass die Liebe der Gottesmutter und aller Heiligen wie ein weiter Mantel ist, der die ganze Christenheit bedeckt. Wir wissen das und sind einverstanden. Das ist Gemeinschaft. Sie besteht auch auf Seiten der Heiligen. Denn sie sind für uns tätig vom Throne Gottes aus, sind voll Wohlwollen und voll Selbstlosigkeit für uns besorgt. Sie sind Freunde, die uns nicht ausnützen wollen. Denn worin könnten wir ihnen nützen? Wir sind für sie ganz nutzlose Geschöpfe. Und doch lieben sie uns, lieben uns mehr und ganz anders als alle die Menschen zusammen, die uns nur brauchen und verbrauchen wollen. Es gibt also doch dieses Wunder der Gemeinschaft, das Zusammensein der Heiligen untereinander und mit uns. Die Gemeinschaft der Heiligen. Gemeinschaft ist aber etwas Seltenes in unseren Häusern, in unseren Ehen und Familien, in unseren Freundschaften und in unserem Volksleben. Und nun mit Menschen, die unsere körperlichen Augen niemals sehen, ist sie auf einmal da. Wie kommt das? Vielleicht, weil der Tod sich zwischen sie und uns gestellt hat? Müssen wir wirklich auf den Tod eines Menschen warten, um in ganz selbstlose und liebreiche Beziehungen zu ihm treten zu können? Nein. Nicht weil die Heiligen im Jenseits sind, sondern weil sie in Gott sind, darum ist eine Gemeinschaft mit ihnen möglich. Weil wir sie in Gott treffen, darum sind wir wahrhaft geschwisterlich zu ihnen eingestellt. Unter allen Menschen, die in Gott sind, die also auch gut und selbstlos sind, ist eine wahrhafte Gemeinschaft möglich. Also auch unter Ehegatten, unter Eltern und Kindern, unter Geschwistern, ja unter allen Volksgenossen könnte eine Gemeinschaft sein, wenn sie alle so zueinander sprechen und voneinander denken wollten, wie wir von den Heiligen sprechen und denken: neidlos und ehrfurchtsvoll, warm und wohlwollend; wenn sie so zueinander sein wollten, wie die Heiligen zu uns sind: hilfreich, gütig, verstehend und schonend, nachsichtig und verzeihend. Ja, wenn. Wir wollen aber nicht trauern, bis dieses Wenn in Erfüllung geht. Das wird noch lange dauern. Wir wollen uns heute nur freuen, dass es doch schon solche Menschen gibt, die ganz gut sind zu uns und denen auch wir schon ganz gut sind. Es gibt doch schon einen geistigen Bau menschlicher Gemeinschaft, der auf der Erde steht und in den Himmel hineinragt. Und die darunter wohnen, sind eins geworden, ein Herz und eine Seele. „Selig, die in diesem Hause wohnen, o Herr. Es ist dein Haus, und in Ewigkeit werden sie dir danksagen.“

Wir bringen den Heiligen Verehrung entgegen. Verehrung ist tief eingesenkt in uns als ein Bedürfnis des Herzens. Wir brauchen einen Gegenstand der Verehrung, sei es eine Frau oder einen Führer oder einen Lehrer und Meister oder ein Genie oder einen Künstler. Jede solche Verehrung ist ein Aufblick zu einem hochstehenden Wesen und ein liebendes Aufblicken, eine wunderbare Mischung aus Ehrfurcht und Zärtlichkeit, aus Scheu und Vertraulichkeit. Wir müssen die Heiligen verehren, weil Gott selbst sie in seine Nähe gestellt und sie ausgezeichnet hat. Und zugleich können wir sie lieb haben, weil sie gut sind, grundgütige und herzliche Wesen, vor denen man keine Furcht zu haben braucht außer Ehrfurcht. Was eigenartig und bedeutungsvoll ist, das ist der Umstand, dass diese Verehrung zu gleicher Zeit auch Religion ist, ein frommer Akt und eine Verehrung, die wir Gott erweisen. Wenn man an die Heiligen denkt, muss man notwendig auch an Gott denken, aus dem sie hervortreten wie aus einem erhabenen Tempelraum. Wenn man ihnen dankt, muss man auch Gott danken, der diese Wesen an die Welt verschenkt hat. Wenn man sich vor ihnen neigt, dann muss man sich auch vor Gott neigen, denn sie sind heiliges Land, auf das Gott herabgestiegen ist. Da haben wir also endlich einen unzweifelhaften Fall, wo die Verehrung, die man einem Menschen schenkt, zugleich ein Dienst ist, den man Gott erweist. Das liegt ganz in der Richtung der christlichen Religion. Das wesentliche Ereignis dieser Religion ist doch die Menschwerdung Gottes, das heißt die Tatsache, dass da ein Mensch ist, der zugleich Gott ist. Dass der unsichtbare, unendliche Gott sichtbar geworden ist in einem Menschen. Dass wir also nur bis zu diesem Menschen zu gehen brauchen, um zu Gott zu kommen. Aber wem dieser Weg lang und beschwerlich vorkommt, der geht zuerst einmal zu seinen Jüngern, zu Maria, seiner Büßerin, und zu Maria, seiner Mutter, und siehe, da sind wir fast schon bei ihm angelangt. Und das ist doch ein leichter Weg. Wer könnte diese kurze Wegstrecke nicht zurücklegen zu Magdalena, die weinend seine Füße umfängt, und die kurze Wegstrecke zur Schmerzensmutter, die das Gotteskind in ihren Armen hält? Wer könnte die ganz kurze Wegstrecke zum Bruder Konrad, dem Kapuzinerpförtner von Altötting, nicht zurücklegen? Und siehe, schon ist er bei Christus, dem großen Herrn und Meister und Freund dieser Menschen, angelangt. Und schon ist er bei Gott, in der Unendlichkeit und Ewigkeit Gottes angelangt. Danken wir Gott, dass er uns die Heiligen und ihre Verehrung geschenkt hat. Danken wir ihm für seine Apostel, für die Martyrer, die Bekenner, die Jungfrauen; für die heiligen Väter und Mütter, für die heiligen Kinder und Jugendlichen. Danken wir ihm durch unser Gebet und unser Leben, unseren Mut und unsere Treue.

Amen. 

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