8. Mai 1988
Die Wirkung der Erlösung
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
„Getröst', getröst', wir sind erlöst, die Hölle ward zuschanden; denn wahrhaft ist Gott Jesus Christ vom Tode auferstanden.“ So singt das christliche Volk an Ostern und in der österlichen Zeit. Wir haben uns vorgenommen, hinter den Begriff der Erlösung zu schauen, uns klarzumachen, was es heißt, wenn wir singen: „Getröst', getröst', wir sind erlöst.“ Wir haben in unserer letzten Betrachtung gesehen, daß das ganze Leben Jesu erlöserische Kraft hat, daß aber die Erlösungstätigkeit Jesu ihren Gipfel erreicht am Kreuze. Am Kreuze hat er das Opfer vollbracht, vollendet, das eigentlich über seinem ganzen Leben stand. Er hat uns durch sein Kreuz erlöst.
Die Theologen und die Heiligen der Kirche, die Frömmigkeit des Volkes und die Entscheidungen der Konzilien haben in begrifflicher Weise die Erlösung zu fassen versucht. Was ist denn die Wirkung dieser Erlösung am Kreuze? Worin besteht denn die erlösende Kraft des Kreuzes, des Leidens unseres Herrn und Heilandes? Darauf gibt die Lehre der Kirche die Antwort: Sie besteht in der Loskaufung und in der Versöhnung. Wenn wir singen: „Getröst', getröst', wir sind erlöst,“ dann meinen wir damit: Wir sind losgekauft und versöhnt worden. So hat es das Konzil von Trient lichtvoll ausgesprochen: „Er hat uns durch sein Blut, am Kreuze vergossen, versöhnt. Er ist unsere Heiligung, er ist unsere Versöhnung, er ist unsere Loskaufung geworden.“ Und was das Konzil da sagt, das hat es aufgenommen aus der Heiligen Schrift, wo oft von der Versöhnung, von der Loskaufung die Rede ist. Jesus sagt ja selbst, er sei gekommen, sein Leben hinzugeben als Lösegeld anstelle vieler. Der heilige Paulus schreibt, daß durch die Hingabe des Blutes Jesu unsere Versöhnung bewirkt ist. „Es hat ihm gefallen, alless in seinem Blute zu versöhnen.“ Also die Wendungen Loskaufung und Versöhnung sind unmittelbar von den Offenbarungsträgern, von Christus und den Aposteln, in das Lehrbuch der Kirche eingefügt worden. Wir stehen auf sicherem Boden, wenn wir sagen: Die Erlösung besteht in Loskaufung und Versöhnung.
Nun müssen wir freilich fragen: Was bedeutet denn, losgekauft, was bedeutet es denn, versöhnt zu sein? Das Wort Loskaufung ist aus dem alten Sklavenrecht genommen. Die Apostel haben die Terminologie benutzt, die sie vorfanden. Wie hätten sie eine andere benutzen können, nicht wahr? Und so haben sie aus dem Sklavenrecht den Ausdruck Loskaufung gewählt. Loskaufung besagt, daß man einem Herrn seinen Sklaven ablöst, daß man abkauft und daß man ihn durch den Betrag, den man ihm zahlt, frei macht. Er wird aus einem Sklaven ein freier Mensch. Das bedeutet natürlich in der alten Welt der Sklaverei einen ungeheueren Schritt. Denn ein Sklave war ja rechtlich gesehen gar kein Mensch, er galt als Sache, er war eine res und keine persona. Mit ihm konnte der Herr machen, was er wollte, er konnte ihn sogar töten, ungestraft töten. Und jetzt war er ein Freier. Damit gewann er einen ganz anderen Rechtsstatus. Ein freier Mensch war allein fähig, das Bürgerrecht zu erwerben. Ein freier Mann hatte viele Privilegien. Dieses Wort Loskaufung haben also die Apostel, ja Christus selbst gewählt, um die Erlösung zu beschreiben. Aus Knechten werden durch die Erlösung Freie.
Welches ist denn nun die Knechtschaft, die da beendet wird? Es ist eine vierfache: die Knechtschaft der Sünde, die Knechtschaft des Gesetzes, die Knechtschaft des Teufels und die Knechtschaft des Todes. Aus vierfacher Knechtschaft werden wir Erlösten losgekauft. Daß die Unerlösten an die Sünde verknechtet sind, leuchtet ohne weiteres ein, darin besteht ja ihre Unerlöstheit, nicht wahr, daß sie eben nicht der Gerechtigkeit dienen, sondern der Sünde. Aber die Sünde steht in engem Zusammenhang mit dem mosaischen Gesetz. Der heilige Apostel Paulus sagt: Das Gesetz ist gut, gerecht und heilig. Aber es wurde zum Anlaß für die Sünde. Die Menschen konnten es nicht erfüllen, wurden also schuldig vor dem Gesetze, und diejenigen, die meinten, es zu erfüllen, wurden hochmütig, erhoben sich über die anderen. Und so war auch das Gesetz zum Sklavenhalter geworden, waren die Menschen, die unter dem Gesetze standen, Knechte des Gesetzes geworden. So spricht Paulus auch einmal vom „Fluch“ des Gesetzes. Davon hat uns Christus erlöst.
Die Sünde hat einen Vater, und das ist der Teufel. Der Teufel ist derjenige, der die Sünde gewissermaßen in teuflischer Weise dirigiert, der die Menschen aufreizt zur Sünde. Er ist der Versucher und damit der Urheber der Sünde. Das ist also die dritte Knechtschaft. Und die vierte ist der Tod; denn anderen Sold zahlt die Sünde nicht als den Tod. Sie zahlt mit dem Tod. „Das ist der Sold der Sünde,“ sagt der Apostel Paulus. Sie entlohnt ihre Knechte mit dem Tod. Denn wer sündigt, der ist eben eine Tod-Sünder, und der Tod-Sünder muß sterben, d.h. er muß die Verdammnis erleiden.
Da sehen wir, meine lieben Freunde, was es heißt, losgekauft zu sein: Befreit zu sein von der Knechtschaft der Sünde, imstande zu sein, nicht mehr zu sündigen. Befreit zu sein vom Gesetze. Nicht mehr das Gesetz ist jetzt unser Heilsmittler, sondern Christus, der Glaube an Christus und das Sich-Einlassen auf Christus. Dadurch werden wir geheilt, befreit vom Satan. Er lebt noch, aber er ist gefesselt. Die Väter vergleichen ihn mit einem gefährlichen Hunde, der aber an der Kette liegt. Gebissen werden kann nur derjenige, der sich in die Nähe dieses Hundes begibt, aber er ist angekettet. Befreit auch vom Tode. Sterben müssen die Menschen nach wie vor, aber jetzt ist der Tod der Durchgang zum Leben. Jetzt ist er die Weise, wie Christus die Seinen heimruft, wie er sein Wort wahrmacht: „Ich gehe voran und bereite euch eine Wohnung. Im Hause meines Vaters sind viele Wohnungen.“
Das also, meine lieben Freunde, ist die Loskaufung. Es gibt einzelne Kirchenschriftsteller, die haben sich die Loskaufung zu primitiv vorgestellt. Dazu gehört der an sich bedeutende Theologe Origenes. Er meinte, der Teufel habe ein Eigentumsrecht über den Menschen erworben durch die Sünde, und so habe Christus ihm eben sein Lebensopfer darbringen müssen und dadurch die Loskaufung vollbringen müssen. Aber diese Lehre ist von der Kirche nicht angenommen worden. Nicht dem Teufel wird der Loskaufungspreis gezahlt, sondern Gott wird er gezahlt. Denn er ist es ja, der durch das Opfer am Kreuze die Versöhnung uns schenkt.
Versöhnung! Wir wissen, wenn zwei Menschen sich gestritten haben, dann müssen sie sich wieder versöhnen. Sie müssen sagen: Es soll wieder gut sein. Wir wollen einander vergeben, es soll ungeschehen sein, was zwischen uns geschehen ist. Wir wollen einen neuen Anfang machen, wir wollen wieder in Liebe zueinander aufschauen. Das ist Versöhnung. Solche Versöhnung ist auch mit der Erlösung geschehen. Aber nicht, wie sich das manche denken, daß Gott versöhnt wurde; Gott war nicht böse mit uns, sondern die Menschen werden versöhnt. Die Menschen werden versöhnt mit Gott. So sagt es der Apostel Paulus im Römerbrief an einer sehr wichtigen Stelle, nämlich: „...wurden wir, solange wir Feinde waren, versöhnt mit Gott durch den Tod seines Sohnes.“ Also wir, die wir Feinde Gottes waren, wir werden mit Gott versöhnt durch den Tod seines Sohnes. Wir werden wieder versöhnt, d.h. wir werden wieder zu Kindern, ja man kann es ruhig mit dem darinsteckenden Wort sagen: Wir werden wieder zu Söhnen und Töchtern Gottes angenommen. Versöhnung heißt Wiedereinsetzung in das ursprüngliche Verhältnis der Liebe, der Zuneigung, die Gott uns schenkt. Aus Feinden werden Freunde Gottes. Die Feindschaft wird beseitigt, die Versöhnung tritt an die Stelle der Feindschaft.
Der bedeutende Kirchenschriftsteller Irenäus hat versucht, diese Versöhnung noch näher zu erläutern mit seiner Rekapitulationslehre. Er sagte, indem er von einer Epheserstelle ausgeht: „Christus ist der zweite Adam. Der erste Adam hat alles in Unglück gestürzt, der zweite Adam bringt das Glück zurück, und zwar bringt er es schon, indem er erscheint. Schon durch die Menschwerdung ist die Menschheit – weil sie in Christus gleichsam gesammelt ist – mit Gott vereinigt, mit Gott befriedet, mit Gott versöhnt.“ Diese Lehre ist in dem Punkt von der Kirche nicht angenommen worden, weil sie offenbar die Wirkkraft des Kreuzesopfers nicht hoch genug ansetzt. Allein durch die Menschwerdung ist eben die Versöhnung mit Gott nicht bewirkt worden, es mußte das blutige Kreuzesopfer dazukommen. In seinem Blute haben wir die Versöhnung und nur durch sein Blut. Durch sein Blut sind wir erlöst; so sagt es ja der Herr auch am Abendmahlstisch, nicht wahr, als er das Blut des Bundes hingibt „zur Vergebung der Sünden für die vielen“. Das heißt eben: Die Versöhnung geschieht im Blute.
So haben wir also, meine lieben Freunde, wie ich meine, einen gewissen Einblick gewonnen in die Bedeutung des Wortes Erlösung. Wir singen mit Recht: „Getröst', getröst', wir sind erlöst, die Hölle ward zuschanden; denn wahrhaft ist Gott Jesus Christ vom Tode auferstanden.“ Wir wissen, daß diese Erlösung die Loskaufung, die Versöhnung bedeutet. Wir sind frei von der Knechtschaft, wir können jedenfalls frei sein von der Knechtschaft, der vierfachen, und wir sind zu Söhnen und Töchtern angenommen, eingesetzt in die Sohnschaft, versöhnt durch sein am Kreuze vergossenes Blut. Wahrhaftig, es muß auch etwas von Freude in uns sein, wenn wir singen: „Getröst', getröst', wir sind erlöst, die Hölle ward zuschanden; denn wahrhaft ist Gott Jesus Christ vom Tode auferstanden.“
Amen.