19. November 2023
Würdig werden der Verheißungen Christi
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
Am Schluss der Lauretanischen Litanei und bei anderen Gebeten sprechen wir: Bitte für uns, o heilige Gottesgebärerin, auf dass wir würdig werden der Verheißungen Christi. Hier ist von den Verheißungen die Rede, die Jesus Christus seinem Volk gegeben hat, und von dem Verlangen, ihrer Erfüllung wert zu sein. Verheißungen sind Versprechungen, Zusicherungen künftiger Wohl- und Heilstaten. Christus hat seine Taten und Geschenke abhängig gemacht von der Bitte und der Empfangsbereitschaft der Empfänger. Er hat die Erfüllung seiner Zusagen an die Erfüllung gewisser Voraussetzungen geknüpft. Die Beschenkten sollen des Einsatzes seiner Kraft und seiner Güte würdig, wert sein.
Die erste Gruppe der Verheißungen Christi betrifft seine eigene Person. Der Herr wusste von Anfang an, dass er seinen Aufenthalt auf der Erde beschließen würde mit seinem blutigen Opfer am Kreuze; er wusste aber auch, dass er nicht im Grabe verbleiben würde. Er bereitete seine Jünger auf beide Geschehnisse vor. Dreimal hat der Herr sein bevorstehendes Leiden und die nachfolgende Auferstehung vorhergesagt (Mt 16,21.23; 20,19). Wenn sie beides aufmerksam aufgenommen hätten, hätte sie das Kreuzesgeschehen nicht so maßlos niedergeworfen. Erst recht war die Zusicherung Jesu, dass er den Jüngern den Beweis seines Sieges über den Tod geben werde, eine beglückende Verheißung. Der Herr hat sie am dritten Tage nach seiner Hinrichtung eingelöst. „Das Grab ist leer, der Held erwacht. Der Heiland ist erstanden.“ Den Frauen am Grabe gibt der Auferstandene die Zusicherung, seine Jünger würden ihn in Galiläa sehen (Mt 28,10). Er nennt sie seine Brüder. Damit drückt er die innige Gemeinschaft aus, in der sie auch jetzt noch mit Jesus stehen. Und sie haben ihn gesehen. Sie haben ihn betastet. Er hat zu ihnen gesprochen. Sie haben mit ihm gegessen. Wenn Jesus etwas verspricht, löst er es auch ein.
Jesus hat nie einen Zweifel daran gelassen, dass er der von Gott bestellte Richter der Lebenden und Toten ist. Er hat sein eschatologisches Erscheinen eindeutig verheißen (Mt 24,30). „Alle Menschen werden den Menschensohn kommen sehen mit Macht und großer Herrlichkeit.“ Die Drangsal als eschatologisches Ereignis geht der Parusie, der Wiederkunft des Herrn, voraus und kündigt ihre Nähe an. Unmittelbar vor dem Kommen des Menschensohnes selbst wird das Zeichen des Menschensohnes am Himmel erscheinen. Die griechische Kirche sieht in diesem Zeichen das Kreuz. Das passt zu dem Nazarener.
Jesus, der im Begriffe steht, die Welt zu verlassen und zum Vater zu gehen, gibt seinen Jüngern die tröstliche Versicherung, dass er sie nicht als schutzlose Waisen zurücklasse, d.h. für immer verlasse, sondern dass er wieder zu ihnen zurückkehren werde (Joh 14,18-21). Das Wiedersehen beginnt mit Ostern und hat seinen Grund in Jesu Auferstehung. Der Auferstandene teilt seinen Jüngern sein eigenes Leben mit, befähigt sie zum Innewerden seiner Gegenwart in ihnen, die als ein (geistliches) Leben betrachtet werden kann. Das Kommen, von dem Jesus hier spricht, ist als Kommen zum Zweck der dauernden Einwohnung zu verstehen. Ja, er ist gekommen und hat Wohnung in uns genommen. Wir sind Tempel des Heiligen Geistes. Der Auferstandene gibt seinen Jüngern den Missions- und Taufbefehl (Mt 28,19). „Gehet hin und unterweist alle Völker. Taufet sie auf den Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes, und lehret sie alles halten, was ich euch aufgetragen habe.“ Damit sicherte er den Bestand und die Fortführung seines erlöserischen Wirkens. Der Herr schließt seine kurze Rede mit einem Wort von tröstlichem Klang. Er verspricht den Verkündigern des Evangeliums, mit anderen Worten: der Kirche, seine beständige leitende und schützende Gnadengegenwart ohne Unterbrechung: „Ich bin bei euch bis zum Ende der Welt“ (Mt 28,20). Der Herr löst sein Versprechen ein und bleibt bei uns.
Die zweite Gruppe der Verheißungen des Herrn betrifft das Heil seiner Jünger und aller Gläubigen. In Jesus Christus ist der wahre Sohn Gottes auf der Erde erschienen. Er sagt von sich selbst: „Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, wandelt nicht in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben“ (Joh 8,12). Dieses Wort besagt: Der Anschluss an Jesus ist von verwandelnder Wirkung. Er bezeichnet sich als das Licht für die Gesamtheit der Menschen. Damit charakterisiert er sich als den Offenbarer Gottes und Bringer des Heils für die Welt, die vorher in der Finsternis war. Seine Verheißung hat sich erfüllt. „Ihr seid das Licht der Welt“ (Mt 5,14). Der Erlöser zündet ein Licht nicht an, um es unter den Scheffel zu stellen. Er hat es auf den Leuchter gestellt. Der Inbegriff des Heils Gottes wird ausgedrückt mit dem Begriff Reich Gottes, Herrschaft Gottes. In Jesus und mit Jesus ist das Reich Gottes anfanghaft auf die Erde gekommen (Lk 11,20). „Wenn ich die bösen Geister durch den Finger Gottes austreibe, dann ist wahrhaftig das Reich Gottes zu euch gekommen.“ Die Machttaten Jesu waren eine unerhörte Neuheit für das palästinische Volk. In atemlosen Stauen sprachen sie: „So etwas haben wir noch nie gesehen“ (Mk 2,12). Jesus macht keine leeren Versprechungen. Er beweist, was er sagt. Der Anschluss an Jesus ist unwiderruflich. An ihm ist unter allen Umständen festzuhalten. Diese verlangte Treue kann die Preisgabe des irdischen Lebens fordern. Wer sein leibliches Leben „gefunden“, d.h. gerettet zu haben meint, dadurch nämlich, dass er Jesus verleugnet, wird dafür das eigentliche Leben verlieren (Mt 10,39). Wer dagegen für das Bekenntnis zu Jesus den Tod auf sich nimmt, gewinnt das Leben, das Heil. Bei Jesus gibt es nur das Entweder-Oder, nicht das Ja und Nein.
Eine weitere Gruppe von Verheißungen des Herrn betrifft den Heiligen Geist. Das Wirken Jesu ist ohne den Zusammenhang mit dem Heiligen Geist undenkbar. Bei der Taufe, die der Herr im Jordan von Johannes dem Täufer empfing, kam der Geist Gottes wie eine Taube über ihn. Eine Himmelsstimme bezeugte ihm Gottes Wohlgefallen (Mk 1,11). Der Geist blieb bei ihm, ob er ihn in die Wüste trieb (Mk 1,12) oder ob er in ihm die Dämonen verjagte (Mk 1,27). Jesus beansprucht den Geist nicht nur für sich selbst. Der Heilige Geist ist die kostbarste Verheißung für die Jünger des Herrn. Am Tage der Auferstehung sprach Jesus zu den versammelten Aposteln: „Siehe, ich sende die Verheißung meines Vaters auf euch herab“ (Lk 24,29), „die Kraft von oben“. Der Geist kam im Brausen, mit Macht, unwiderstehlich. Die Jünger Jesu waren voller Besorgnis, wie ihr Beruf und ihre Sendung nach der Himmelfahrt des Herrn weitergehen solle. Der Herr beruhigte sie. Der verherrlichte, d.h. der vom Tode erweckte und zum Vater zurückgekehrte Christus wird seinen Gläubigen den Geist senden (Joh 7,39). Jesus verheißt den Jüngern, dass er den Vater bitten werde, ihnen (als Ersatz für seine eigene leiblich-sichtbare Gegenwart) einen anderen Beistand zu senden und ihn immer bei ihnen zu belassen. Der Geist ist der Heilige Geist, der Geist der Wahrheit, der die Jünger alle Wahrheit lehrt (Joh 14,16). Der Geist ist gekommen und geblieben. Jesus war sich gewiss, dass seinen Jüngern und allen seinen Anhängern schwere Nachstellungen bevorstehen. Die hier angekündigten Verfolgungen durch jüdische und heidnische Behörden treffen nicht bloß die Zwölf, sondern die Jünger Jesu im weitesten Sinne, d.h. die Christen insgesamt. Diesen gilt darum auch die Verheißung des Geistes, der sie in der Stunde ihrer Verantwortung vor Gericht das rechte Wort finden lassen wird. „Wenn sie euch überliefern, habt keine Sorge, wie oder was ihr sprechen sollt. Denn in jener Stunde wird euch verliehen werden, was ihr sprechen sollt. Denn nicht ihr seid es, die dann sprechen, sondern der Geist eures Vaters, der in euch spricht“ (Mt 10,19f.). Die Vorhersage hat sich erfüllt, von Felicitas und Perpetua bis zu Alfred Delp und Bernhard Lichtenberg. Nicht menschliche Überzeugung, ja nicht einmal menschlicher Glaubenseifer macht Martyrer, sondern Jesus selbst ist es, der zum Martyrium beruft und dieses damit zu einer besonderen Gnade macht. Aus diesem Grund sind die Worte, die der Martyrer vor den Organen der staatlichen Obrigkeit spricht, nicht menschliche Worte, nicht bloßes Bekenntnis menschlicher Überzeugung, sondern Worte, die der Heilige Geist durch die Bekenner Jesu Christi spricht.
Die Jünger waren in Sorge, wie die Verkündigung Jesu nach seinem Weggang weitergehen könne. Der Herr gibt den Jüngern die tröstliche Zusicherung, dass sein Offenbarungswirken in der Tätigkeit des Heiligen Geistes seine Fortsetzung finden wird (Joh 14,26), den der Vater in seinem Namen (d.h. nach seinem Willen und als seinen Stellvertreter) und auf seine Bitte hin (Joh 14,16) senden wird. Der Paraklet ist Lehrer, er lehrt und erinnert. Unter dem Lehren ist die umfassende Unterweisung der Jünger zu verstehen. Sie erstreckt sich auf alles, was für sie zur Fortführung des Werkes Jesu notwendig ist. Der Paraklet wird sie (Joh 16,13) zur vollen und ganzen Wahrheit führen. Unter dem Erinnern ist die Sorge des Parakleten zu verstehen, dass das von Jesus selbst gesprochene Wort in der Kirche nie verlorengeht, sondern immer unverändert und unvermischt in ihr weiterüberliefert und -verkündet wird. Der Glaube steht und wird stehen, auch wenn das Geschwätz der Frankfurter Plauderer längst vergessen ist. Der Verkündigung Jesu ist Unvergänglichkeit verheißen. Der Herr erklärt in seinen Abschiedsreden: „Himmel und Erde werden vergehen, meine Worte aber werden nicht vergehen“ (Mt 24,35).
Die letzte Gruppe der Verheißungen des Herrn gilt der Kirche und ihrem zentralen Geschehen, dem eucharistischen Opfersakrament. Jesus begründete mit seiner Jüngerschaft eine religiöse Gemeinschaft, das neue Volk Gottes, welches das alte ablöste. Es sollte Bestand haben für die gesamte Zeit des Weltenlaufs. Jesus gibt seiner Kirche die Verheißung, dass die Pforten der Unterwelt sie niemals überwältigen werden (Mt 16,18). Die Unterwelt ist die stärkste Verkörperung der Macht des Todes. Der Sinn des Bildwortes ist der, dass die Kirche, die Jesus auf Petrus als Fundament bauen wird, niemals der Macht des Todes erliegen wird. D.h.: Der Kirche wird unvergängliche Dauer, solange diese Weltzeit besteht, verheißen. Die Systemveränderer unserer Tage geben sich alle Mühe, die Kirche zu zerstören. Sie fügen ihr großen Schaden zu. Sie treiben die Menschen aus der Arche des Heiles. Aber die Kirche wird Bestand haben, wenn sie längst vergessen sind. Der Herr traf auch einzelne Vorkehrungen für den Bau seiner Kirche. In Cäsarea Philippi kündigte er eine fundamentale Entscheidung an. Hier erfolgt die Verheißung an Simon-Petrus. „Du bist Petrus, und auf diesen Felsen will ich meine Kirche bauen.“ Ein Einzelner soll Grundstein der Kirche sein (Mt 16,18). Er wird dies vermögen, weil er von Christus entsprechend ausgestattet werden wird. „Dir will ich die Schlüssel des Himmelreiches geben“ (Mt 16,19). Petrus wird die Vollmacht empfangen, den Zutritt zum Gottesreich zu gewähren oder davon auszuschließen. Er wird die Gewalt empfangen, so zu binden und zu lösen, dass, was er tut, auch im Himmel, d.h. bei Gott, Geltung hat (Mt 16,19). Das war die Primatverheißung. Sie wurde erfüllt mit den schlichten Worten des auferstandenen Herrn: „Weide meine Lämmer, weide meine Schafe“ (Joh 21,15-17). Unter dem Hirtendienst, der Petrus übertragen wird, ist die Führung und Leitung der christlichen Kirche zu verstehen. Petrus ist für dieses Amt geeignet, weil er den Herrn liebt. Der Papst mag so schwach und unzulänglich sein, wie er will, er bleibt der Nachfolger Petri, solange er nicht vom Glauben abfällt.
Als Zentrum des Gottesdienstes der Kirche setzte Jesus das eucharistische Opfersakrament ein. Hier vollzieht sich das Gedächtnis und die Repräsentation des Kreuzesopfers. Hier gibt der verklärte Herr den Seinen sein Fleisch und sein Blut zur Speise und zum Trank. Die Einsetzung der Eucharistie erfolgte beim Letzten Abendmahl am Abend vor der Festnahme des Herrn (Mt 26,17-29). Während des Mahles nahm Jesus Brot, brach es und gab es den Jüngern mit den Worten: „Esset, das ist mein Leib.“ Dann nahm er den Kelch und reichte ihn den Jüngern mit den Worten. „Das ist mein Bundesblut, das für viele vergossen wird“ (Mt 14,22-24). Diese Worte des Herrn sind so zu verstehen und von der Kirche der zwei Jahrtausende auch so verstanden worden, wie sie lauten, also realistisch, nicht bildlich. Es handelt sich hier nicht um „das letzte Gleichnis Jesu“, sondern um das unerhörte Geschenk der leibhaftigen Gegenwart des verklärten Herrn. Der Einsetzung der eucharistischen Feier ging die Verheißung voraus, die der Evangelist Johannes aufbewahrt hat. „Ich bin das lebendige Brot, das vom Himmel herabgekommen ist. Wenn einer von diesem Brot isst, wird er leben in Ewigkeit. Das Brot aber, das ich geben werde, ist mein Fleisch für das Leben der Welt.“ Damit kein Zweifel an der Realität der eucharistischen Gaben aufkommen kann, erklärt der Herr in drastischer Weise deren Inhalt. „Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, hat ewiges Leben und ich werde ihn auferwecken am Jüngsten Tage“ (6,54). „Wer dieses Brot isst, wird ewig leben“ (6,58). Mehr konnte er nicht geben, mehr hatte er nicht zu geben. Gott, der Ewige und Unermessliche, dessen Allmacht ohne Grenze und dessen Liebe über alle Begriffe ist, tut große und unerforschliche Wunder im Himmel und auf Erden. Seine Werke vermag kein forschender Verstand zu ergründen. Wären die Werke Gottes nur so groß, dass sie von der Vernunft des Menschen leicht begriffen werden könnten, so wären sie eben darum nicht wunderbar, nicht unaussprechlich zu nennen.
Die Verheißungen des Herrn stehen. Dafür, dass sie erfüllt werden, bürgen reine Wahrhaftigkeit und Treue. Er hat in seinem Lebenswandel, in seinem Wort und in seinen Taten bewiesen, dass auf ihn Verlass ist. Schon zu seinen Lebzeiten sind seine Vorhersagen eingetroffen. Denken wir an die Verheißung seiner Auferstehung. Erinnern wir uns an die Zeugenschaft der Jünger „bis an die Grenzen der Erde“ (Apg 1,8). Auch die Verheißungen, deren Erfüllung noch aussteht, werden sich erfüllen. Jetzt sind wir gefragt. Dass wir die Verheißungen des Herrn ernst nehmen. Dass wir unsere Hoffnung und unsere Zuversicht auf sie setzen. Dass wir selbst brauchbar, tauglich, würdig werden der Verheißungen Christi, d.h. geeignet, ihre Erfüllung zu erleben. In der Oration der heiligen Messe vom 12. Sonntag nach Pfingsten fleht die Kirche zu Gott: Verleihe uns, dass wir unaufhaltsam deinen Verheißungen entgegeneilen. Tun wir es.
Amen.