Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
23. Juni 2019

Die bleibende Gegenwart des Herrn in der Eucharistie

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Der Herr Jesus hat uns bei seinem Abschied von dieser Welt seine Gegenwart verheißen: „Ich bin bei euch alle Tage bis an das Ende der Welt.“ Er erfüllt diese Verheißung auf mehrfache Weise: Er ist mit uns dank seiner Vorsehung, die über uns wacht. Er ist bei uns mit seiner helfenden Gnade, die uns beisteht. Er ist bei uns mit seiner heiligmachenden Gnade, die uns zu Kindern Gottes und Erben des Himmels macht. Aber er ist auch bei uns und vor allem mit seiner wahren und wirklichen Gegenwart in den Gestalten von Brot und Wein. Die Realpräsenz, also die wirkliche Gegenwart von Leib und Blut des Herrn, ist das Mittel, das der Herr uns gegeben hat, auf dass er immer unter uns bleibe in einer Kommunikation, die kein Ende haben soll. Das Vierte Laterankonzil aus dem Jahre 1215 hat uns die Weise angegeben, wie Christus gegenwärtig wird. Es ist die Transsubstantiation, die Wesensverwandlung, wie wir mit einer guten deutschen Übersetzung sagen. Leib und Blut Christi, sagte das Vierte Laterankonzil, sind im Sakrament unter den Gestalten wahrhaft enthalten, nachdem das Brot in den Leib und der Wein in das Blut verwandelt wurde. Die Wesensverwandlung ist der Weg, wie der Herr zu uns kommt. In einer für die Erfahrung unzugänglichen Tiefe wirkt der allmächtige Gott die Umwandlung des Kerns, des Wesens von Brot und Wein in das Wesen des Leibes und des Blutes Christi. Die schöpferische Kraft Gottes, die bei der Weltschöpfung tätig war, dieselbe schöpferische Kraft Gottes ist tätig im Sakrament des Altares. Derjenige, der gesagt hat: „Es werde Licht“, der sagt auch: „Das ist mein Leib.“ Der verklärte Leib des LOGOS wird durch die Worte der Anamnese, also der Konsekration, als Zeichen wirksamen Geistes gegenwärtig. Die Gegenwart des Leibes Christi ist gemäß Schrift und Überlieferung eine wahre und wirkliche Gegenwart der Substanz, des Wesenskerns des Leibes Christi. Das Wort: „Das ist mein Leib“ beinhaltet, dass hier wahrhaft der Leib Christi ist, und deshalb nicht mehr Brot, auch wenn dessen erfahrbare äußere Wirklichkeit unverändert bleibt. Christus erscheint, aber in fremder Gestalt. Christus gibt unter den bleibenden Erscheinungswirklichkeiten des Brotes und des Weines in Wahrheit sein Fleisch und sein Blut, so dass das, was er gibt, sein Leib und sein Blut und in dieser Dimension nichts anderes ist. Damit wird den Sätzen der physikalischen Empirie und des Glaubens genuggetan. Die Weise der Koexistenz darf ruhig geheimnisvoll bleiben. Dennoch darf man versuchen, durch Nachdenken das Geheimnis dem Menschen verständlich zu machen, soweit es bei der Unbegreiflichkeit Gottes möglich ist.

Ich will in drei Sätzen die Wahrheit der Gegenwart Christi zusammenfassen. Erstens: In der Eucharistie ist der ganze Christus mit Fleisch und Blut, mit Leib und Seele, mit Gottheit und Menschheit gegenwärtig. Das Konzil von Trient hat als Glaubensdogma definiert: „Wer leugnet, dass in dem eucharistischen Sakrament Leib und Blut Christi mit der Seele und der Gottheit zugegen ist, der sei ausgeschlossen.“ Die Heilige Schrift lehrt uns dasselbe, ja, wir haben es ja aus der Heiligen Schrift. Es gibt da zwei Sätze, die äquivalent, also gleichbedeutend sind. Einmal sagt Jesus: „Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, der hat das ewige Leben.“ Und zwei Verse später sagt er: „So wird auch der, welcher mich isst, ewig leben“; also „mich“ und Fleisch und Blut sind identisch. Fleisch und Blut Christi genießen heißt so viel, wie den ganzen Christus genießen. Kraft des Sakramentes, also durch die Worte, die der Priester spricht, ist jeweils nur der Leib und nur das Blut gegenwärtig. Durch die Wesensverwandlung wird unmittelbar und erstlich nur das Wesen des Leibes und des Blutes Christi gegenwärtig. Aber nun lebt Christus in der Herrlichkeit des Vaters, also in einem leidensunfähigen Zustand. Leib und Blut Christi können daher nicht voneinander getrennt werden. Wenn in der Eucharistie der Leib gegenwärtig wird, so wird der mit dem Blute in naturgemäßer Einheit verbundene Leib gegenwärtig. Wenn das über den Kelch gesprochene Weihewort das Blut Christi gegenwärtig macht, so wird das in natürlicher Verbundenheit mit dem Leibe verbundene Blut gegenwärtig. Infolge der natürlichen Verknüpfung und Mitfolge oder Begleitschaft – das theologische Wort heißt Konkomitanz: Folge, Mitbegleitung, Mitfolge, Verknüpfung – zieht die Vergegenwärtigung des Leibes und des Blutes die Gegenwart auch der Seele und des LOGOS nach sich, in dessen Kraft ja die menschliche Natur Jesu existiert. Cyrill von Jerusalem, um einen Vater aus der Erblehre anzuführen, nennt denjenigen, der die Kommunion empfangen hat, Christusträger. Und der heilige Johannes von Damaskus sagt: Brot und Wein ist nicht Typus des Leibes und Blutes Christi, das sei ferne, sondern der mit der Gottheit beschenkte Leib selbst ist da, da Christus ja nicht sagt: Das ist der Typus meines Leibes, sondern: Das ist mein Leib.

Ein zweiter Satz: Unter jeder einzelnen der beiden Gestalten ist der ganze Christus ganz gegenwärtig. Das zu betonen war notwendig, als im 15. Jahrhundert der Priester Johannes Huss, ein Tscheche, behauptete, man müsse, um Christus ganz zu empfangen, Leib und Blut bei der heiligen Messe entgegennehmen, also unter beiden Gestalten kommunizieren. Auf dem Konzil zu Konstanz (1414–18) musste er sich verantworten, und da wurde die Lehre der Kirche ihm entgegengesetzt und gesagt: Die Kommunion unter einer Gestalt vermittelt nicht weniger als die Kommunion unter beiden Gestalten. Denn der ganze Leib und das ganze Blut Christi ist unter der Brotsgestalt allein wie unter der Weingestalt allein wirklich enthalten. Den Anhängern des Huss wurde die Frage vorgelegt, ob sie glauben und bekennen, dass nach der Konsekration durch den Priester unter der bloßen Gestalt des Brotes ohne die Gestalt des Weines das wahre Fleisch Christi, sein Blut, seine Seele und seine Gottheit, der ganze Christus da sei, und zwar derselbe Leib vollständig unter jeder dieser beiden Gestalten für sich genommen. Diese Lehre ist dann vom Konzil von Florenz (1439) bestätigt worden: Der ganze Christus ist unter der Brotsgestalt und der ganze Christus ist unter der Weinesgestalt enthalten. Den Schlusspunkt setzte das Konzil von Trient: Es ist ebenso viel unter einer Gestalt wie unter beiden Gestalten. Als biblische Unterlage können die Worte des heiligen Paulus dienen. Er sagt nämlich: Der Frevel am Leibe und Blute Christi kommt nicht nur durch unwürdiges Essen und Trinken zustande, sondern durch unwürdiges Essen oder Trinken von Leib und Blut Christi– „und“ und „oder“ sind gleichgesetzt. Also die kopulative und die disjunktive Formel bedeuten das gleiche. Die Väter haben erklärt, dass der ganze verklärte Christus auf dem Altare ist, sei es in der Hostie, sei es im Kelche, in voller Unversehrtheit ohne Teilung und ohne Zerstückelung. Wer den verklärten Leib Christi oder das verklärte Blut Christi zu sich nimmt, ist ganz sicher, den ganzen Christus mit Leib und Seele, mit Gottheit und Menschheit zu empfangen.

Der dritte Satz lautet: Der ganze Christus ist auch in jedem Teilchen der beiden Gestalten gegenwärtig. Wiederum hat das Konzil von Florenz (1439) erklärt: In jedem Teil der geweihten Hostie und des konsekrierten Weines ist der ganze Christus gegenwärtig. Sie haben es vielleicht schon einmal erlebt, dass dem Priester angesichts der vielen Kommunikanten die Hostien ausgegangen sind. Und dann hat er eben die Hostien gebrochen und an jeden eine halbe gegeben; aber der eine, der eine halbe empfing, hat nicht weniger empfangen als der andere, der eine ganze empfing. Christus ist unter jedem Teil ganz gegenwärtig. Das Konzil von Trient hat diese Lehre bestätigt: „Wer leugnet, dass in dem verehrungswürdigen Sakrament der Eucharistie unter jeder Gestalt und unter den einzelnen Teilen einer jeden Gestalt der ganze Christus enthalten sei, der sei ausgeschlossen.“ Das lässt sich aus der Heiligen Schrift begründen. Der Heiland hat ja beim Abendmahl seinen Leib in gebrochenen Stücken und in Schlücken den Jüngern dargeboten; und jeder empfing den ganzen Christus. Der heilige Cyrill von Jerusalem – der in dieser Frage uns besonders teuer ist mit seinen mystagogischen Predigten – sagt: „Hast du deine Augen durch vorsichtige Berührung mit dem heiligen Leibe Christi geheiligt, so gibt acht, dass dir beim Genießen nicht etwas zu Boden fällt, dass nicht einmal eine Krume verlorengehe, was weit kostbarer ist als Gold und Geschmeide.“ Schon Origenes hatte vor ihm gelehrt: „Ihr, die ihr an den göttlichen Geheimnissen teilzunehmen gewohnt seid, wisst, wenn ihr den Leib des Herrn empfanget, mit aller Sorgfalt und Ehrfurcht darauf zu achten, dass davon nichts noch so Geringfügiges zu Boden fällt.“ Der Leib ist ebensoviel im Geringen wie im Ganzen. Das Ganze empfängt einer, und das Ganze empfangen zwei, das Ganze empfangen viele ohne Abzug und ohne Minderung. Der eucharistische Christus existiert ganz im Ganzen und zugleich ganz in allen Teilchen der Gestalten. Deswegen geben wir uns ja so große Mühe, dass nichts von den heiligen Gestalten zu Boden fällt. Wir reinigen den Kelch, wir reinigen die Patene, und wir sind bemüht, auch kleinste Teile, die etwa abgebrochen wären, uns zuzuführen.

Christus ist wirklich in der Eucharistie gegenwärtig, aber nicht in seiner natürlichen Seinsweise, wie er auf Erden gelebt hat, also wo er gelitten hat, wo er gestorben ist, nein, in einer sakramentalen Seinsweise. Die sakramentale Seinsweise steht seiner durch die Auferstehung gewonnenen Seinsweise näher als der geschichtlichen. Sie ist wie diese vor allem dadurch gekennzeichnet, dass sie nicht den Gesetzen des Raumes und der Zeit unterworfen ist. Sie ist real, aber geistanalog. Aufgrund der Wesensverwandlung wird das Wesen des Leibes und des Blutes Christi, nicht die Erscheinungsweise seines Leibes und Blutes gegenwärtig. Die Gestalt, die Maße, die Organe, das ganze leibliche Leben ist nicht in seiner wirklichen Ausgedehntheit zugegen, sondern keimhaft und wurzelhaft. Leib und Blut Christi sind nicht in ihrer eigenen, sondern in einer fremden Gestalt da. Und es ist Glaubenslehre: Christus ist in der Eucharistie nicht bloß im Augenblick des Vollzugs des Sakramentes zugegen, sondern dauernd und bleibend. Der Vollzug umfasst Austeilung und Genuss. Außerhalb des Vollzugs, sagt Luther, ist Christus nicht gegenwärtig, daher gebühre Überresten aus der Eucharistiefeier, die nicht beim eucharistischen Mahle gebraucht wurden, keine Verehrung. Diese Ansicht ist zur Gänze irrig. In der Konsekration bindet sich Christus an die Gestalten von Brot und Wein. Die Gestalten, die uns hier vor Augen geführt werden, bleiben, und Christus hält seine Gegenwart so lange fest, wie die Gestalten vorhanden sind. Die Gegenwart des Leibes und Blutes Christi dauert fort, solange die Gestalten fortdauern. Was in der Wandlung geschieht, wird nach der Opferfeier nicht rückgängig gemacht.

Aus der bleibenden Gegenwart, meine lieben Freunde, ergeben sich wichtige Verhaltensweisen. Der ganze Christus bleibt auch nach Beendigung der Eucharistiefeier gegenwärtig und ist anbetungswürdig. Wir tun recht, wenn wir vor dem Tabernakel knien und den Herrn anbeten. Wir tun recht, wenn wir den gegenwärtigen Herrn in der Monstranz, im Zeigegefäß, ausstellen. Wir tun recht, wenn wir den bei uns bleibenden Herrn durch die Straßen und Felder unserer Heimat tragen. Der Herr ist bei uns und bleibt bei uns und segnet uns. Wir gläubigen Christen haben vielfältige Ursache zu Freude und Dankbarkeit: dass wir Gott kennen, dass wir um seinen Willen wissen, dass wir seiner Vorsehung vertrauen können. Aber das größte Glück ist wohl, dass er gekommen und bei uns geblieben ist, dass wir ihn auf unsere Altäre herabrufen dürfen, dass er sich uns selbst zur Speise gibt. Bernhard Lichtenberg, der Apostel von Berlin, der Martyrer in der Zeit des Nationalsozialismus, war ein fester, war ein kämpferischer Mann. Aber wenn er daran dachte: Jetzt kann ich konsekrieren, jetzt kann ich den Herrn herabrufen, da traten Tränen in seine Augen. Wahrhaftig, meine lieben Freunde, es ist kein Volk, das einen Gott hätte, der so ihm nah ist, wie unser Gott und Heiland uns nahe ist.

Amen.  

Schrift
Seitenanzeige für große Bildschirme
Anzeige: Vereinfacht / Klein
Schrift: Kleiner / Größer
Druckversion dieser Predigt