2. Juli 2006
Die Vormesse
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
Im Mittelpunkt der katholischen Frömmigkeit steht das Messopfer. Das Konzil von Trient hat in drei Verben ausgedrückt, was in diesem Opfer geschieht, nämlich es wird das Kreuzesopfer repräsentiert, also gegenwärtig gemacht, es wird das Andenken an das Leiden des Herrn erneuert, und es wird der Segen des Kreuzesopfers den Menschen zugewendet. Die schlichte Abendmahlsfeier, die der Herr am Tage, bevor der litt, gefeiert hat, ist von der Kirche ausgestaltet worden. So wie aus dem Abendmahlssaale in Jerusalem die herrlichen Dome und Kirchen geworden sind, so ist auch die Meßfeier von der Kirche durch zweckentsprechende Einfügungen und durch einen sinnreichen Ausbau zu dem Wunderwerk geworden, das wir täglich, wenigstens sonntäglich begehen. Die Kirche hat dieses Vermächtnis des Herrn wie einen kostbaren Schatz gehütet. Sie hat das Beste und das Heiligste, was es gibt, dafür verwendet, und wir erbauen uns immer an den herrlichen Kirchen, welche (gewöhnlich) die Vergangenheit errichtet hat, ob es nun die Baustile der Romanik, der Gotik oder des Barock sein mögen, sie alle haben auf ihre Weise zur Verherrlichung des eucharistischen Geschehens beigetragen. Denn die Kirchen sind gebaut worden wegen der Messe. Und deswegen ist es so tragisch, wenn wir in die großen Dome wie in Magdeburg oder Quedlinburg kommen und sehen, dass dort nicht mehr das Messopfer gefeiert wird, das Jahrhunderte lang der Inhalt dieser herrlichen Gotteshäuser war.
Viele unserer alten Kirchen weisen eine Vorhalle auf, eine Nartex. Die Menschen sollten sich eben sammeln und konzentrieren auf das, was jetzt geschah; deswegen eine Vorhalle. Und so ist es auch beim Messopfer. Das Messopfer hat auch eine solche Vorhalle; es ist die so genannte Vormesse. Die Vormesse ist aufgebaut aus zwei Teilen, einem Gebetsgottesdienst und einem Lehrgottesdienst. Der Gebetsgottesdienst beginnt mit dem Stufengebet, das der Priester an den Stufen des Altares verrichtet. Es schließt sich an der Sehnsuchtsruf im „Kyrie“, das Lob im Gloria und die Bitte im Kirchengebet. In diesem Teil der heiligen Messe sprechen wir zu Gott, im nächsten Teil, dem Lehrgottesdienst, spricht Gott zu uns. Er redet zu uns zunächst in der Epistel. Epistel heißt Brief, weil nämlich die meisten dieser Lesungen aus den Apostelbriefen entnommen sind, häufig aber auch aus den Büchern der Propheten. An die Epistel schließt sich das Evangelium. Hier redet der Herr selber zu uns. Anschließend spricht die Kirche zu uns, die Gottesbraut, nämlich in der Predigt des Priesters. Die Predigt will das Wort Gottes erklären und anwenden. Und so ist die Vormesse Wortgottesdienst, nämlich Gebetsgottesdienst und Lehrgottesdienst.
Daran an schließt sich der Opfergottesdienst, der Tatgottesdienst, die Hauptmesse, wie man sie auch genannt hat. Hier steht die Gabe des Menschen und die Gabe Gottes im Mittelpunkt. Diese Hauptmesse besteht aus drei Teilen, aus der Opferung, der Wandlung und der Kommunion. In der Opferung bringen wir Gott unsere Menschengabe dar, Brot und Wein und die Opfergaben, die wir in das Körbchen legen. Das sind unsere Menschengaben. Sie sind unbedingt notwendig; ohne sie kann die Wandlung überhaupt nicht geschehen. Wenn wir nichts geopfert haben, kann Gott uns nicht sein Opfer schenken.
Der Höhepunkt der Messe ist zweifellos die heilige Wandlung, wenn Brot und Wein in Leib und Blut des Herrn verwandelt werden. Er selber ist der Priester, er selber ist die Opfergabe. Und dann liegt auf unserem Altar die würdige Gottesgabe, nämlich das Lamm Gottes. In der heiligen Kommunion reicht uns Gott seine Gabe zur Speise. Er gibt uns für das Menschenbrot Gottesbrot, die Nahrung unserer Seele. Es schließen sich die Gebete an, die zum Ende der Messe führen, und mit dem Segen wird die Meßgemeinschaft entsandt. Ich ziehe es vor, das Wort „Ite missa est“ nicht zu übersetzen: „Geht, es ist Entlassung“, sondern ich ziehe es vor, zu übersetzen: „Geht, es ist Sendung!“ Denn wir werden entlassen, um Zeugnis zu geben.
Die Messen des Kirchenjahres sind von großer Mannigfaltigkeit, und diese Mannigfaltigkeit zeigt sich auch in all dem, was zur heiligen Messe gehört, etwa in der Farbe der Gewänder. Die Kirche kennt fünf Farben von Messgewändern. Das Weiß deutet die Reinheit, die Freude, den Dank an, es soll aus dem weißen Messgewand Licht erstrahlen, und deswegen wird es verwandt bei den Festen des Herrn und der Muttergottes, der Engel, der heiligen Bekenner und Jungfrauen. Rot ist die Farbe des Blutes und der Liebe, deswegen wird die rote Farbe verwendet an den Festen der Martyrer und des Heiligen Geistes, denn der Heilige Geist ist ja die Liebe Gottes. Das Grün ist die Farbe der Hoffnung. An allen Sonntagen nach Pfingsten, ab heute beginnend, am 4. Sonntag, trägt der Priester das grüne Messgewand. Unsere Religion, meine lieben Freunde, ist die Religion der Hoffnung. Christen sind Menschen, die eine Hoffnung haben, und es wird wiederholt in den Briefen der Apostel auf die Verantwortung hingewiesen, die wir für die Hoffnung und für das Zeugnis von dieser Hoffnung haben. Im 1. Petrusbrief etwa heißt es: „Seid allezeit zur Verantwortung bereit einem jeden gegenüber, der von euch Rechenschaft haben will über eure Hoffnung.“ Wir haben eine Hoffnung, weil wir den Hoffnungsträger haben, Christus den Auferstandenen. Seine Auferstehung, das ist die Grundlage unserer Hoffnung. Und selbst im Tode verwelkt diese Hoffnung nicht. Im 1. Thessalonicherbrief schreibt der Apostel an seine Gemeinde: „Meine Brüder, wir wollen euch nicht in Unkenntnis lassen über die Entschlafenen, damit ihr nicht trauert wie die anderen, die keine Hoffnung haben.“ Die anderen haben nämlich nicht die Hoffnung auf Auferstehung und ewiges Leben, wie sie uns Christus, der Auferstandene, vermittelt hat. Violett ist die Farbe der Buße. Sie wird also in der Fastenzeit und in der Adventszeit verwendet. Und schwarz ist die Farbe der Trauer, des Schmerzes. Früher wurde am Karfreitag die schwarze Farbe getragen. Wir in unserer Messe tragen sie immer noch, wenn wir Seelenmessen lesen, wo wir über die Seelen unserer Verstorbenen den Segen Gottes herabrufen.
Neben den Farben gibt es eine Fülle von Liedern, die den jeweiligen Meßinhalten angepasst sind, lateinische Lieder, deutsche Lieder. Das alles ist ein unglaublicher Reichtum, den unser Volk in Jahrhunderten aufgebaut hat und den wir niemals preisgeben wollen. Die Gebete wechseln auch von Tag zu Tag. Das Kirchengebet heißt mit dem lateinischen Namen Kollekte. Das Wort Kollekte bedeutet Sammlung, und der Sinn ist darin gelegen: Die Gläubigen sollen, wenn das Kirchengebet vom Priester vorgetragen wird, sich auf ihre Anliegen besinnen, und der Priester sammelt sie dann ein, wenn er sagt: „Oremus“ – Laßt uns beten! Er macht eine kleine Pause, wenn er es richtig macht, weil er die Gläubigen nämlich sich besinnen lässt auf das, was ihre Anliegen sind. Und dann sammelt er die Anliegen ein und trägt sie dem himmlischen Vater vor. Die Lesungen sind außerordentlich mannigfaltig, und das ist vielleicht ein Punkt, wo man der Liturgiereform dankbar sein kann. Sie hat die Zahl der Lesungen erweitert, und es sind jetzt häufig passendere Lesungen zu den einzelnen Tagen ausgewählt worden, wofür wir dankbar sein müssen.
Das ist also der Bauplan der heiligen Messe. Wir wollen nun heute die Vormesse uns ansehen und am kommenden Sonntag die Opfermesse. Die Vormesse beginnt, wie gesagt, mit dem Stufen- oder Staffelgebet. Freude und Furcht finden sich dann in der Seele des Priesters. Freude, dass er zum Altare Gottes treten kann, und Furcht wegen seiner Sünden und seiner Schuld. Deswegen heißt es: Ich will mich freudig zum Altare Gottes begeben, aber auch gleichzeitig: Ich bekenne meine Schuld. Ich bekenne, dass ich viel gesündigt haben, zu viel gesündigt habe durch meine Schuld.
An diesem Punkte soll auch die Versöhnung wenigstens im Herzen stattfinden, die Versöhnung mit allen, die uns weh getan haben, die Versöhnung mit allen, mit denen wir vielleicht im Unfrieden leben. Von einem Bischof von Alexandrien wird berichtet, dass er einen Priester zurechtweisen musste. Am nächsten Sonntag begann er die heilige Messe, aber plötzlich unterbrach er sie zum Staunen des Volkes, eilte zu dem Priester hin, fiel vor ihm auf die Knie und sagte: „Bruder, verzeih mir!“ Der Priester war erschüttert und ergriffen von diesem Vorgehen und bat den Bischof selbst um Verzeihung, und versöhnt gingen beide zum Altar. Ja, die Opferstätte soll rein sein. Die Opferstätte, der Priester und wir alle sollen rein sein, wenn wir die heilige Messe beginnen. Die Liebesreue soll unsere Seele reinigen.
Es schließt sich das Eingangslied an. Wenn es richtig ausgewählt ist, dann enthält es gewissermaßen das Programm der heiligen Messe. Es ist die Einstimmung auf die Meßfeier, und es sollte uns gewissermaßen den Ton angeben, nach dem wir diese Meßfeier begehen. Unsere Freude, unser Elend, unsere Hoffnung, unser Dank, das soll in diesem Eingangslied wiederklingen. Aber noch einmal ergreift uns das Bewusstsein unserer Hilfsbedürftigkeit. In Sehnsucht rufen wir zum starken Gott: Kyrie eleison. Das ist ein griechisches Wort, das einzige griechische Wort, das in der Messe verblieben ist, und es besagt: Herr, erbarme dich! Herr erbarme dich unser! Neunmal wird dieser Ruf an Gott gerichtet, mit Bedacht, denn was brauchen wir nötiger als das Erbarmen Gottes, meine Freunde? Was brauchen wir notwendiger? Erbarmen ist die Liebe Gottes zur gefallenen Kreatur, und das eben sind wir. Wir alle sind in Sünden geboren, und was uns hält, ist nicht die eigene Kraft, sondern eine Kraft außer uns, rundherum gesagt: die Barmherzigkeit Gottes.
An das Kyrie schließt sich das Gloria, der Lobgesang der Engel von Bethlehem. Das ist die Weihnachtsbotschaft, und wir können sie gar nicht oft genug singen und hören: „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede den Menschen auf Erden!“ Das ist es ja, meine lieben Freunde, wo Gott die Ehre gegeben wird, da ist auch Friede bei den Menschen. Und wenn kein Friede bei den Menschen ist, dann ist das ein Zeichen dafür, dass Gott nicht die Ehre gegeben wird. Die Ehre Gottes und den Frieden den Menschen reißt niemand auseinander. Deswegen ist das Gloria so wesentlich zum Aufbau unserer religiösen Persönlichkeit. Wir sollen Gott ehren, und dann wird auch der Friede Gottes unter den Menschen Einzug halten. Die vielen schönen Anrufungen des Gloria erinnern uns daran, dass wir Gott Dank und Lob schuldig sind. Wir preisen dich, wir loben dich, wir sagen dir Dank ob deiner großen Herrlichkeit. Das ist ein besonders ergreifender Gedanke. Wir sagen Gott nicht Dank im Gloria für seine Gaben, sondern weil er so schön ist, weil er so herrlich ist, weil Gott so gewaltig und erhaben ist. Wir sagen dir Dank ob (wegen) deiner großen Herrlichkeit.
Dann sammelt der Priester, wie ich schon sagte, die Bitten der Gläubigen in der Kollekte, im Kirchengebet. Er bittet für die Anwesenden und für die Abwesenden, für das ganze Gottesvolk. Er trägt die Sorgen des einzelnen und die Sorgen der ganzen Kirche dem Herrn vor, immer „durch Christus, unsern Herrn“; denn er ist unser Mittler. Das ist ganz wichtig: durch Christus, unsern Herrn. Das Wort „durch“ bezeichnet die Mittlerschaft. Wir bringen also in Demut und Sehnsucht unsere Bitten vor Gottes Angesicht und erwarten Erhörung, weil wir ja in Gemeinschaft mit Jesus Christus im Namen des Herrn beten.
Dann treten wir ein in den Lesegottesdienst. Wir haben gebetet; jetzt spricht Gott zu uns; zuerst durch seine Gottesboten in der Epistel. Meistens ist es ein Brief der Apostel, aus dem wir etwas hören, manchmal auch aus den Propheten. Die Epistel ist gewöhnlich mit Mahnungen verknüpft, Mahnungen zu einem christlichen Leben. Wir sollen unser Leben nach Christus gestalten.
Die Epistel wird abgelöst vom Evangelium. Das ist auch wieder ein Höhepunkt der heiligen Messe. In manchen Gemeinden ist es üblich, dass nicht nur zur Wandlung die Glocken läuten, sondern auch zum Evangelium, weil auch das Evangelium ein Kommen Gottes ist, nämlich ein Kommen in seinem Wort. Die Kirche zeichnet auch im feierlichen Hochamt das Evangelium aus, indem Weihrauch über das Evangelienbuch ausgebreitet wird, indem Kerzen getragen werden. Die Lesung des Evangeliums ist ein heiliger und heiligender Vorgang, und der Priester spricht, was viele gar nicht wissen, nach dem Evangelium die schönen Worte: „Per Evangelica dicta deleantur nostra delicta“ – durch dieses heilige Evangelium möge uns Gott die Sünden verzeihen. Also hier wird gewissermaßen eine sündentilgende Kraft dem Evangelium zugeschrieben. „Per Evangelica dicta deleantur nostra delicta.“ Vom großen Bischof Sailer stammt das schöne Wort: „Leben möchte ich nicht mehr, wenn ich ihn nicht mehr reden hörte.“ So lieb war ihm das Evangelium, so lieb war ihm das Wort des Herrn. „Leben möchte ich nicht mehr, wenn ich ihn nicht mehr reden hörte.“ Die Feierstimmung muss in uns sein, wenn wir das Evangelium vernehmen. Das Volk steht auf, und Christus weilt hier unter uns tatsächlich in seinem Worte in der Frohen Botschaft. Und deswegen küsst der Priester das Evangelienbuch. Er küsst es; das soll seine Huldigung an den sein, der im Evangelium zu uns gesprochen hat.
An das Evangelium schließt sich die Predigt. Jetzt spricht die Kirche zu uns durch ihren Diener, durch den Priester; denn das Wort Gottes ist uns ja nicht nur zum Hören gegeben, sondern auch zum Tun und zum Befolgen. Und das eben soll die Predigt vermitteln. Es ist eine hohe Verantwortung, meine lieben Freunde, Prediger zu sein. Nicht jeder Priester wird dieser Verantwortung gerecht. Ich habe einen Priester erlebt, der sagte: „Wenn ich auf die Kanzel gehe, weiß ich manchmal noch nicht, was ich predigen soll.“ Schlimmer kann man die Verantwortungslosigkeit kaum treiben. Nein, meine Freunde, es ist eine ganz hohe Verantwortung, das Wort Gottes auslegen und vermitteln zu dürfen. Der heilige Pfarrer von Ars hat diese Verantwortung verstanden. Es wird berichtet, dass einmal ein hoher französischer Offizier bei einer seiner Predigten zugegen war. Er verließ dann schweigend und ganz in sich gekehrt die Kirche von Ars. Man fragte ihn, wie ihm die Predigt gefallen habe. Er antwortete: „Ich habe schon viele Predigten und glänzende Prediger gehört. Sonst hat mir immer der Prediger gefallen, heute aber gefalle ich mir nicht! Das ist der Unterschied.“ Wahrhaftig, so sollte es ein. Die Predigt sollte uns anrühren und sollte uns aufrufen, besser zu werden. Sie sollte ein Ansporn sein, das Evangelium, das wir gehört haben, im Leben umzusetzen und in die Nachfolge Christi einzutreten.
Und dann noch ein Allerletztes, nämlich das Credo. Wenn wir die Predigt vernommen haben, antwortet das Volk: Ja, was wir gehört haben, das glauben wir. Credo, credo, credo – ich glaube.Es heißt im lateinischen Texte „Credo“ – ich glaube. Also jeder einzelne ist aufgerufen. Wir glauben gewiß zusammen, aber wir können nur im Glauben zusammenkommen, wenn jeder einzelne im Glauben steht. Also wollen wir uns bemühen, die Worte des Evangeliums und die Worte der Predigt zu beherzigen, im Glauben zu wachsen, im Glauben festzustehen, denn ohne Glauben ist es unmöglich, Gott zu gefallen.
Amen.