28. August 1994
Die natürliche Beweiskraft für die Existenz Gottes
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
„Der Mensch vermag kraft des natürlichen Lichtes seiner Vernunft aus den geschaffenen Dingen den Schöpfer und Herrn mit Sicherheit zu erkennen.“ Dieser Glaubenssatz ist vom I. Vatikanischen Konzil aufgestellt worden. Er ist nur das Echo dessen, was uns in der Heiligen Schrift des Alten und Neuen Testamentes versichert wird. Der Mensch vermag vermittels der geschaffenen Dinge durch das Licht seiner natürlichen Vernunft Gott zu erkennen. Die Vernunft selbst sagt uns, daß diese Aussagen der Heiligen Schrift berechtigt sind; denn die Vernunft hat seit jeher den Versuch gemacht, mit den ihr eigenen Kräften Gott zu erkennen. Diese Versuche nennen wir Gottesbeweise. So Gott will, werden wir uns heute und an den kommenden Sonntagen die Gottesbeweise im einzelnen vor Augen führen. Heute nur ein allgemeiner Überblick über Inhalt, Kraft und Nutzen der Gottesbeweise.
Die Gottesbeweise gehen aus von der Welt, von der geschaffenen Welt, von der Schöpfung. Sie sehen das Sein der Dinge, aber auch die Seinsohnmacht der Dinge, und schließen von da auf ein Wesen, das über alle Seinsunzulänglichkeit erhaben ist, das nicht, wie die Dinge der Welt, seinen Grund einem anderen verdankt, seine Existenz einem anderen verdankt, sondern das den Grund seiner Existenz in sich selber trägt. Die geschaffenen Dinge verweisen auf ein Sein, dessen So-Sein so beschaffen ist, daß es das Da-Sein zwingend fordert.
Der zweite Weg, den die Vernunft nimmt, um Gott zu beweisen, ist das Werden in der Welt. Wenn man bei dem Werden immer wieder zurückgeht auf eine andere Ursache, muß man einmal auf eine erste Ursache stoßen, auf eine Ur-Ursache, auf eine Urtat, auf den actus purus, auf jenes Wesen, das nicht mehr angestoßen ist, sondern das nur noch selbst anstößt. Die Werte in der Welt zeigen eine Staffelung, sie haben eine Hierarchie, und sie verlangen nach einem obersten Wert, der all diesen Werten ihre Werthaftigkeit mitgeteilt hat. Es muß einen Urwert geben. Die Zweckmäßigkeit und Zielstrebigkeit in der Welt verlangt nach einem Baumeister, der sie in die Dinge hineingelegt hat. Pascal sagt sinngemäß: „Der die Welt geschaffen hat, war ein mathematischer Kopf. Er hat die Gesetze der Mathematik beherrscht.“ Die Zusammenordnung und das Zusammenpassen von Erkennendem und Erkanntem verweist auf ein Wesen, das die Urvernunft darstellt, welche die Harmonie zwischen Erkennendem und Erkanntem geschaffen hat. Das unbedingte Sollen in unserer Brust, das sich im Gewissen ausspricht und das völlig unabhängig ist von Nutzen und Gewinn, verweist auf ein Ur-Sollen, auf einen Ur-Willen, und diesen Urwillen nennen wir Gott.
Die Welt ist so geschaffen, daß sie ohne die Annahme Gottes unverständlich ist. Die Gottesbeweise schließen nicht etwa aus noch ausstehenden und vorläufig mangelhaften Kenntnissen der Natur auf Gott. Gott ist nicht ein Lückenbüßer für unser noch nicht bis zur Reife gediehenes Wissen, sondern die Gottesbeweise schließen aus der bekannten Verfaßtheit der Welt, aus ihrer bewiesenen Begrenztheit auf den jenseitsweltlichen, absoluten, d. h. von aller Unzulänglichkeit losgelösten, transzendenten, also über die Schöpfung erhabenen Gott. Sie führen nicht nur zu einem obersten geschaffenen Sein, sondern sie weisen über das Geschaffene hinaus auf ein ungeschaffenes Sein. Die Gottesbeweise lenken nicht zu einer Spitze innerhalb der Welt, sondern auf ein jenseitsweltliches, absolut transzendentes Wesen, das, wenn unserem kausalen Denken Genüge geschehen soll, eine Person sein muß.
Die Gottesbeweise vermögen den gläubigen Menschen in natürlicher Weise gewiß zu machen. Sie werden nicht dadurch überflüssig, daß wir sagen: Wir haben ja Christus; wir haben ja die Offenbarung in Christus, und das genügt uns doch. Das menschliche Denken muß sich auch auf natürliche Weise Gewißheit zu verschaffen suchen über die Glaubwürdigkeit dessen, was in Christus geschehen ist, über die Glaubwürdigkeit der von ihm gebrachten Offenbarung. Unserem Denken ist erst Genüge geschehen, wenn wir uns auch durch das rein natürliche Überlegen Gewißheit verschaffen können: Der Glaube steht auch von der Vernunft her gesehen auf sicherem Fundament.
Die Gottesbeweise sind, vor allem seit Kant, dem Philosophen von Königsberg, Angriffen ausgesetzt worden, über die wir an den kommenden Sonntagen uns noch Gedanken machen werden. Weil diese Angriffe auf manche Menschen einen besonderen Eindruck gemacht haben, ist versucht worden, die Existenz Gottes auf andere Weise zu beweisen. Man geht aus von dem Gemeinschaftsbezug des Menschen. Man sagt: Der Mensch ist auf das Du verwiesen, was ja keine Frage, sondern was selbstverständlich ist. Der Mensch braucht das Du und ist auf das Du angewiesen. Es muß in dem Gemeinschaftsbezug der Menschen eine Begründung, eine Erklärung und eine Sinnerhellung geben. Die ist nur möglich, wenn es ein letztes Du gibt, das wir Gott nennen. Denn nur wenn es ein letztes Du gibt, hat der Mensch eine unverlierbare Würde, die auch in dem bleibt, der versagt. Nur wenn es ein letztes Du gibt, hat die menschliche Gemeinschaft eine feste Sicherung, weil nur dann Gehorsam, Selbstlosigkeit, Hingabe sich verankern lassen.
Man hat auch noch den Weg gewählt über das Gefühl. Man sagt: Wenn man das Gefühl in dem Sinne versteht, daß es eine Intention, also eine bestimmte Hinrichtung in sich schließt, kann man auch auf diesem Wege zu Gott kommen. Der Mensch stammt ja von Gott. Infolgedessen hat er eine Seinsneigung zu Gott. Diese Seinsneigung macht sich auch im Bewußtsein des Menschen geltend. Sie meldet sich dadurch, daß der Mensch nach einem letzten Grunde fragt. Schon das Fragen nach Gott ist ein Hinweis darauf, daß der Mensch von Gott herkommt und daß er auf Gott zugeht. Er begnügt sich nicht mit den vorläufigen Antworten, sondern er sucht nach einer letzten Antwort, nach einem letzten Grunde, nach einem letzten Sinn. Dieses Sich-Auslangen nach Gott, die Naturanlage nach Gott, dieser religiöse Trieb, ist offensichtlich dem Menschen vom Schöpfer in die Seele gelegt. Die Tatsache, daß, wenn die Verkündigung an des Menschen Ohr dringt, er sich ihr, wenn er unverbildet und unverdorben ist, regelmäßig willig erschließt, diese Tatsache zeigt, daß im Menschen schon ein irgendwie geartetes Wissen um Gott ist, daß sein Bewußtsein von seinem Sein – nämlich von seiner Herkunft von Gott – Kunde gibt. Man kann den Menschen nicht erklären, ohne daß man auf Gott verweist. Das Selbstverständnis des Menschen fordert zum Gottesverständnis auf.
Ein letzter, eindrucksvoller Hinweis auf Gott ist die Tatsache, daß die Verweigerung der Anbetung und Unterwerfung unter Gott den Menschen und die Welt zerstört. Wer Gott nicht mehr anerkennt, der gerät in die Orientierungslosigkeit. Kein anderer als Friedrich Nietzsche hat diese Orientierungslosigkeit des gottlosen Menschen in einer ergreifenden Weise und mit erschütternder Hellsichtigkeit beschrieben: „Wohin ist Gott? Wir haben ihn getötet. Wir alle sind seine Mörder. Wie vermochten wir das Meer auszutrinken? Wer gab uns den Schwamm, um den ganzen Horizont wegzuwischen? Was taten wir, als wir diese Erde von ihrer Sonne losketteten? Wohin bewegt sie sich nun? Wohin bewegen wir uns? Fort von allen Sonnen! Stürzen wir nicht fortwährend und rückwärts, seitwärts, vorwärts, nach allen Seiten? Gibt es noch ein Oben und ein Unten? Irren wir nicht wie durch ein unendliches Nichts? Haucht uns nicht der leere Raum an? Ist es nicht kälter geworden? Kommt nicht immerfort die Nacht und mehr Nacht? Gott ist tot, und wir haben ihn getötet! Ist nicht die Größe dieserTat zu groß für uns? Müssen wir nicht selbst Götter werden, um ihrer würdig zu erscheinen? Es gab nie eine größere Tat, und wer nur immer nach uns geboren wird, gehört um dieser Tat willen in eine höhere Geschichte, als alle Geschichte bisher war. Dies ungeheure Ereignis ist noch unterwegs und wandert.“
Diese erschütternden Zeilen von Friedrich Nietzsche zeigen die Orientierungslosigkeit des gottlosen Menschen. Die Gottlosigkeit zerstört den Willen, das Denken und das Gefühl des Menschen. Der gottlose Mensch verfällt der Selbstsucht, der Lüge und dem Haß. Er geht der Geborgenheit verlustig und gerät in eisige Einsamkeit. Der gottlose Mensch verliert den Sinn des Lebens, er wird zum Nihilisten. Er muß angesichts einer letzten Sinnlosigkeit leben. Dabei kann er zwei Versuche machen. Einmal mit zusammengeballter Kraft die Sinnlosigkeit zu bestehen versuchen. Aber er wird erfahren, daß er dabei verkrampft, daß die lebendigen Kräfte sich lähmen, daß die Angst ihn festkrallt. Und selbst wenn er sich durch Betriebsamkeit betäuben will, wirkt sie im Unbewußten weiter und meldet sich als Neurose im bewußten Leben. Er kann auch versuchen, sich neue Werte zu schaffen, neue Taten zu schreiben. Der Übermensch von Nietzsche versucht das. Er usurpiert die Macht Gottes, schreibt ein neues Sollen, eine neue Wahrheit – und übernimmt sich dabei. Denn nach dem Ausweis der Geschichte wird der Übermensch zum Unmenschen und zum Untermenschen.
Die Gottlosigkeit zerstört auch die Gemeinschaft; denn der Mensch, der nicht von Gott stammt, verliert die Bürgschaft seiner Würde. Wenn nicht etwas Göttliches in ihm ist, dann ist er eben eine Sache, dann ist er Menschenmaterial, das man gebraucht und verbraucht. Der nicht mehr durch Gottes Gebote gebundene Mensch wird der Selbstsucht und dem Haß ausgeliefert. Er wird zum Raubtier. Diese menschlichen Raubtiere richten das Chaos an. Das Chaos ruft nach dem Diktator; und der Diktator wiederum reizt die Menschen, die Revolution zu bewirken, um ihn zu stürzen. So wächst das Unheil unabsehbar heran.
Die Gottlosigkeit zerstört auch die Welt. Sie zerstört die Erde; denn sie erweckt im Menschen Instinkte der Zerstörung. Der gottlos gewordene Mensch verfährt so mit der Erde, daß sie aufhört, für alle eine Stätte der Wohnung, der Nahrung und der Kleidung zu sein. Die Zerstörung, die der Gottlose anrichtet, ist ein irreversibler Prozeß, ist nicht umkehrbar, so daß die Erde nicht mehr hergibt, was die Menschen zur Nahrung, Wohnung und Kleidung benötigen. Das ist ein eindrucksvoller Hinweis auf die Existenz Gottes. Die Zerstörungen, die der Gottlose an der Welt anrichtet, sind ein erfahrungsmäßiger Hinweis auf die Existenz Gottes. Der durch die Offenbarung sehend gewordene Mensch weiß, warum es so sein muß; denn wer gottlos wird, der gewährt dem Teufel Einlaß in die Welt und in sein Leben. Der Teufel aber ist der Zerstörer der Welt und des Menschen.
Wir wollen, meine lieben Freunde, unseren Glauben an Gott festigen, an den Gott, der mit der Vernunft zu erkennen ist, aber auch an den Gott, den die Offenbarung uns verkündet. Es ist unwahrscheinlich, daß jemals ein Mensch allein aus Vernunftgründen zu Gott gefunden hat. Die Gnade ist ihm wahrscheinlich schon vorher gegeben worden, hat ihn begleitet, hat ihn geführt. Aber deswegen verlieren die Gottesbeweise nicht ihre Bedeutung, ihre unersetzliche Bedeutung. Sie machen uns gewiß, daß dieser Glaube nicht ein sinnloses, nicht ein blindlings gefaßtes Vertrauen auf Gott ist, sondern daß unser Glaube durchlichtet und durchleuchtet ist, daß wir wahrhaft und mit Vernunft an den glauben, der da lebt und herrscht in alle Ewigkeit.
Amen.