Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
28. Mai 2023

Der Geist Gottes

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Bereits im Schöpfungsbericht des Buches Genesis ist vom Geist Gottes die Rede: einmal, als er über den Wassern schwebt (Gen 1,1), zum anderen als Lebensatem Gottes, den der Schöpfer dem Menschen verleiht, um ihn an seinem ewigen Leben teilhaben zu lassen (Gen 2,7). Der Geist Gottes ist schöpferisch. Das gläubige Volk bekennt sein Schöpfertum, wenn es singt: Komm, Schöpfer Geist, kehr` bei uns ein. Der Geist Gottes durchzieht viele Bücher des Alten Testamentes. Die Evangelien, besonders die Apostelgeschichte verdichten die Hinweise und Aussagen. Zuerst begegnet uns dieser Geist Gottes im ersten Kapitel des Lukas-Evangeliums. Hier wird die Geburt Jesu angekündigt. Auf die Frage Mariens, wie sie – ganz ohne Mann – ein Kind empfangen soll, entgegnet ihr der Engel: „Heiliger Geist wird über dich kommen und die Kraft des Allerhöchsten wird dich überschatten“ (Lk 1,35). Der Macht des göttlichen Geistes ist kein Ding unmöglich. Bei der Taufe Jesu im Jordan kommt der Heilige Geist sichtbar in Gestalt einer Taube auf Jesus herab und offenbart ihn vor allen anderen als den geliebten Sohn Gottes (Mk 1,10). An vielen anderen Stellen der Heiligen Schrift ist es Jesus selbst, der den Geist Gottes den Jüngern verspricht und zusagt (z.B. Joh 14,15): „Der Vater wird euch einen anderen Beistand geben, damit er auf ewig bei euch sei.“ „Bleibet in der Stadt, bis ihr mit der Kraft von oben ausgerüstet seid“ (Lk 24,29). Dieses Wort des Herrn ging am Pfingsttag in Erfüllung. Zuletzt ist vom Heiligen Geist die Rede bei dem Missions- und Taufauftrag Jesu an seine Jünger.

Wie können wir uns dem Geist Gottes nähern, der sich aller Verfügbarkeit entzieht? Der Geist Gottes ist die Kraft Jesu. Er war es, der den toten Jesus mit neuem Leben beseelt aus dem Grabe gerufen hat. Ihm stehen sieben Gaben zur Verteilung an aufnahmebereite Menschen zur Verfügung: Weisheit, Wissenschaft, Verstand, Rat, Stärke, Frömmigkeit und Gottesfurcht. Sie lassen in ihrer Gesamtheit etwas spüren, was unserer Zeit vor allem fehlt, bis hinein in die Gemeinden und Bischofskonferenzen, Synoden und Katholikentage. Der Geist Gottes ist es, der Glauben an Gott, Hinwendung zum Ewigen, Verankerung in der Wirklichkeit Gottes in uns wirkt. Ohne diesen Geist ist eine Beziehung zu Gott nicht möglich. Wer glaubt, vertraut auf Gottes Hilfe in seinen Beziehungen und Nöten, in seiner Arbeit und in seinem Selbstverständnis. Der Geist Gottes schenkt Gaben und erweckt Dienste. Sie haben alle das gleiche Ziel: Es soll Christus verherrlicht werden (1 Kor 12,3). Es soll die Kirche erbaut werden (1 Kor 14,12; Eph 4,12-15). Christus wirkt kraft seines Geistes in seiner Kirche und durch seine Kirche. Die Kirche lebt vom Atem Gottes. Ohne seine Eingebung ist Glaubensverkündigung nicht denkbar. Die Kirche gibt ihrerseits dem Geist Gottes den menschlich erfahrbaren Raum, in dem jene, die nach Sinn suchen, diesem Geheimnis Gottes begegnen können: in der Liturgie, in Sakrament und Predigt, in Gebet und Lobpreis Gottes, in den Geboten Gottes, in der genuinen Lehre der Kirche. Die jahrtausendelang bewiesene Treue unserer Kirche zur Wahrheit Gottes in der Glaubens- und Sittenlehre wäre undenkbar ohne das Wirken des Heiligen Geistes. Ohne das Wirken des Geistes wäre unsere Kirche schon lange den Weg des Protestantismus gegangen, also Ausräumung alles Beschwerlichen, Freigabe des sexuellen Begehrens, Zustimmung zu Abtreibung und Gnadentod. Was Weltmenschen an unserer Kirche missfällt, ihr Festhalten an den Wahrheiten über die göttliche Person Jesu, die hierarchische Verfassung der Kirche, der Vorbehalt der sakramentalen Weihe für Angehörige des männlichen Geschlechts, das ist die Wirkung des Geistes der Wahrheit.

Das eigentliche Wesensmerkmal des Geistes ist die Wahrheit. Er inspiriert die Menschen und lässt sie so an seiner schöpferischen Kraft teilhaben. Er vermittelt das Transzendente, das dieser Welt Enthobene. Er bringt die Wirklichkeit Gottes in unserer irdischen Gegenwart zur Sprache, er macht sie erfahrbar, vor allem durch geisterfüllte, weise und gute Menschen. Der auferstandene Herr sagt es seinen Jüngern, wer es ist, der sie antreibt: Ihr werdet Kraft des Heiligen Geistes empfangen, der über euch kommt, und ihr werdet meine Zeugen sein in Jerusalem, in ganz Judäa, in Samaria und bis an die Grenzen der Erde (Apg 1,8). In diesem Geist konnten die Glaubenszeugen aller Jahrhunderte ihre Überzeugung heldenhaft bekennen und bis in den Tod treu zu Christus stehen. In diesem Geist traten die Apostel am Pfingstfest furchtlos vor die Bürger Jerusalems und ließen an dem, was sie erfüllte, keinen Zweifel: Jesus Christus, ihr gekreuzigter und auferstandene Herr, war mit ihnen; er durchdrang in der Kraft des Heiligen Geistes ihr Reden und Wirken. Sie, die noch vor kurzem Angst, Trauer und Enttäuschung erlitten, konnten befreit und beseelt von der Wahrheit Gottes ganz in den Dienst dessen treten, der ihrem Leben fortan Erfüllung schenkte. Was wir europäischen Christen vor allem brauchen, ist die Hinwendung zum Geiste Gottes. Eine pfingstliche Kirche, die beseelt und durchdrungen ist von der Heilsbotschaft Christi. Die den Missionsauftrag, getrieben vom Geiste, erfüllt. Was wir brauchen, ist Glaubensstärke und spürbare Freude an Gott. Ein überzeugtes und überzeugendes Christsein macht dort nicht halt, wo Häme und Hohn drohen. Der geheimnisvoll wirksame Geist, der unserer Schwachheit aufhilft und selbst in uns betet (Röm 8,26), der uns antreibt zum Guten, der uns aufrichtet für das nicht mehr Erhoffte, er lebt! Wenn nach menschlichen Maßstäben das letzte Licht erloschen scheint, dann bleibt die Hoffnung auf den Geist. Er gehorcht nicht den Gesetzen der Wahrscheinlichkeit, er setzt sich über das Begrenzte und Begrenzende hinweg und führt zu neuen Horizonten. Als Christ leben heißt dem Geist Gottes glauben, ihm Großes zutrauen, im Gebet immer wieder seine Nähe und seine Anregung suchen. Jenen Geist, den wir in Taufe und Firmung empfangen haben, ja den wir in uns wie in einem Tempel tragen dürfen (Röm 8,9). Dieser Geist will ertastet und erfleht werden. Indem wir ihm betend zutrauen, auch unsere postmoderne Welt zu erfüllen, indem wir ihm überlassen, wozu unsere begrenzte Kraft nicht ausreicht, geschehen neue Aufbrüche in den Gemeinden vor Ort, in den Tagungsräumen von Bischöfen, in der Kirche, in aller Welt. Ein Priester hatte eine schwierige Diasporapfarrei übernommen. Er schrieb seinem Mitbruder: „Die Menschen sind hier noch viel mehr von Gott fern als in anderen Gegenden. Ich brenne aber für Gott, und so stoße ich immer wieder mit den Menschen zusammen. Ich glaube dennoch, dass mir die Puste auf dem letzten Stück Lebensweg nicht ausgehen wird. Der Heilige Geist war immer mein Atem.“ Dieser Priester war ein großer Verehrer des Heiligen Geistes. Er betete täglich: „Atme in mir, du Heiliger Geist.“ Wie oft will uns der Geist der Mutlosigkeit, der Verzagtheit, der Niedergeschlagenheit, der Hoffnungslosigkeit, der Traurigkeit für sich gewinnen! Dann muss unser Gebet sein: „Atme in mir, du Heiliger Geist!“ Wohl uns, wenn wir am Ende unseres Lebens einmal sprechen können: „Der Heilige Geist war immer mein Atem.“

Amen.

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